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       # taz.de -- Die Wahrheit: Präambelschaltung ohne Angriffskrieg
       
       > Allen wochenlangen Feierlichkeiten auf deutschem Boden zum Trotze:
       > Siebzig Jahre altes Grundgesetz sind jetzt aber doch mal genug!
       
   IMG Bild: „Wilde, süße, geile Zukunftsmusik“: Steinmeier empfängt Vorschläge für neue deutsche Verfassung
       
       Es ist so alt und marode wie Horst Seehofer, riecht auch schon irgendwie
       komisch und muss nachts dreimal aufs Klo: unser deutsches Grundgesetz.
       Siebzig Jahre hat es auf dem krummen Buckel, eine tickende Zeitbombe. Denn
       betrachten wir Deutschland, „mein Land, unser Land“ (Frank-Walter
       Steinmeier) ausnahmsweise mal nüchtern und unsachlich, dann stellen wir
       fest: Die brandaktuelle Lage der Nation, sie ist verheerend und desaströs,
       ja beschissen wie nie zuvor.
       
       Das Land ächzt im Würgegriff verfeindeter Polit-Clans, null Publikumspunkte
       beim ESC, Fahrverbote verhindern motorisierte Hetzjagden auf
       Feinstaubproduzenten, und ein allumfassendes, strukturelles
       Verfassungsorganversagen sorgte über Jahre hinweg für das Überleben des
       NSU.
       
       Warum? Weil das Grundgesetz, ohnehin nur als Provisorium für den
       Verfassungsmarkt konzipiert, inzwischen völlig veraltet ist. Eine Ruine.
       Die Artikel 49, 59a, 74a, 75 und 142a sind vor geraumer Zeit schon
       weggefallen, der Rest wackelt bedenklich. Im Leben seiner Benutzer spiele
       die Verfassung überhaupt keine Rolle mehr. Kaum ein Kind könne „das große
       GG“ noch halbwegs flüssig aufsagen, wie Walter-Frank Steineimer gerade bei
       einem Festakt zum Grundgesetzgeburtstag erschüttert feststellte.
       
       Die Verfassungsunkenntnis ist umfassend und universal: Weder kennt man die
       genauen Preise der insgesamt 202 Artikel, noch könnte irgendjemand
       schlüssig das Prinzip der Präambelschaltung erklären, die dem Gesetzestext
       vorangestellt ist. Das fängt schon damit an, dass keiner genau weiß, zu was
       man so ein Grundgesetz überhaupt braucht.
       
       ## Grundgesetz ist Produktbeschreibung der BRD
       
       Die Wahrheit aber weiß es: Das Grundgesetz ist die Produktbeschreibung der
       BRD, es liefert Informationen für Benutzer zur sicheren Inbetriebnahme,
       Konfiguration, Bedienung, Wartung und Pflege des Landes zwischen Polen und
       Frankreich. Um „unser Land“ (Stein-Walter Frankmeier) so benutzerfreundlich
       wie möglich zu gestalten, werden umfangreichere Ausstattungen wie Bundestag
       und Bundesnacht, Bundesland und Bund des Lebens in zahlreichen
       durchnummerierten Artikeln beschrieben. Ferner wird der betriebsgemäße
       Einsatz des Bundespräsidenten geregelt, der als Repräsentant der
       „Ehrenhoheit des Bundes“ alleine berechtigt ist, das
       Grubenwehr-Ehrenzeichen und die Pro-Musica-Plakette zu verleihen oder sogar
       kostenlos zu verschenken.
       
       Wer unsere Verfassung genauer studiert, macht aber auch ernüchternde
       Feststellungen: Deutschland ist nicht selbstreinigend, ja nicht mal
       durchgehend glutenfrei, es kann Spuren von Haselnüssen enthalten, wird ohne
       Garantie ausgeliefert und existiert nur in einer einzigen Ausführung – die
       zudem noch eine Betaversion ist, eine instabile Testversion im
       Entwicklungsstadium. Denn ein besseres Deutschland haben wir nicht, obwohl
       die Version im Westen schon mal die bessere Hälfe war.
       
       Und wie steht es um den praktischen Nutzen unserer Verfassung? Das Wort
       „Liebe“ kommt im Grundgesetz überhaupt nicht vor, auch andere wichtige
       Worte wie „Bier“, „Fußball“, „WLAN“ oder „Alexa“ sucht man vergebens. Dafür
       findet sich jedoch das Wort „Angriffskrieg“, was das Grundgesetz zu einer
       typisch deutschen Veranstaltung macht – und verboten ist er dann natürlich
       auch noch. Da herrscht also dringender Reformbedarf!
       
       ## Rauchen als Staatsziel in neue Verfassung
       
       Um wenigstens die Arbeitslosen und die Hartzer flächendeckend bei Laune zu
       halten, sollten Internet, einvernehmlicher Sex und Rauchen schnellstmöglich
       als Staatsziel in eine neue deutsche Verfassung aufgenommen werden. Ebenso
       das Ziel, dass alle ständig und überall ohne Grund erreichbar sind (sog.
       Grundsicherung), notfalls sogar mit dieselbetriebenen Tretrollern. Außerdem
       sollten gut und nachhaltig gemachte Designerdrogen erlaubt und im Schnitt
       zehn Prozent billiger sein; gegenfinanzieren könnte man das etwa durch
       starkes Anheben der Kampfhunde- und Kampfautosteuer. Aber das ist noch
       wilde, süße, geile Zukunftsmusik, die unser oberster Verfassungsdude
       Walt-Meier Frankenstein hoffentlich noch vor der Verleihung der nächsten
       Pro-Musica-Plakette live zu hören kriegt.
       
       24 May 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Oliver Maria Schmitt
       
       ## TAGS
       
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