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       # taz.de -- Sony Music-Finanzchef über Berlin-Umzug: „Ein bisschen rougher, kreativer“
       
       > Von München zurück nach Berlin: Sony Music zieht an die Potsdamer Straße.
       > Weil es da noch nicht so schick ist, sagt Philipp von Esebeck.
       
   IMG Bild: Bei Sony Music der Chief Financial Officer: Philipp von Esebeck
       
       taz: Herr von Esebeck, Sony Music zieht nächstes Jahr von München nach
       Berlin. Geschieht das, um Universal Music vor Ort Konkurrenz zu machen? 
       
       Philipp von Esebeck: Wir kommen nicht wegen Universal. Universal ist
       natürlich auch in Berlin, weil hier der deutlich größere Teich ist, an dem
       man fischen will, was Kreatives, was Musiktalente angeht. Auch, was
       Mitarbeitertalente angeht, ist Berlin deutlich interessanter als München
       oder andere deutsche Städte.
       
       Wird der Standort München aufgelöst? 
       
       Nein, aber er wird verkleinert. Berlin wird der neue Hauptsitz von Sony
       Music Deutschland und Continental Europe. In dem neuen Haus an der
       Potsdamer Straße entstehen 350 bis 400 Arbeitsplätze. Der Umzug beinhaltet
       alle Bereiche, die nah an der Kreativität sein müssen. Das sind die
       Frontline Label und alle damit verbundenen und dafür wichtigen Abteilungen.
       Die Klassik und Four Music ziehen auch mit ein, aber die waren ja schon
       vorher in Berlin.
       
       Was bedeutet Frontline Label? 
       
       Das sind unsere Labels, wie zum Beispiel Columbia, Four Music, Epic, RCA
       und andere, die mit aktuellen Künstlern arbeiten und neue Künstler suchen.
       Hinzu kommen aber auch die Serviceabteilungen wie Artist and Editorial
       Brand sowie Digital Sales und andere, die sich um digitale Medien kümmern,
       Filme und Social-Media-Kampagnen machen und die Vermarktung übernehmen.
       
       Ist das neue Haus ein reines Bürogebäude? 
       
       Es wird auch ein Aufnahmestudio geben. Kein riesengroßes, wo wir 24 Stunden
       lang 20 Bands aufnehmen können. Wir wollen kleinere Studiokapazitäten
       haben. Geplant sind zwei Aufnahmeräume und eine Gesangsbox auf einer Fläche
       von 140 Quadratmetern. Wir wollen Künstlern den Service bieten, direkt bei
       uns aufnehmen zu können. Solche Studios werden immer wichtiger, um digitale
       Assets selber zu produzieren…
       
       …das sind Bilder-, Ton- und Film-Dateien … 
       
       … die man dann über Social Media ausspielen kann. Es ist gut, diese
       Möglichkeit im Haus zu haben, und sie nicht in Studios einkaufen zu müssen.
       Damit sind wir schneller und flexibler.
       
       Was ist in dem Gebäude ansonsten geplant? 
       
       Wir werden eine eigene Cafeteria haben, eher als Aufenthaltsraum für die
       Mitarbeiter gedacht. Da wird nichts selber gekocht. Es gibt sehr viele
       Geschäfte drumherum, wo man sich etwas zu Essen holen kann. Wir werden im
       Haus wahrscheinlich auch kleinere Veranstaltungen haben. In München machen
       wir das auch, wenn wir Künstler im Haus haben. Die spielen dann mal zwei,
       drei Lieder. Das soll es weiterhin geben, dass da mal ein kleiner Showcase
       stattfindet für Mitarbeiter, für Presse, für ausgesuchte Gäste.
       
       Auch für die Öffentlichkeit? 
       
       Das weniger, dass da die Tür aufgeht und alle können mal kommen. Dafür sind
       die Räume nicht groß genug.
       
       Kennen Sie die Potsdamer Straße? 
       
