# taz.de -- Die Wahrheit: Im wahrsten Sinne des Wortes
> Neues aus der Sprachkritik: Heißa, wie spart es doch Kraft, benutzt man
> Wörter, ohne sich um ihre exakte Bedeutung zu scheren!
IMG Bild: „Supervollstes Verständnis“ auch für diese Kraftanstrengung
Die meisten Leute leben bekanntlich wie die Tiere: Sie denken selten über
ihre Sprache nach. Es geht schließlich auch so; und sein Gehirnschmalz zu
bemühen könnte vielleicht als unnötige Kraftanstrengung empfunden werden.
Gleich zwei Dopplungen – eine sinnvolle Redundanz, ein überflüssiger
Pleonasmus – stehen in diesem Satz, die Ihnen sicherlich gleich aufgefallen
sind. Auch die „alten Greise“ und der „weiße Schimmel“ sind bekannt: Ein im
Wort bereits enthaltenes Bedeutungselement wird unnötigerweise
verbalisiert. Solche Zwillingsformeln sind freilich Sonderfälle.
Die meisten Tautologien gehen anders und sind „überhaupt gar“ nicht
selten, sondern „bereits schon“ in Medien von taz bis Spiegel zu finden,
damit sie „später dann“ vom bösen Sprachkritiker aufgespießt werden, der
auch stutzt, wenn jemand „euphorisch jubeln“ will oder – was für „eine
erstaunliche Überraschung“ – eine „menschliche Leiche“ gefunden wird. Aber
doppelt gemoppelt hält eben besser! Deshalb gibt es ja die „Fachkompetenz“,
das „Patentrezept“, die „Gegenreaktion“ und die „oberste Priorität“, die
ersten Vorrang hat, wenn ein Thema halbwegs wichtig ist.
„Zurückerinnert“ sei ferner an Verben wie „vorprogrammieren“,
„aufoktroyieren“, „ausextrahieren“ (NDR 4) und „abscannen“ (DLF), zu
schweigen, nein: zu schreiben und zu schreien von plumpen Plattheiten à la
die „starke Verstärkung“ (NDR 4) oder manierierte Gespreiztheiten wie
„existenzielle Realität“ (taz), von Überschriften wie „Outdoor-Training
unter freiem Himmel“ (Westdeutsche Zeitung) und Sätzen von der Art „Wir
hatten am Anfang Startschwierigkeiten“ (gehört im Blödfilm „Jurassic
World“) bzw. „Am Ende gab es noch ein spannendes Finale“
(de.chessbase.com); und ob Fußball („die Eintracht ist momentan die
Mannschaft der Stunde“, NDR 4) oder Schach („Auch auf diesem Gebiet gilt er
als anerkannte Weltklasse“, de.chessbase.com über den Großmeister Pál
Benkő) – man muss es zweimal sagen, damit man es sich einmal merkt.
## Sprichwörtlich falsch
„Dennoch aber“ ist das richtig, weil es immer die Hauptsache ist, dass man
jederzeit verstanden wird und nicht unnötigerweise eine überflüssige
Kraftanstrengung betreibt, was bereits schon Sigmund Freud als etwas Gutes
lobte. Kraft erspart es etwa auch, wenn man Wörter benutzt, ohne sich um
ihre genaue Bedeutung zu scheren. „Sie blenden das Augenlicht des Riesen“
Polyphem, hört man in einer Arte-Doku über Odysseus, obwohl „blenden“ in
solchem Zusammenhang bereits „blind machen“ bedeutet.
In einer Wissenschaftssendung auf ZDF info erblickte hingegen „ein riesiger
Meilenstein“ das Licht der Welt. Einen großen Fortschritt bezeichnend, ist
ein Meilenstein im übertragenen Sinn immer riesig; nur im Wortsinne, als
steinerne Wegmarke, ist er klein. Aber um ein „wortwörtlich“ zweites Fass
aufzumachen: Diese „buchstäblich“ falsche Verwendung ist weitaus häufiger
als die sprichwörtlich richtige.
## Nur der grimme Sprachwart
„Wien war einige Monate lang buchstäblich der Nabel der Welt“, behauptete
die taz einst über den berühmten Kongress, obwohl die Stadt Wien das 1815
nur bildlich war. Besonders schön kann es Karl-Heinz Rummenigge: „Wir sind
beschissen worden, im wahrsten Sinne des Wortes!“, klagte er beleidigt nach
dem Ausscheiden des FC Bayern im Europapokal.
Der riesige Meilenstein ist die sprichwörtliche Stecknadel im Heuhaufen der
falsch angewendeten Wörter und Redensarten und nur eines von sehr vielen
Beispielen dafür, dass die Leut’ über ihre Sprache nicht nachdenken: Im
Bestreben, ihre Meinung durch einen metaphorischen Ausdruck
herauszustreichen – streichen sie sie heraus und sagen etwas anderes als
beabsichtigt.
Nur merkt es außer dem grimmen Sprachwart niemand, im Gegenteil: Die
gewollte Aussage wird „buchstäblich“ besser verstanden! Dafür lohnt sich
natürlich jede Kraftanstrengung. Deshalb könnten Übertreibungen vielleicht,
nein: sind Übertreibungen auf jeden Fall immer nützlich und förderlich. Es
reicht zum Beispiel nicht zu sagen, jemand sei viel wohlhabender als der
Rest der Welt, wenn derjenige „extrem viel wohlhabender“ sein kann (Der
Spiegel).
## Supervollstes Verständnis
Und eine Skirennfahrerin – sie ist nicht die Favoritin und auch nicht die
„Topfavoritin“, sondern die „absolute Topfavoritin“ (taz) und deshalb einer
der „absoluten Spitzenstars“ (arte), nicht einer dieser gewöhnlichen
Spitzenstars oder alltäglichen Stars wie du und ich – hat für die Absage
eines Rennens wegen schlechten Wetters „vollstes Verständnis“ (NDR 4), weil
volles nicht genügt; aber müsste es nicht „supervollstes“ heißen, damit man
weiß, dass sie Verständnis hat?
Und Sie, haben Sie jetzt auch supervollstes Verständnis für
Kraftanstrengungen wie diese Glosse mit ihren erstaunlichen Überraschungen?
12 Jun 2019
## AUTOREN
DIR Peter Köhler
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