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       # taz.de -- Pride-Monat in New York: Es brennt in Harlem
       
       > Vor der New Yorker Bar „Alibi“ wurden Regenbogenflaggen angezündet.
       > Plötzlich ist Homophobie in der LGBT-freundlichen Stadt wieder ein Thema.
       
   IMG Bild: Ganz New York ist im Juni im Gay-Pride-Fieber, wie hier bei der Parade 2018
       
       New York taz | „Alles in Ordnung?“, fragt der Polizist in den kleinen
       dunklen Raum mit der Diskobeleuchtung hinein. Er hebt eine Jacke vom Boden,
       die einer Dame vom Barhocker gerutscht ist. Er zwinkert einem Kunden zu,
       der seinen „Manhattan“ hebt, und tuschelt vertraut mit dem Barmann. Dann
       verabschieden er und sein Kollege sich mit den Worten „wir kommen wieder“
       und verlassen die „Alibi Lounge“. Vorbei an der nagelneuen Regenbogenfahne,
       die ein unbekannter Gönner per Post geschickt hat. Es ist die erste Gay-Bar
       im historischen schwarzen Stadtteil Harlem.
       
       Ganz New York ist im Juni im Gay-Pride-Fieber. Die Stadt feiert das erste
       halbe Jahrhundert der modernen LGBT-Bewegung, die vor einem halben
       Jahrhundert mit Protesten gegen eine Polizeirazzia in Greenwich Village
       begann. Doch wenige Stunden bevor in diesem Jahr die öffentlichen Gebäude
       am 1. Juni die LGBT-Fahnen für den Monat hochzogen, zündete in Harlem
       jemand die beiden kleinen Regenbogenfahnen an, die den Eingang zur „Alibi
       Lounge“ flankierten.
       
       Zum Glück regnete es und das Feuer konnte sich nicht ausbreiten. Die Gäste
       im Inneren der Bar kamen mit dem Schrecken davon. Aber Barchef Alexi Minko
       nahm die Sache ernst: „Bei dem gegenwärtigen Klima in diesem Land weiß man
       nie.“
       
       [1][Minko twitterte die Brandstiftung] vor der Schwulenbar in die Welt. Die
       „Hate-Crime-Einheit“ der New Yorker Polizei nahm Ermittlungen wegen einer
       mutmaßlich homophoben Straftat auf. Und die örtlichen politischen
       WürdenträgerInnen erklärten ihr Entsetzen. Vom Bürgermeister über den
       Gouverneur bis hin zu PräsidentschaftskandidatInnen. Die Fernsehsender
       schickten Reporter nach Harlem. Und in der Stadt mit der weltweit größten
       LGBT-Bevölkerung war Homophobie plötzlich wieder ein Medienthema.
       
       ## Ein normalisiertes Leben
       
       „Hate Crime“ – Hassverbrechen ist ein großes Wort für zwei angekokelte
       Fahnen. Und Barbesitzer Minko sagt, dass er sich in New York „völlig
       sicher“ fühlt und dass er „nie“ in seinem Leben Homophobie erfahren habe.
       Im letzten halben Jahrhundert hat sich das Leben für LGBTQ in New York
       normalisiert. Mehr als eine Viertel Million New YorkerInnen nennen sich
       heute stolz LGBTQ.
       
       Aber Barbesitzer Minko weiß auch, was es bedeuten kann, wenn Minderheiten
       attackiert werden. In seiner früheren Karriere hat er als
       Menschenrechtsanwalt unter anderem in seinem Geburtsort im Gabun
       gearbeitet. Dann setzte Ernüchterung ein und Ermüdung über einen
       „200-Stunden-die-Woche-Job“.
       
       Weil er mit dem Job auch sein Einkommen verlor, zog er aus dem Süden in den
       billigeren Norden von Manhattan um, nach Harlem. Bei seinen Erkundungen
       dort stellte er überrascht fest, dass es zwar „viele Schwule auf den
       Straßen, aber keine einzige Schwulenbar“ gab.
       
       Kurz vor der Eröffnung des „Alibi“ in Harlem im Juni 2016 richtete ein Mann
       [2][in der Schwulendisko „Pulse“ in Orlando in Florida ein Massaker an]. 49
       Menschen kamen ums Leben. Minko verschob seine Eröffnung um eine Woche.
       Seither steht er sieben Tage die Woche im „Alibi“ und plaudert auf
       Englisch, Französisch und Deutsch mit seinen Gästen. Am späten Abend hat er
       manchmal halbnackte Tänzer. Sein Publikum ist gemischt. Männer und Frauen.
       LGBT- und Straight People. Alteingesessene schwarze Harlemites und weiße
       New Yorker.
       
       „Ich bin so enttäuscht“, sagt die 42-jährige Lydia Dones. Normalerweise
       meidet sie den Trubel im New Yorker Gay-Pride-Monat. So wollte sie es auch
       in diesem Jahr halten, in dem New York die „Global Pride“ organisiert. Aber
       als sie die Nachricht von dem Brandanschlag hörte, musste sie kommen: „Um
       zu zeigen, dass wir uns nicht einschüchtern lassen.“
       
       Sie ist in New York aufgewachsen. Ihr eigenes Coming-Out Anfang der 90er
       Jahre war bitter. Zwei Mitschüler verprügelten sie. Dones, die später
       Türsteherin, dann Barfrau in der Lesbenkneipe „Henrietta“ wurde, ist bis
       heute überzeugt, dass die beiden Jungen unterdrückte Schwule waren.
       
       Ähnliche Motive vermutet sie auch bei dem bislang Unbekannten, der vor dem
       „Alibi“ gezündelt hat. Sie nennt es „Sachbeschädigung“ und sie glaubt, dass
       der Täter vor allem Hilfe braucht, um sich selbst zu akzeptieren.
       
       4 Jun 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://twitter.com/aleximinkoshow
   DIR [2] /Eindruecke-aus-Orlando/!5309250
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dorothea Hahn
       
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