URI: 
       # taz.de -- Niederlage der SPD bei der EU-Wahl: Die Ratlosigkeit der SPD
       
       > Fraktionschefin Andrea Nahles fordert ihre Konkurrenten heraus. Die
       > SPD-Linke droht ein bisschen mit dem Ende der Großen Koalition.
       
   IMG Bild: Selbstkritik? Fehlanzeige
       
       Andrea Nahles gibt sich euphorisch. „Ich bin richtig froh, das ist ein
       Aufbruchssignal und es ist echt ansteckend“, ruft sie. Das war beim
       Debattencamp der SPD vor einem halben Jahr. Die Partei verabschiedete sich
       behutsam von der Agenda 2010.
       
       Und die SPD-Spitze sah ein zentrales Ziel greifbar nah: die Hartz-IV-Wunde
       heilen und gleichzeitig mit Merkel regieren. Endlich was Positives. Das
       Stimmungshoch, so ein Spitzengenosse damals, halte jedoch nur, wenn Bremen
       und die Europawahl nicht schief gehen. Sonst „kehrt die Depression wieder
       zurück“.
       
       Seit Sonntagabend ist sie wieder da, die Depression. Seitdem gibt Nahles
       fleißig Durchhalteparolen aus. „Ich sage Kopf hoch in Richtung SPD“, so die
       Parteichefin am Wahlabend. Man müsse selbstbewusst in die Zukunft schauen.
       Es gebe noch viel zu tun. Was man halt so sagt. Sie klang wie eine
       Kapitänin auf sinkendem Boot, die der Mannschaft erklärt, warum der Kurs
       eigentlich richtig war und man jetzt einfach so weitermacht.
       
       Am Montag ist der Ton eine Spur angemessener. Es gebe „eine Zäsur“, sagt
       sie, von „strategischen und inhaltlichen Konsequenzen“ ist die Rede. Welche
       das sein könnten, bleibt indes wolkig. Selbstkritik? Fehlanzeige. Die 15
       Prozent bei der Europawahl seien in den letzten 15 Jahren entstanden, so
       Nahles. Und kündigt noch eine Krisensitzung des Parteivorstands an. Was man
       so macht.
       
       Seit Andrea Nahles Parteichefin ist, hat die SPD jede Wahl verloren, doch
       so schlimm [1][wie am Sonntag in Bremen] und bei der Europawahl war es noch
       nie. Am Montag abend geht die Fraktionschefin bei einem TV-Interview in die
       Offensive: Ihre Wiederwahl, eigentlich im Herbst fällig, soll in der
       nächsten Woche stattfinden.
       
       Lars Klingbeil, SPD-Generalsekretär, hatte nimmermüde vor Personaldebatten
       gewarnt – nun zettelt Nahles selbst eine an, um damit ihre wankende
       Autorität in der Fraktion wieder herzustellen. Das Kalkül ist klar – die
       Konkurrenz auf der Lichtung stellen, den Unmut einhegen, Tatkraft
       demonstrieren.
       
       Es gibt, wenn man sich in die Wahlanalysen vertieft, viele gruselige Daten
       für die SPD. Bei der Europawahl hat sie ungefähr eine Millionen WählerInnen
       an die Grünen verloren. Bei der Klimapolitik ist es wie bei fast allen
       Themen auch: Die SPD dringt mit ihrem Einerseits-andererseits nicht durch.
       Den Grünen glaubt man das Engagement gegen den Klimawandel, der SPD nicht.
       
       ## Im Herbst droht das nächste Debakel
       
       Umweltministerin Svenja Schulze hat nun am Montag das Klimaschutzgesetz an
       die anderen Ministerien geschickt – ohne weiter auf das Okay des
       Kanzleramts zu warten. Die Union will möglichst unverbindliche
       CO2-Vorgaben, die SPD etwas genauere. Schulze setzt damit ein Zeichen, das
       zeigen soll, wer in der Regierung bremst. Ein Zeichen, mehr nicht.
       
       Zwei Drittel der WählerInnen sind der Ansicht, dass unklar ist, wofür die
       SPD steht. Ihre Undeutlichkeit hatten die GenossInnen schon beim
       Debattencamp im November und nach der Bundestagswahl als Schlüsselproblem
       identifiziert. Eine Lösung haben sie nicht gefunden.
       
