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       # taz.de -- Gewalt durch Securitys im Ankerzentrum: Lager der Einschüchterung
       
       > Das Ankerzentrum Bamberg gilt als Vorzeigeprojekt. Nun wird
       > Sicherheitsleuten vorgeworfen, sie würden systematisch Gewalt ausüben.
       
   IMG Bild: „Gewalt ist Teil der Abschiebepolitik“, sagt die Soziologin Aino Korvensyrjä
       
       Bamberg taz | Das sogenannte Ankerzentrum in Bamberg ist ein
       Vorzeigeprojekt der bayerischen Landesregierung. Nun aber gibt es heftige
       Vorwürfe: Sicherheitsmitarbeiter sollen dort brutal gegen Geflüchtete
       vorgegangen sein, eine Sondereinheit prahlte in einer WhatsApp-Gruppe
       namens „Sons of Odin“ über die Gewalt.
       
       Die taz hat mit BewohnerInnen, Insidern und ehemaligen Angestellten
       gesprochen. Der Eindruck: Im Lager hat sich ein Regime der Unterdrückung
       etabliert. [1][Zuletzt hatte bereits der Bayerische Rundfunk über die
       berüchtigte Security-Sondereinheit berichtet.]
       
       Neu sind die Klagen über die Sicherheitsleute nicht. Schon im September
       2017 eskalierte eine Auseinandersetzung zwischen Bewohnern und Securitys in
       der Kantine des Lagers. Und an jedem Montag findet in der Bamberger
       Innenstadt eine Mahnwache gegen das Ankerzentrum statt, bei der auch
       Bewohner des Camps zu Wort kommen. Im Folgenden eine Rekonstruktion.
       
       1. Die Securitys 
       
       Die Regierung von Oberfranken, die das Lager leitet, vergab 2016 den
       Sicherheitsauftrag an die Firma Fair Guards. Diese setzt im Ankerzentrum
       täglich 80 bis 100 MitarbeiterInnen ein, zum Teil Angestellte von
       Subunternehmen. Die Regierung teilt mit, die Sicherheitsleute im Lager
       würden von der Leitung regelmäßig geprüft. Auch wenn Konflikte und
       Missverständnisse nicht zu vermeiden seien: „In unserer tagtäglichen Arbeit
       beobachten wir in aller Regel ein gutes Verhältnis zwischen Mitarbeitern
       der Security und Bewohnern.“
       
       Es sind die Angestellten eines Subunternehmens, die ab dem 27. September
       2017 Gewaltausbrüche melden und ihre Kollegen anzeigen. Die E-Mail, in der
       sie ihrem Vorgesetzten den ersten Vorgang in der Lager-Kantine damals
       zusammenfassten, liegt vor. Darin ist die Rede von einem
       Pfefferspray-Einsatz, davon wie sich 20 Securitys um einen am Boden
       sitzenden Bewohner gruppierten, wie ein zweiter am Kopf gepackt und auf den
       Rücken geworfen wurde, wie sein Gesicht durch den Schotter gezogen wurde,
       „wie bei einer Käsereibe“. Als eines der Opfer um Wasser für seine Augen
       bat, sei er stattdessen drei Mal mit dem Knie ins Gesicht getreten worden.
       
       Mit dieser E-Mail geht der Vorgesetzte des Subunternehmens zum
       Geschäftsführer von Fair Guards. Wenige Tage später darf er das Lager nicht
       mehr betreten – Hausverbot. Der Vertrag mit dem nestbeschmutzenden
       Subunternehmen wurde zum Ende 2017 gekündigt.
       
       2016 und bis etwa Mai 2017 sei die Situation im Lager noch verhältnismäßig
       ruhig gewesen, sagt einer der ehemals beim Subunternehmen Angestellten.
       „Wir hatten ein, zwei Einsätze im Monat, aber nichts, was du nicht auch im
       Wirtshaus in jedem Dorf hast.“ Dann beginnt die Ära eines Leitungsduos
       unter dem auch die berüchtigte Sondergruppe gebildet worden sei. Die
       Mitglieder sollen sich in Nahkampftechniken und schmerzhaften Griffen geübt
       haben, die vor allem gegen afrikanische Bewohner eingesetzt worden seien.
       Verschiedene Quellen bestätigen, dass nicht nur, aber vor allem diese
       Bevölkerungsgruppe unter der Gewalt im Lager zu leiden habe.
       