       Ja, ich habe mal in Schöneberg gewohnt. Vor 15 Jahren, am Winterfeldtplatz.
       Ich bin auch beruflich fast wöchentlich in Berlin. Meine beiden Kollegen,
       der Europa- und Afrika-Chef Daniel Lieberberg und der Geschäftsführer für
       GSA – Deutschland, Österreich und die Schweiz –, Patrick Mushatsi-Kareba, …
       
       …die Sony Music vor einem guten Jahr bei Universal abgeworben hat … 
       
       … leben ja schon lange in Berlin. Sie konnten das gut einschätzen. Wir
       haben uns natürlich mehrere Objekte angeschaut. Am Ende war die Potsdamer
       Straße auf einer Shortlist und dann haben wir gesagt, eigentlich passt
       alles.
       
       Worauf wollen Sie hinaus? 
       
       Also so was wie der Ku’damm würde nicht zu uns passen. In London sind wir
       in einer Gegend, High Street Kensington, die könnte man mit dem Ku’damm
       vergleichen, auch wenn es etwas ganz anderes ist. Da ist alles fertig,
       alles schick, alles eingerichtet. Wir ziehen da jetzt auch weg in eine
       Gegend, die ein bisschen rougher, kreativer ist. Wir sind da besser
       aufgehoben als neben irgendwelchen schicken Geschäften.
       
       Das Roughe ist es also, was Ihnen an der Potsdamer Straße gefällt? 
       
       Richtig. Wir arbeiten ja auch mit Künstlern zusammen, die nicht alle aus
       einem schicken Umfeld kommen
       
       Sie meinen Gettokids? 
       
       Ja natürlich, auch mit welchen, die aus dem Getto kommen. Aber es war nicht
       so, dass wir gesagt haben, genau in der Gegend suchen wir jetzt was. Das
       wäre bei dem derzeitigen Immobilienmarkt in Berlin auch aussichtslos. Wir
       hatten nicht 300 Gebäude zur Auswahl, und bestimmte Sachen scheiden von
       vornherein aus. Wir müssen ja auch ein bisschen Krach machen können. Die
       Potsdamer Straße wird sich perspektivisch außerdem noch entwickeln. Der
       Umzug ist für den Sommer 2020 geplant. Dann ist die Gegend auch noch mal
       ein Jahr weiter.
       
       Sehen Sie sich als Gentrifizierer? 
       
       Wenn Sony Music in die Potsdamer Straße zieht, hat das sicher eine gewisse
       Signalwirkung. Wir sind in München vor gut fünf Jahren auch umgezogen in
       eine Gegend, wo zunächst jeder gefragt hat, warum geht ihr dahin, da ist
       doch nichts los. Viele Agenturen, Start-ups, Fotografen und Künstler sind
       dann gefolgt, und die bauen da jetzt weiter und die Gegend hat sich
       wahnsinnig entwickelt. Aber wir sind nicht Sony Electronics, wir bauen
       keine Fernseher, wir haben unten keinen Showroom und stellen da Roboter
       aus. Wir sind die coolere Branche (lacht).
       
       Was macht das für einen Unterschied? 
       
       Unsere Mitarbeiter sind eher flippiger, hipper als vielleicht jemand von
       einer Versicherung oder einer Bank. An dem Standort in der Potsdamer Straße
       war ja vorher auch eine Bank.
       
       Aber Ihre Leute verdienen wahrscheinlich gut und werden den Kiez mit ihrer
       Kaufkraft aufwerten. 
       
       Die einen sagen so, die anderen sagen so (lacht). Klar, wenn da jetzt von
       uns 350, 400 Leute arbeiten, mittags rausgehen und sich was zu Essen
       besorgen. Oder vielleicht abends um 7 Uhr nimmt man schnell noch mal was
       mit aus dem Supermarkt. Nicht nur von der U-Bahnanbindung her ist das ja
       eine super spannende Ecke. Rechts und links bist du innerhalb von zehn
       Minuten in irgendwelchen abgefahrenen Läden und Galerien. Natürlich kann es
       passieren, dass sich dort auch kleinere Agenturen, Start-ups oder Partner,
       mit denen wir arbeiten, ansiedeln werden. Ein Grund, weshalb wir nach
       Berlin gehen, ist ja, dass hier wahnsinnig viele Partner von uns sind, die
       sonst extra nach München reisen müssen.
       
       Wer wäre das? 
       