       Niederschmetternd ist laut Umfragen die Einschätzung der SPD in Sachen
       Europapolitik. Nur 15 Prozent trauen der SPD zu, Europa nach vorn zu
       bringen. Dabei war die Verteidigung der EU und die Beendigung des
       Stillstands zwischen Paris und Berlin ein zentrales Argument, mit dem die
       Groko-Skeptiker überzeugt werden sollten. Die SPD hat mit Heiko Maas und
       Olaf Scholz zwei Minister in den Schlüsselressorts – doch die sind wenig
       überzeugend. Auch deshalb haben viele die Grünen bevorzugt.
       
       Der Plan, dass Olaf Scholz Wähler der Mitte bindet, ist gescheitert. Nahles
       sollte als Partei- und Fraktionschefin extra nicht in die
       Kabinettsdisziplin eingebunden werden, um die Wende der SPD nach links zu
       verkörpern. All diese Strategiespiele sind seit Sonntagabend Asche. [2][Die
       15 Prozent bei der Europawahl] markieren das Ende der Illusion,
       gleichzeitig nach links blinken und mit der Union regieren zu können.
       
       Im Herbst droht das nächste Debakel. In Brandenburg ist die SPD bei der
       Europawahl mit 17 Prozent nur noch drittstärkste Kraft geworden, in Sachsen
       mit knapp 9 Prozent auf Platz fünf gelandet. In beiden Ländern kann die SPD
       Ministerposten verlieren.
       
       Nahles Schachzug mögliche Konkurrenten jetzt zu fordern, hat für sie den
       Vorteil, dass sie mit einem Votum der Fraktion auch die absehbaren
       Wahlniederlagen im Herbst bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen
       überstehen kann.
       
       Das Risiko ist für sie: Verliert sie, dann wird sie auch den Job als
       Parteichefin los. Nahles Stärkes ist: Sie kann Machtkämpfe. Und ihre
       vermeintlichen Gegner sind schwach. Martin Schulz hat als Kanzlerkandidat
       und als SPD-Chef nach der Wahl mit seinem Zickzackkurs in Sachen Groko
       wenig Weitblick gezeigt. Daneben fällt der Name Achim Post, Chef der
       NRW-Landesgruppe in der Fraktion. Post gilt aber aber eher als ein Mann für
       die zweite Reihe.
       
       Ob Nahles geht oder nicht – die strukturellen Defizite der SPD bleiben. Am
       schlimmsten ist das Ergebnis bei den Erstwählern: Von denen haben nur 7
       Prozent SPD gewählt. Damit liegen die Sozialdemokraten dort auf dem
       sechsten Platz, [3][noch hinter der Satirepartei „Die Partei“]. Die SPD hat
       ein dramatisches Problem bei Jüngeren.
       
       ## „Die Partei ist zu undurchlässig“
       
       Yannick Haan, 32, SPD-Netzpolitiker, glaubt, dass die Partei,
       Durchschnittsalter 60 Jahre, „den Kontakt zu den Ängsten der Jüngeren
       verloren hat“. Die SPD habe keine angemessene Antwort auf Klimawandel und
       Digitalisierung. „Die Partei ist zu undurchlässig. Die Beharrungskräfte
       sind zu groß“, so Haan. Auf den Europalisten rückten zwar ein paar Jusos
       nach vorne, doch das reiche nicht.
       
       Die SPD-Linke macht das, was sie nach Wahlniederlagen oft macht: Sie
       schreibt ein Papier. Juso-Chef Kevin Kühnert, Parteivize Ralf Stegner und
       Fraktionsvize Matthias Miersch stellen drei Forderungen an die Große
       Koalition. 2019 müsse es ein „konkretes Klimaschutzgesetz“ geben. Zudem
       müsse die Grundrente, das neue Herzensthema der SPD, „ohne Wenn und Aber“
       kommen, so wie in Hubertus Heils Gesetzentwurf skizziert. Dito ein
       Berufsbildungsgesetz, das Azubis mehr Geld und mehr Rechte bringt.
       
       Die drei SPD-Linken drohen somit irgendwie mit dem Ende der Großen
       Koalition. Allerdings kann man in den Formeln eine ultimative Bedingung
       herauslesen, man muss es nicht. Matthias Miersch werenn auch Ambitionen
       nachgesagt Nahles herauszufordern. Der Umweltpolitiker aus Niedersachsen,
       zudem Parteilinker, wäre am ehesten ein Signal für die
       Veränderungswilligkeit der SPD-Fraktion. Miersch gilt aber eher als leiser,
       zurückhaltender Politiker, ohne auffälliges Machtbewusstsein.
       