       Und Teile der Sicherheitskräfte tauschten sich laut Bayrischem Rundfunk in
       einer WhatsApp-Gruppe „Sons of Odin“ aus. „Gerade habe ich einen
       Senegalesen gelegt“, habe es dort geheißen. Oder: „Wir sind uns einig, der
       ‚Nigga‘ hat keine Rechte.“ Die Beteiligten mussten später die Einrichtung
       verlassen, die Sondergruppe wurde aufgelöst.
       
       Berichte über Gewalt im Lager reißen seitdem aber nicht ab. „Ich weiß, dass
       das 2018 unter dem Namen Flexteam weiterging“, sagt der ehemalige
       Sicherheitsmann. „Ob heute noch, kann ich nicht sagen.“
       
       Die Firma Fair Guards weist sämtliche Vorwürfe, Rassisten oder Gewalttäter
       zu beschäftigen von sich. „All unsere Mitarbeiter haben ein polizeilich
       einwandfreies Führungszeugnis und werden vom Verfassungsschutz hinsichtlich
       radikaler Gesinnungen geprüft.“ Die Verfahren gegen Sicherheitsmitarbeiter
       betreffs des Kantinen-Vorfalls im September 2017 wurden eingestellt, wegen
       mangelnder Beweislast.
       
       2. Die Wissenschaftlerin und der Anwalt
       
       Aino Korvensyrjä möchte die Vorkommnisse im Bamberger Lager nicht auf
       Einzelfälle reduziert wissen. Die Soziologin der Universität Helsinki, die
       über die deutsche Abschiebepolitik promoviert, spricht von struktureller
       und systematischer Gewalt, mindestens begünstigt durch das Wegschauen der
       Lagerleitung. Im Zuge ihrer Feldforschung sprach Korvensyrjä mit
       zahlreichen BewohnerInnen, vor allem aus Westafrika. Sie bestätigt, dass
       die Kultur im Lager sich nach Auflösung des Sonderteams nicht geändert
       habe.
       
       Aus Korvensyrjäs Sicht liegt das Problem aber nicht bei Fair Guards als
       Einzelfirma. „Security-Gewalt ist Teil von einem Komplex. Sie findet immer
       in Zusammenarbeit mit der Polizei statt.“ Flüchtlinge, die Alarm schlagen,
       würden in der Regel selbst mitgenommen, Befragungen mit Dolmetscher fänden
       kaum statt. Es sei die Institution Ankerzentrum, die Zustände wie die in
       Bamberg fördert, so Korvensyrjä. „Gewalt ist Teil der inoffiziellen
       Abschiebepolitik. Die Einschüchterung soll die Leute zur Selbstabschiebung
       bringen. Weil die Situation im Lager letztlich nicht mehr sicher ist.“
       
       Nach dem Vorfall in der Kantine standen zunächst die beteiligten Bewohner
       vor Gericht. Der Berliner Anwalt Benjamin Düsberg vertrat einen von ihnen
       und beantragte Akteneinsicht in die Ermittlungen gegen die
       Sicherheitsleute. Seitdem geht er davon aus, dass die Securitys bewusst und
       mit Vorsatz provozieren: „Sie stellen einen Einsatz her, in dem sie ihre
       körperlichen Fähigkeiten unter Beweis stellen können, üben, trainieren.“
       Wer besonders hart zuschlage, das hätten ehemalige Mitarbeiter ihm
       zugetragen, der klettert in der Hierarchie nach oben.
       