       Von Spotify und Deezer über Apple Music haben die Streaming Accounts hier
       ihre Büros, aber auch jemand wie Facebook ist hier.
       
       Sony Music zieht mitten ins Rotlichtmileu. Wie geht es Ihnen damit? 
       
       Solange wir da unseren Job machen können und weiter ins Büro kommen (lacht)
       und nicht auf der Straße abgegriffen werden, stört mich das eigentlich
       nicht.
       
       Die Prostituierten werden sich freuen über mehr Kundschaft. 
       
       Da sind ganz viele Familienväter dabei in der Firma, die abends nach Hause
       gehen.
       
       Die sind doch die interessanteste Beute. 
       
       (lacht) Also, wir haben jetzt nicht im Vertrag stehen, dass das jetzt in
       zwei Jahren weg sein muss, sonst machen wir eine Mietminderung. Ich weiß ja
       gar nicht, ist das eigentlich eine von der Stadt ausgewiesene Gegend dafür?
       
       Der Strich existiert seit Ende des 19. Jahrhunderts. Für den zumeist im
       Freien praktizierten Sexvollzug gibt es mittlerweile aber kaum noch
       Möglichkeiten, weil die meisten Brachen zugebaut sind. 
       
       Also, wir werden da keinen Raum zur Verfügung stellen können (lacht).
       
       Ihr neuer Vermieter, die Pecan Development, will sich mit einem
       Sozialbeitrag im Kiez engagieren. Erwägt Sony Music das auch? 
       
       Wir sind gerade dermaßen mit der Planung beschäftigt, dass wir für solche
       Gedanken nicht den Kopf frei haben. Ich kann mir das aber auch gut
       vorstellen, etwas Sinnvolles für die Gegend zu tun. Aber vielleicht führt
       unsere Anwesenheit ja dazu, dass nicht nur alles teurer wird. Vielleicht
       wird die Gegend auch sicherer, weil abends Konzerte stattfinden und nicht
       Versicherungskonzerne um 6 Uhr die Schotten dicht machen. Vielleicht
       siedeln sich um uns rum ein paar Clubs an, die irgendwelche Sachen im
       Underground machen. Es muss ja nicht immer schlechter werden.
       
       Die beiden autonomen Jugendzentren Potse und Drugstore haben in der
       Potsdamer Straße gerade ihre Probe- und Konzerträume verloren. Fühlen Sie
       sich da nicht aufgefordert? 
       
       Man kann sich auf jeden Fall mal unterhalten, aber wir werden jetzt nicht
       Proberäume für Jugendliche einrichten können.
       
       Warum eigentlich nicht? 
       
       Wir werden zum ersten Mal überhaupt wieder ein Recording Studio im Haus
       haben, vor 30 Jahren war das bei einer Plattenfirma ja ganz normal. Dann
       hat sich alles nicht mehr gerechnet und man hat es outgesourct. Jetzt kommt
       man wieder dazu, dass es eigentlich viel schlauer ist, so was im Haus zu
       haben, um Künstler anzubinden. Aber es muss natürlich auch ein
       wirtschaftlicher Grund dahinter stecken, oder ein Service für unsere
       Partner.
       
       Fehlende Proberäume für junge Bands sind in Berlin generell ein riesiges
       Problem. 
       
       Natürlich kann man sich überlegen, ob wir uns da engagieren wollen in einer
       Initiative mit der Stadt. In dem Sinne, wir sind ein Musikkonzern, nach 15
       Jahren zurück in Berlin und wollen auch helfen. Es kann durchaus sein, dass
       wir uns das anschauen und sagen: Das wäre doch was Tolles, weil wir da
       direkt Musiker unterstützen und vielleicht ist da auch jemand dabei, der
       später bei uns unter Vertrag kommen kann. So ein Projekt würde uns
       wahrscheinlich näher liegen als ein Sozialprojekt, das nichts mit Musik zu
       tun hat.
       
       Dieses Interview ist Teil eines Schwerpunkts zum Thema Potsdamer Straße,
       der im Berlinteil der Printausgabe der aktuellen taz am Wochenende vom
       1./2. Juni zu lesen ist.
       
       1 Jun 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Plutonia Plarre
       
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