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       # taz.de -- Theaterjubiläum: Geeignet für Kinder unter 16 Jahren
       
       > Antiautoritär, kritisch, emanzipatorisch: Das legendäre Berliner
       > Kindertheater „Grips“ wird 50
       
   IMG Bild: Den Ball systemkritisch umherrollen: Aus dem Stück „Die Lücke im Bauzaun“
       
       Als am 17. Mai 1969 mit „Stokkerlok und Millipilli“ die erste
       Grips-Theater-Produktion Premiere feierte, sollten Kinder im Theater noch
       stets eines Besseren belehrt werden. Das Stück der beiden
       „Reichskabarettisten“ Rainer Hachfeld und Volker Ludwig war zwar noch
       märchenhaft verpackt, enthielt aber „alles, was [1][Grips] ausmacht und
       1968 zum Begriff der Aufklärung zählte: Es ist antiautoritär,
       emanzipatorisch, gesellschaftskritisch und optimistisch“, schreibt Volker
       Ludwig, Gründer, Hauptautor und bis 2017 Leiter des Grips im Jubiläumsbuch
       „Für die Zukunft. 50 Jahre Grips Theater“.
       
       Das Stück wurde weltweit in über 100 Theatern gespielt. „Kindertheater war
       jetzt für uns wie das Erwachsenenkabarett: ‚ein Mittel, auf
       gesellschaftliche Verhältnisse einzuwirken‘“. Dieses Motiv hat auf die
       Kindertheaterproduktion weltweit ausgestrahlt, die Grips-Stücke werden
       weiterentwickelt und an die jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse
       angepasst.
       
       So sind während der Jubiläumsfestwoche Grips-Adaptionen befreundeter
       Theater aus Griechenland, Indien und Südkorea zu sehen, mit dem Gastspiel
       aus Ägypten will das Grips das ägyptische Kindertheater unterstützen, das
       es im Ursprungsland des Arabischen Frühlings schwer hat, insbesondere, wenn
       Kinderrechte im Mittelpunkt stehen.
       
       Die „Seoul Linie 1“ ist so etwas wie ein „work in progress“, das in
       Südkorea sehr erfolgreiche Stück wird zu jeder Neuaufnahme auf den neuesten
       Stand der gesellschaftlichen Entwicklungen gebracht.
       
       ## Antiautoritäre Ode an kindliche Fantasie
       
       „Jamba Bamba Boo“ lebt den Geist des „Grips-Movement“ in Indien. Darin
       werden die durch Religion und Kastenwesen lebenseinschränkenden
       Gesellschaftsstrukturen angeprangert – natürlich nicht, ohne einen
       Lösungsvorschlag zu unterbreiten und darauf zu verweisen, wie wichtig
       Solidarität ist.
       
       Die griechische Theatergruppe Manufaktur des Lachens zeigt mit „Mormolis!“
       eine Adaption des Grips-Klassikers „Mugnong-Kinder!“ von 1973, das, weil
       als Kindertheaterstück durch die Zensur des damaligen repressiven Regimes
       geflutscht, als antiautoritäre „Ode an die kindliche Fantasie“ zum Symbol
       des Widerstands gegen die Militärjunta wurde.
       
       „Stärker als Superman“ ist eines der wenigen Stücke, das nicht aus der
       Feder Volker Ludwigs stammt. Der englische Autor Roy Kift zeigt darin ohne
       Mitleidsgetue, wie ein 11-Jähriger im Rollstuhl sitzend die Hürden des
       Alltags nimmt. Mit „Die Lücke im Bauzaun“ gibt es in der Jubiläumswoche
       auch eine Uraufführung.
       
       Der Kölner Regisseur und Theater des Lachens-Gründer mit
       griechisch-iranischen Wurzeln Vassilis Koukalini und der Teheraner Autor
       und Übersetzer Mehdi Moradpur hatten den Grips-Klassiker „Malle, Balle,
       Hupe und Artur“ von 1971, vor ein paar Jahren nach Athen verlegt. Darin
       werden Kinder beim verbotenen Spielen in einem leer stehenden Haus
       erwischt. Ein Ort, an dem die von den Krisenjahren auf die Straßen
       gespülten Kinder nach Spielfreiräumen gesucht haben.
       
       ## Gerappte Konsumkritik
       
       Weil die Athener Verhältnisse mit der Lebenswirklichkeit hier nicht in
       Deckung zu bringen ist, war Volker Ludwig erst dagegen, das Stück wieder
       ins Deutsche zu übertragen, wie er in der Pause der Hauptprobe sagt. Aber
       es funktioniert, das Geschehen wurde in eine sozial schwache Siedlung
       verlegt.
       
       Die Kinder entern einen leer stehenden Rohbau, weil sie von
       lärmempfindlichen Anwohnern vertrieben werden. Die vom Wachdienst ertappten
       Kinder lassen sich nicht einschüchtern, das slapstickhafte Verhör kommt bei
       den anwesenden Schulklassen sehr gut an, die Schauspieler haben einen guten
       Draht zum Publikum, Fragen, die sie stellen, werden vehement beantwortet.
       
       Wie sich die Getto-Kids um die gewitzte Fati mit Valentin, dessen Familie
       in die Siedlung ziehen musste, weil sein Vater den Job bei der Bank
       verloren hat, zu einer solidarischen Gemeinschaft werden, ist recht
       plakativ dargestellt, aber regt auch zum Nachdenken an. Systemkritik gibt
       es auch, in einem Lied heißt es: „Das Haus gehört der Bank. Die Baustelle
       steht seit drei Jahren leer, weil die Bank ihr Geld vermehren will. Ich
       glaub, der Fehler steckt im System.“
       
       Begleitet und kommentiert wird das Geschehen von Songs wie „Alles Plastik“,
       der bereits 1981 Verpackungswahnsinn und Umweltverschmutzung thematisiert.
       Die Mischung aus Puhdys-geschultem Rock und Chanson kommt jedoch bei
       heutigen Kindern nicht mehr an.
       
       Die gerappte Konsumkritik wie in „Guthaben“ aus „Anton macht’s klar“ von
       2018 trifft da eher den Nerv. Der funky Revue-Song „Ich bin ein Berliner“
       findet aber nicht zuletzt aufgrund des Textes Anschluss: „Berlin stirbt
       aus, aber uns wollen schmeißen raus, Berlin will immer Weltstadt sein, aber
       die Welt nicht lassen rein.“ Auch dagegen wird das Theaterhaus in den
       kommenden 50 Jahren wohl anstinken.
       
       Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg
       immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
       
       6 Jun 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.grips-theater.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sylvia Prahl
       
       ## TAGS
       
   DIR Grips Theater
   DIR Theater
   DIR Schwerpunkt 1968
   DIR Schwerpunkt Rassismus
       
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