       Der Parteilinke Karl Lauterbach ist von dem Papier nicht so angetan.
       „Öffentlich schon wieder zu diskutieren, ob wir die Groko verlassen, nutzt
       nichts.“ Entweder man mache es – oder nicht. Lauterbach ist einer der ganz
       wenigen Sozialdemokraten, der der Europawahl „Positives abgewinnen kann“.
       Die Jüngeren seien „wieder politischer“ und für soziale Frage ansprechbar.
       Wenn die SPD ihnen Angebote mache, so Lauterbachs kühne Hoffnung, „dann
       werden wir wieder mehrheitsfähig“. Der Klimaschutz sei nun langfristig auf
       der Tagesordnung. Und das, so Lauterbach, werde die Grünen unter Druck
       setzen. „[4][Der Hype der Grünen] lebt von der Illusion, dass sie
       Klimaschutz mit der Union durchsetzen können“, so Lauterbach.
       
       28 May 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Bremer-Buergerschaftswahlen/!5597911
   DIR [2] /Kommentar-SPD-und-Europawahl/!5597954
   DIR [3] /Die-Partei-bei-der-Europawahl/!5597970
   DIR [4] /Wahlerfolg-der-Gruenen/!5597975
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Reinecke
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Europawahl
   DIR europawahl Politik
   DIR Europawahl
   DIR Andrea Nahles
   DIR SPD
   DIR Regine Günther
   DIR Lesestück Interview
   DIR SPD-Fraktion
   DIR SPD
   DIR AKK
   DIR SPD
   DIR Schwerpunkt Landtagswahlen
   DIR europawahl Politik
   DIR Schwerpunkt Europawahl
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kommentar zum SPD-Umfrageabsturz: Nicht wirklich gerecht
       
       Warum die SPD auch in Berlin so schlecht abschneidet und die Grünen so sehr
       boomen, ist mit ihrer hiesigen Performance nicht zu erklären.
       
   DIR Karl Lauterbach über die Krise der SPD: „Wir können uns schlecht verkaufen“
       
       Angesichts herber Wahlniederlagen erinnert der Fraktionsvize an die
       konstanten Erfolge der SPD. Man müsse nun eine Mitte-Links-Regierung
       forcieren.
       
   DIR SPD-Parteichefin gibt auf: Das war es mit Nahles
       
       Nach innerparteilicher Kritik tritt Andrea Nahles als Chefin von Partei und
       Fraktion zurück. Ihr fehle der notwendige Rückhalt, erklärte sie.
       
   DIR SPD nach der Europawahl: Das Ende ist Nahles
       
       Man brauche jetzt keine Personaldebatte, hieß es in der SPD. Es folgt: eine
       Personaldebatte. Andrea Nahles kann nicht mehr viel richtig machen.
       
   DIR Kommentar Klimagesetz: Rezo, bitte übernehmen
       
       Die Unions-Minister lehnen das Klimagesetz der Umweltministerin ab. Dabei
       soll es nur erreichen, dass Deutschland seine Klimaziele bis 2030 einhält.
       
   DIR Folge der Europawahl: Schattenboxen bei der SPD
       
       Nach der Pleite bei der Europawahl will SPD-Fraktionschefin Nahles sich
       vorzeitig im Amt bestätigen lassen. Gegenkandidaten gibt's noch nicht.
       
   DIR Bremer Bürgerschaftswahlen: SPD am Ende des Triumphzuges
       
       Nach ersten Prognosen liegt die SPD bei den Bremer Bürgerschaftswahlen bei
       24,5 Prozent. Eine Schmach für die Partei, die hier seit 73 Jahren regiert.
       
   DIR Kommentar SPD und Europawahl: Der endlose Niedergang
       
       Das Wahlergebnis zeigt sowohl in Europa als auch in Bremen: Die
       Sozialdemokraten brauchen kein neues Personal, sondern eine Idee jenseits
       der Groko.
       
   DIR SPD und die Europawahl: In die Krise – mal wieder
       
       Die Sozialdemokraten landen deutlich unter 20 Prozent. Wer ist schuld? Den
       Frust könnte Andrea Nahles zu spüren bekommen.