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       # taz.de -- Zwangsprostituierte aus Westafrika: Der Traum von Europa
       
       > Tausende Westafrikanerinnen landen als Prostituierte in Europa, gefügig
       > gemacht durch Bedrohung und religiöse Rituale. Einige Täter stehe vor
       > Gericht.
       
   IMG Bild: Europäische Realität: Nigerianische Sexarbeiterinnen auf dem Straßenstrich in Süditalien
       
       Hannover taz | Fünf Jahre Haft wegen Beihilfe zum Menschenhandel, zur
       Zuhälterei und wegen Betrugs. Weitere Strafen sehen mehr als drei Jahre
       Freiheitsentzug sowie Bewährungen vor. Das ist das Urteil in einem
       spektakulären Prozess gegen die Betreiber der süddeutschen Bordellkette
       „Paradise“, der in Stuttgart im Februar nach vielen Monaten zu Ende
       gegangen ist.
       
       Die Urteile sind eine Ausnahme. Gewöhnlich enden Gerichtsprozesse gegen
       Bordellbetreiber und Menschenhändler, die Frauen aus Osteuropa, Afrika und
       Asien in die Prostitution zwingen, wie jener Anfang Juni in Braunschweig in
       Niedersachsen: mit Freispruch.
       
       Einer 62-jährigen Frau war vorgeworfen worden, Frauen aus Nigeria unter
       anderem mit einem Voodoo-Zauber, dem sogenannten Juju, zur Sexarbeit
       gezwungen zu haben. Dass die Frauen keine Papiere hatten, habe die Frau
       nicht gewusst, erklärte sie.
       
       Auch seien die Frauen von ihr nicht zur Prostitution genötigt worden,
       sondern hätten das freiwillig getan. Die mutmaßliche Täterin wurde
       freigesprochen, weil die Nigerianerinnen bei der Polizei und im
       Gerichtssaal unterschiedliche Aussagen gemacht hatten.
       
       ## Verunsichert und eingeschüchtert
       
       Folgt man dem Gericht, musste es die 62-Jährige freisprechen: in dubio pro
       reo – im Zweifel für die Angeklagte. Folgt man indes den Erfahrungen von
       Mitarbeiter*innen in Beratungsstellen gegen Menschenhandel und
       Zwangsprostitution, verschiebt sich das Bild. Die Expert*innen wissen, wie
       ängstlich, verunsichert und eingeschüchtert Opfer von Zwangsprostitution
       häufig sind und sich daher im Laufe eines Verfahrens durchaus in
       Widersprüche verwickeln können. Opfer und Täter sitzen sich im Gerichtssaal
       gegenüber, mitunter kommt es zu offenen Drohungen.
       
       Özlem Dünder-Özdogan, Juristin und Koordinatorin bei Kobra, einer
       Beratungsstelle gegen Menschenhandel in Hannover, hat das einmal miterlebt.
       Eine junge Frau aus Bulgarien hatte gegen zwei Männer – Vater und Sohn –
       ausgesagt. Im Publikum saß die Ehefrau und Mutter, irgendwann griff sie die
       junge Frau direkt an: „Wenn du zurück bist in Bulgarien, wirst du sehen,
       was du davon hast.“ Dünder-Özdogan, die einen türkischen
       Migrationshintergrund hat, hatte die Drohung verstanden und gemeldet, der
       Prozess wurde fortgesetzt, die junge Frau blieb standhaft. „Eine Ausnahme“,
       sagt die Kobra-Mitarbeiterin.
       
       Menschenhandel und Zwangsprostitution sind eng miteinander verknüpft. 83
       beziehungsweise 72 Prozent der verschleppten Frauen und Mädchen werden laut
       eines Berichts der Vereinten Nationen (UN) sexuell ausgebeutet. Männliche
       Opfer von Menschenhandel werden in der Regel zur Arbeit gezwungen. 25.000
       Opfer von Menschenhandel haben die UN vor drei Jahren ausfindig gemacht.
       Die Dunkelziffer dürfte höher sein. Das Bundeskriminalamt registrierte 2017
       in Deutschland 489 sexuell ausgebeutete Opfer und 523 Tatverdächtige.
       
       ## Osteuropäerinnen kommen oft freiwillig
       
       Mechanismen, Anwerbestrategien und die rechtliche Situation im Sexgewerbe
       haben sich im Laufe der vergangenen Jahre verändert, unter anderem durch
       das Freizügigkeitsrecht der EU, wonach EU-Bürger*innen bis zu drei Monate
       in einem EU-Land arbeiten dürfen.
       
       Das nutzen heute vor allem Sexarbeiterinnen aus Bulgarien und Rumänien,
       sagt Johanna Weber, Vorstand beim Berufsverband erotische und sexuelle
       Dienstleistungen. „Sie kommen für zwei, drei Monate nach Deutschland,
       arbeiten hier und fahren zurück nach Hause.“ Das sei selbstbestimmte und
       keine Zwangsprostitution.
       
       Einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN)
       zufolge könne sich aus einer anfänglich freiwilligen Sexarbeit rasch
       Zwangsprostitution entwickeln, in diesen Fällen seien sowohl Täter*innen
       als auch Opfer häufig arm und bildungsfern, die meisten kommen aus
       Osteuropa. Für die Studie wertete das KFN Polizeiakten aus den Jahren 2009
       bis 2013 aus.
       
       Unterdessen steigt die Zahl der Frauen, die in Afrika mit fadenscheinigen
       Versprechen für die Prostitution angeworben nach Europa verschleppt werden.
       Manche Opfer kommen nach Deutschland und hoffen hier auf Hilfe. Doch die
       finden sie kaum – unter anderem aufgrund des geltenden EU-Migrationsrechts.
       
       Den ganzen Schwerpunkt der taz nord zur Zwangsprostitution von
       Westafrikanerinnen lesen Sie in der taz am Wochenende oder [1][hier].
       
       14 Jun 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schmollack
       
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