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       # taz.de -- Biologe über bedrohte Tiere und Pflanzen: „Wie Fukushima für die ganze Welt“
       
       > Ganze Ökosysteme sind gefährdet, ein Kollaps droht. Umweltschädliche
       > Subventionen abzustellen, wäre nur ein erster Schritt, sagt Naturschützer
       > Christof Schenck.
       
   IMG Bild: „Die industrialisierte Landwirtschaft ist ein großer Treiber im Artenverlust“, sagt Christof Schenck
       
       taz: Herr Schenck, jede achte Tier- und Pflanzenart wird in den nächsten
       Jahrzehnten aussterben, ein Ökosystem nach dem anderen zusammenbrechen.
       [1][Davor warnt der Weltbiodiversitätsrat.] Was kann Deutschland tun? 
       
       Christof Schenck: Die industrialisierte Landwirtschaft ist ein großer
       Treiber im Artenverlust. Deshalb ist ein allererster Schritt,
       umweltschädliche Subventionen aufzulösen – zum Beispiel die
       Biotreibstoffverordnung der EU. Sie besteht seit 2003 und die Agrarminister
       wollen sie bis 2030 weitgehend auf dem aktuellen Level einfrieren, obwohl
       man weiß, dass sie extrem negative Auswirkungen hier und global hat. Manche
       Anbaumethoden für Biotreibstoffe, sind ungünstiger für das Klima als
       fossile Energieträger.
       
       Das ist aber noch nicht der Systemwechsel, den die Wissenschaftler fordern! 
       
       Die Marktmechanismen müssen ehrlich spiegeln, was die eigentlichen Kosten
       des Naturverbrauchs sind. Das würde zu deutlichen Veränderungen führen. Was
       ungünstig ist für die Erde, würde teurer, was günstig ist, preiswerter.
       
       Die Bundesregierung findet schon bei der CO2-Besteuerung, die sich dagegen
       einfach anhört, keine Linie. 
       
       Der Weltbiodiversitätsrat IPBES sagt ganz deutlich: Wir brauchen große
       Transformationen. Ein Blühstreifen hier oder da, reicht nicht mehr aus. Die
       Internalisierung der externen Kosten würde zu einer anderen
       Wirtschaftsweise führen. Da geht es uns gar nicht mal schlechter, wir
       würden es nur anders machen.
       
       Was ließe sich mit der Berechnung des Naturverbrauchs erreichen? 
       
       Naturbestandene Flächen sind extrem wertvoll und würden bei einer
       Monetarisierung zu einem neuen Mobilitätskonzept oder Energiekonzept
       führen. Der tägliche Verbrauch an natürlichen Flächen ist viel zu hoch,
       vieles wird gar nicht gebraucht, etwa die Kleinindustriegebiete rund um die
       Gemeinden.
       
       Sehen die Gemeinden das nicht anders? 
       
       Ja, weil wir nur die Gewerbesteuereinnahmen sehen und nicht die Kosten, die
       der Flächenfraß verursacht. Denn die betreffen Gemeinden und Unternehmen
       zunächst nicht. Wenn die Rhönquellschnecke oder der Knochenglanzkäfer
       aussterben, merkt es niemand, und sie fehlen dennoch im Ökosystem. In
       Deutschland leben wir gut, aber auf Kosten der Generationen, die uns
       nachfolgen – und auf Kosten anderer Länder. Das zu ändern, muss die
       Richtschnur sein.
       
       Wie kann ein komplexes Gebilde wie Deutschland sich verändern? 
       
       In der Fukushima-Krise hat es Deutschland als eine der größten
       Volkswirtschaften der Erde geschafft, in sehr kurzer Zeit den Energiemix zu
       verändern. Weil die Bundesregierung sagt: Da gibt es Riesenrisiken, das
       machen wir anders. Genauso muss es jetzt sein.
       
       Wie könnte ein Fukushima des Artenschutzes aussehen? 
       
