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       # taz.de -- Bengalischer Dichter im Exil: Ohne Heimat, ohne Bleibe
       
       > Bis heute lebt der Dichter Daud Haider unter dem Bann einer Fatwa. Seit
       > 1986 lebt er im Exil in Deutschland. Nun muss er aus seiner Wohnung raus.
       
   IMG Bild: Berlin, die Stadt, in der das Wohnen gerade teuer wird
       
       Berlin taz | Am Anfang ist es wahrscheinlich spannend. Man kommt aus einem
       Land, in dem man nicht frei reden konnte, vielleicht bedroht wurde. Die
       Presse berichtet, man bekommt Stipendien, Einladungen. Und dann vergehen
       die Jahre. Langsam wird klar, dass man wohl nie zurück kann. Man wird
       weniger wahrgenommen, die Themen, auf die man natürlich fixiert ist,
       interessieren im neuen Umfeld wenig. Und dann die Angst, ob die
       Erinnerungen reichen.
       
       Wie es ist, in der Fremde zu leben ohne Aussicht auf Ankunft, davon können
       viele ein Lied singen, aber das von Daud Haider, der 1952 in Bangladesch
       geboren wurde und das Land 1974 wegen eines religionskritischen Gedichts
       verlassen musste, ist besonders. Als Haider 1986 nach Deutschland kam,
       schlug das Wellen. Susan Sontag und Kurt Vonnegut hatten sich für ihn
       eingesetzt, dann Günter Grass. Er bekam ein Stipendium der Akademie der
       Künste.
       
       Doch es wurde ruhiger. Haider begann, fürs Radio zu arbeiten. Er schrieb
       auch weiter, an die 30 Bücher bislang, sie erschienen hauptsächlich in
       Indien, auf Bengalisch, nur einzelne Gedichte wurden ins Deutsche
       übersetzt.
       
       An einem sonnigen Donnerstagnachmittag im Mai heißt Daud Haider die
       Besucherin herzlich in einer kleinen Wohnung im Berliner Stadtteil
       Schöneberg willkommen, er lacht viel, kann aber nicht überspielen, wie
       besorgt er ist. Er bekommt zwar eine kleine Rente und Wohngeld, aber
       kürzlich wurde ihm die Bleibe gekündigt. Wegen Eigenbedarf. Wo soll ein
       Mann wie er hin, der nie heimisch geworden ist in der deutschen Sprache,
       wie soll er leben in einer Stadt, in der das Wohnen gerade teuer wird?
       
       ## Das kritische Gedicht
       
       Daud Haider kommt aus einer anderen Welt, die ihn bis heute in Atem hält,
       die ihm wenig Kraft lässt für kleinteilige Kämpfe mit deutschen Behörden.
       Geboren und aufgewachsen ist er in einer weltoffenen, wohlhabenden Familie.
       Er hatte acht Geschwister, die meisten wurden Schriftsteller. Haider begann
       in Bangladesch, Literaturwissenschaften zu studieren, veröffentlichte in
       Zeitungen. Irgendwann auch das kritische Gedicht über Mohammed, Jesus,
       Buddha und Krishna. Im Februar 1974 wurde er verhaftet und nach einem
       halben Jahr Gefängnis mit der Auflage entlassen, das Land zu verlassen. Bis
       heute lebt er [1][wie Salman Rushdie] unter dem Bann der Fatwa.
       
       Die Siebziger waren unruhige Zeiten in Bangladesch, sie ging als
       demokratische Zwischenphase in die Geschichtsbücher ein, Premier Mujibur
       Rahman liebäugelte mit sozialistischen Ideen und legte Haider nahe, in den
       Ostblock zu gehen. Doch Haider wollte nicht weit weg. Er ging nach
       Kalkutta. Nach acht Jahren forderte Bangladesch seine Auslieferung, er
       sollte Indien verlassen. Es gab einen Brief von Intellektuellen in
       Kalkutta, auch das Angebot eines Passes von der UNHCR. Dann das Engagement
       von Günther Grass, 1986 die Ausreise.
       
       Eines der wenigen Gedichte Daud Haiders, das in deutscher Übertragung
       vorliegt, bringt einem nah, was es heißt, die Heimat nur noch zu erzählen,
       sie aber nicht mehr erleben zu können. Eine Zeile daraus ist besonders
       schön: „Wirst du mit uns kommen? Wirst du die Quitten verlassen, die im
       Dorf wachsen, die Pfefferfelder, die tanzenden Wasser des Flusses?!“
       
       27 May 2019
       
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