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       # taz.de -- Kolumne Lost in Trans*lation: Gezi ist noch immer aktuell
       
       > Sie ist nicht tot – die Protestbewegung, die aus dem Istanbuler Gezipark
       > entstand. Im Bürgermeisterwahlkampf lebt sie weiter.
       
   IMG Bild: Unterstützer*innen von Ekrem İmamoğlu bei einer Kundgebung im Stadtteil Maltepe am Mittwoch
       
       Vor sechs Jahren entwickelten sich die Proteste, die im Istanbuler Gezipark
       begannen, innerhalb kurzer Zeit in eine landesweite Bewegung. In einen
       Widerstand, der die soziale und politische Beschaffenheit der Türkei
       veränderte. Dieser Widerstand ist Grund dafür, dass es den Gezipark heute
       immer noch gibt und dass dieser Park heute einerseits eine symbolische
       Bedeutung für die Widerständigen hat und andererseits für die Angst der
       AKP-Regierung steht.
       
       Als würde sie damit den Widerstand von Gezi rächen wollen, bereitete die
       Regierung mit Einschränkungen und Verboten, die ihre Wirkung zunehmend
       entfalteten sowie dem auf den Putschversuch vom 15. Juli 2016 folgenden
       zweijährigen Ausnahmezustand das Fundament eines totalitären Regimes vor.
       Ein Beispiel: Weil Gezi eine so große Ausstrahlungskraft hatte, nahmen 2013
       und 2014 mehr als 100.000 Personen an der Istanbul Pride teil.
       
       2015 wurde die Istanbul Pride dann verboten. Trotz der vielen
       Unannehmlichkeiten und Einschränkungen, der Verbote und der menschlichen
       Verluste, trotz all der Menschen in den Gefängnissen wahrt der Widerstand
       von Gezi und der mit ihm verbundene Wunsch nach politischer Veränderung
       auch nach sechs Jahren seine Aktualität.
       
       Gleichzeitig stehen nun Personen vor Gericht, die als vermeintliche
       Organisatoren der Gezi-Proteste ins Visier geraten sind: die Architektin
       Mücella Yapıcı etwa, Osman Kavala, Unternehmer und wichtiger Name aus der
       Zivilgesellschaft, oder der Schauspieler Mehmet Ali Alabora gehören zu den
       16 Angeklagten des sogenannten Gezi-Prozesses. Erster Prozesstag ist der
       24. Juni.
       
       Es ist auffällig, dass dieser Prozess nur einen Tag nach der Wiederholung
       der Bürgermeisterwahl von Istanbul beginnt. Jener [1][Bürgermeisterwahl am
       23. Juni], bei der CHP-Kandidat Ekrem İmamoğlu einmal mehr gegen den
       AKP-Kandidaten Binali Yıldırım antritt, eine Wahl die zum Wendepunkt im
       Kampf gegen das Erdoğan-Regime werden könnte. Sollte die AKP, wie schon
       Ende März geschehen, Istanbul ein zweites Mal an die CHP verlieren, würde
       sich das auch auf den Beginn des Gezi-Prozesses einen Tag später in Silivri
       auswirken.
       
       Die Bevölkerung der Türkei möchte kein Land mehr, das von einem radikal
       islamistischen Diktator geführt wird. Die Menschen wollen ein Leben in
       einer echten Demokratie, einem echten Rechtsstaat. Deshalb könnte die
       Bürgermeisterwahl in Istanbul vielleicht der erste Schritt der
       Konkretisierung jener Wünsche werden, die bei den Gezi-Protesten
       artikuliert wurden.
       
       14 Jun 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://gazete.taz.de/article/?article=!5602538
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michelle Demishevich
       
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