       Was wir jetzt erleben, sind Überschwemmungen, Hurrikans, Großfeuer,
       Migrationsströme, weil die Menschen nicht mehr dort leben können, wo sie
       leben. Das Fukushima des Artenschutzes wird im IPBES-Bericht aufgezeichnet.
       Erstmalig zeigt der, dass nicht nur Arten gefährdet sind, sondern
       Ökosysteme, von denen wir abhängen: Wasser, Stabilisierung des Bodens,
       Luft, Arzneien, Nahrung – die ganze Palette. Das birgt ein sehr großes
       Risiko für die Menschheit. In Fukushima war, schlimm genug, eine Region
       bedroht. Jetzt müssen wir uns ein Fukushima für die Welt denken.
       
       Wie reagieren Vertreter von Wirtschaft und Politik, wenn Sie Ihnen das
       sagen? 
       
       Die Dimension der Krise ist nicht erkannt. Es gibt Bewusstsein, aber es
       herrscht der Ansatz vor: Wenn wir uns alleine bewegen, passiert nichts oder
       wir haben nur Nachteile. Und wenn es um Geld für den Naturschutz geht, gibt
       es kein Verständnis dafür, dass es nicht um Kosten geht, sondern um
       Einsparungen. Die Rechnung kommt nachher, nur wird die halt teurer.
       
       Wer könnte bei der Umsetzung führend sein? 
       
       Wir können weder auf den Konsumenten noch auf die Industrie setzen – die
       Politik muss die Vorgaben machen. Deutschland könnte eine ganz starke
       Botschaft an die Welt schicken – wie nach dem Ausstieg aus der Kernenergie,
       dass eine der größten Volkswirtschaften der Welt 20 Prozent der Energie
       umstellen kann.
       
       Was gibt Ihnen Hoffnung, dass sich hierzulande etwas verändert? 
       
       Menschen erinnern sich daran, wie insektenverschmiert vor 20 Jahren ihre
       Windschutzscheibe war, und sehen, dass das heute nicht mehr so ist. Und es
       gibt positive Entwicklungen, wie das Volksbegehren für den Insektenschutz
       in Bayern und die Bewegung von Fridays for Future und Extinction Rebellion.
       Die Generation, die die Last trägt, fängt an, unbequeme Fragen zu stellen.
       
       Ist der IPBES-Bericht auch ein Weckruf an die Naturschutzorganisationen? 
       
       Unbedingt, der Naturschutz muss sich genauso fragen, warum wir uns
       abrackern und trotzdem nicht mal die Umkehr schaffen. Für uns ist klar,
       dass nicht reicht, was wir da machen. Den Bericht dürfen wir auf keinen
       Fall in die Schublade packen, wie das mit allen anderen Berichten geschehen
       ist.
       
       Stellen Sie sich vor, [2][Sie sind Ökokanzler mit einem Natur- und
       Klimakabinett] und haben sieben Tage Zeit – was würden Sie machen? 
       
       Ad hoc könnten wir zwei Prozent Wildnis schaffen, so wie schon 2007 von der
       Regierung anvisiert. Am ersten Tage machen wir also zehn neue
       Nationalparks. Da gibt es auch Reibung, aber die müsste man aushalten
       können.
       
       Und am zweiten Tag? 
       
       Raus aus der Kohle und die Energieeinsparung hochfahren. Die Landwirtschaft
       in sieben Tagen naturfreundlich hinzukriegen, wäre natürlich ganz
       schwierig. Ich würde Gesetze machen, um die Sachen auf Spur zu setzen und
       den Betrieben Zeit zu geben, sich umzustellen. Da hängt ja das Auskommen
       von Menschen dran und sie müssen Zeit haben, sich anzupassen. Auf jeden
       Fall würde ich eine Arbeitsgruppe einrichten, die die Internalisierung der
       externen Kosten anfängt zu etablieren. Mit den Ergebnissen könnten wir der
       Wirtschaft sagen, in welche Richtung es geht und die Unternehmen könnten
       dann die Innovationskraft dorthin lenken. Also klare Vorgaben im Klima- und
       Biodiversitätsschutz, damit sind wir tagelang gut beschäftigt.
       
       Was machen Sie am siebten Tag? 
       
       Ärmel hochkrempeln und umsetzen. Da fängt es ja erst richtig an. Der
       IPBES-Bericht sagt uns: Ausruhen ist nicht mehr.
       
       4 Jun 2019
       
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