       3. Der Bewohner und die Helfer 
       
       Rund 1.200 Menschen leben heute im Ankerzentrum. Marcus (Name geändert) aus
       Nigeria tut es erst seit Februar. In Italien habe man ihm gesagt, wenn er
       arbeiten wolle, müsse er nach Deutschland weiter. Nun fühlt er sich
       gefangen in diesem Lager, das schlimmer sei als die in Italien, und darf
       nicht arbeiten. „Afrika ist hellfire für uns, Europa ist hellfire für uns“,
       sagt er. „Sie sollen uns einfach sagen, welches Opfer sie von uns
       verlangen.“
       
       Marcus schildert eine Atmosphäre im Lager, die von Angst und Schikane
       geprägt sei. Er erzählt von einer schwangeren Frau, die von
       Sicherheitsleuten herumgeschubst worden sei, von Ganzkörperkontrollen und
       dem Fixieren von Menschen auf dem Boden, mit Handschellen. Als kürzlich ein
       Bewohner in der Kantine zusammenbrach, hätten die Securitys dessen
       Abtransport auf die Krankenstation zunächst verweigert. „Normalerweise
       sollte es keine zehn, fünfzehn Minuten dauern, bis man einen Krankenwagen
       ruft“, sagt Marcus. „Sie warteten 40, 50 Minuten.“
       
       Pfarrerin Mirjam Elsel, die als Koordinatorin des Dekanats bei Notlagen
       oder Rechtsbrüchen eingeschaltet wird, pflegt einen regelmäßigen Kontakt zu
       BewohnerInnen. Und auch sie kennt zahllose Berichte über Mobbing,
       Einsperren, Tritte, Pfefferspray. Verbessert habe sich die Situation
       zuletzt nicht. „Der Leitung wurden immer wieder Vorfälle von ehrenamtlichen
       HelferInnen gemeldet. Außer der Weitergabe an die Polizei gibt es keine
       konkreten Maßnahmen, die die ausgeübte Gewalt wirkungsvoll verringern.“
       
       Es ist anzunehmen, dass die Dunkelziffer der Übergriffe groß ist. Denn
       sowohl Elsel wie Korvensyrjä als auch Thomas Bollwein vom Bayrischen
       Flüchtlingsrat beschreiben, dass die BewohnerInnen kein Vertrauen in den
       deutschen Rechtsstaat haben. Sie erlebten, dass sie bei Vorfällen nicht
       vernommen, aber verhaftet würden, und dass Justiz und Polizei den
       Zeugenaussagen der Sicherheitsmannschaft Glauben schenkten. Bollwein sagt,
       er beobachte, dass diejenigen, die sich beschweren oder Anzeigen
       erstatteten, in der Folge vermehrt abgeschoben würden. „Bei minderschweren
       Fällen raten wir den BewohnerInnen von einer Anzeige ab.“
       
       Zuletzt gab es Mitte Dezember 2018 eine Eskalation. Nach einer Ruhestörung
       hatten Bewohner Sicherheitsmitarbeiter angegriffen und sich in einem
       Gebäude verbarrikadiert, auch eintreffende Polizisten wurden attackiert.
       Neun Geflüchtete wurden festgenommen. Einer hatte angegeben, Auslöser sei
       gewesen, dass ein Security einen Asylbewerber geschlagen habe. Die
       Ermittlungen zu dem Vorfall laufen noch.
       
       Anwalt Düsberg beschäftigt derweil noch der Vorfall vom September 2017. Er
       hofft auf die Rückkehr seines ausgereisten Mandaten. Düsberg glaubt,
       ausreichend Zeugenaussagen in der Hand zu haben, um erstmals einen Prozess
       im Sinne der Asylbewerber gewinnen zu können.
       
       Der frühere Sicherheitsmann zieht ein bitteres Fazit. [2][„Die Ankerzentren
       sind die Babys unseres Innenministers.] Es wäre doch zu mies, wenn da nicht
       alles rundlaufen würde.“ Es sei doch sehr auffällig, dass bisher kein
       Security juristisch belangt wurde. „Es kann eben nicht sein, was nicht sein
       darf.“
       
       4 Jun 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.br.de/nachrichten/bayern/gewalt-vorwuerfe-gegen-sicherheitsdienst-im-ankerzentrum-bamberg,RPnJPIS
   DIR [2] /Ein-halbes-Jahr-Ankerzentren-in-Bayern/!5572786
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Thamm
       
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