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       # taz.de -- Juristin über Zwangsprostitution: „Die Frauen glauben an Juju“
       
       > Wie werben Menschenhändler Frauen für die Prostitution an? In dem sie
       > ihnen goldene Versprechungen machen, sagt Özlem Dünder-Özdogan von Kobra.
       
   IMG Bild: Der Ätna in Sichtweite: Arbeitsplatz von Sexarbeiterinnen aus Nigeria auf Sizilien
       
       taz: Frau Dünder-Özdogan, in Bremen muss sich gerade ein Mann wegen des
       Verdachts [1][auf Zwangsprostitution] vor Gericht verantworten. Wie oft
       kommt das vor? 
       
       Özlem Dünder-Özdogan: Nicht häufig, wir begleiten jedes Jahr zwei bis drei
       Opfer bei einem Prozess. In der Regel kommt es erst gar nicht zum Prozess,
       auch wenn relativ klar ist, dass Frauen Opfer von Menschenhandel und
       Zwangsprostitution geworden sind.
       
       Warum kommt es so selten zum Prozess? 
       
       Solche Verfahren stehen und fallen mit den Aussagen der Betroffenen, die
       überragende Bedeutung für den Erfolg eines Strafverfahrens haben. Häufig
       sagen die Frauen erst nicht aus.
       
       Warum nicht? 
       
       Manche sind so stark traumatisiert, dass sie nicht stabil genug für einen
       Prozess sind. Viele haben Angst vor den Tätern, vor allem dass diese ihren
       Kindern und Familien in den Heimatländern etwas antun. Manchmal scheitern
       die Prozesse mangels belastbarer Aussagen der Frauen. Oft werden die Täter
       freigesprochen, weil die Tat nicht bewiesen werden kann.
       
       Können die Frauen auf eine solche Situation nicht vorbereitet werden? 
       
       Selbst wenn sie gut vorbereitet sind, sitzen sie im Gerichtssaal dem Täter
       gegenüber, das verursacht hochemotionale Ausnahmesituationen, das
       überfordert sie zum Teil. Viele Opfer, die zu uns kommen, zeigen die Täter
       erst gar nicht an. Sie sagen: Ich kann nicht zur Polizei gehen, sonst werde
       ich weiter bedroht. Zugespitzt kann man sagen: Nur ein Bruchteil der Täter
       wird geschnappt, von denen stehen wenige vor Gericht und noch weniger
       werden verurteilt.
       
       Wie viele Frauen betreuen Sie bei Kobra? 
       
       Im vergangenen Jahr hatten wir 57 Erstkontakte, in diesem Jahr sind es bis
       jetzt schon 48. Wir sind uns sicher, dass es sich bei den von uns
       begleiteten Frauen nur um einen Bruchteil der in Niedersachsen insgesamt
       Betroffenen handelt. Zumal nicht alle Opfer an Beratungsstellen vermittelt
       werden oder keinen Kontakt haben möchten.
       
       Was heißt Erstkontakte? 
       
       Das sind Frauen, die erstmals in unsere Beratungsstelle gekommen sind,
       entweder auf Eigeninitiative oder sie werden von der Polizei oder anderen
       Organisationen vermittelt. Nicht alle betreuen wir bis zu einem
       Gerichtsprozess. Manche brauchen nur einen Rat oder sonstige Hilfe, andere
       brauchen Hilfe bei der Rückkehr ins Heimatland.
       
       Wie kommen die Frauen in Ihre Beratungsstelle gegen Menschenhandel und
       Zwangsprostitution? 
       
       Unsere Adresse ist nicht öffentlich bekannt. Die Frauen aus Afrika sind in
       ihrer Community meist gut vernetzt, hören dort von uns und stehen dann
       unvermittelt vor der Tür. Die Polizei bringt häufig Frauen zu uns, die sie
       aus einem Bordell geholt haben. Wir bringen sie in Frauenhäusern in ganz
       Niedersachsen sicher unter.
       
       Woher kommen die Frauen? 
       
       Im vergangenen und in diesem Jahr verstärkt aus Afrika, insbesondere aus
       Nigeria. Gefolgt von deutschen Betroffenen und Bulgarinnen. Früher kamen
       die Frauen vor allem aus Bulgarien.
       
       Im Gegensatz zu den bulgarischen Frauen, die über die EU-Freizügigkeit hier
       legal arbeiten dürfen, ist das den Frauen aus Afrika verboten. Trotzdem
       floriert das Sexgeschäft mit ihnen. 
       
       Das läuft vielfach im Verborgenen, in Wohnungen, in denen die Frauen als
       Sexarbeiterinnen nicht angemeldet sind, obwohl sie das laut Gesetz sein
       müssten. Diese Illegalität erschwert es der Polizei, Zwangsprostitution
       aufzudecken und zu bekämpfen. Für die Frauen bedeutet das häufig, dass sie
       eingesperrt sind und keine sozialen Kontakte haben. Andere dürfen auf die
       Straße gehen, trauen sich das aber nicht.
       
       Viele nigerianische Opfer werden erst gar nicht entdeckt? 
       
       Ja. Erschwerend kommt hinzu, dass sie meist über Italien oder Frankreich
       nach Deutschland kommen. Das Dublin-III-Abkommen schreibt vor, dass sie
       zurückgebracht werden müssen in das EU-Land, das sie zuerst betreten haben.
       Dort wird den Frauen aber nicht geholfen, im Gegenteil, sie haben nach
       ihrer Rückkehr mit noch größeren Repressalien zu rechnen als vorher.
       
       Wie funktioniert das Anwerben der Frauen durch Menschenhändler? 
       
       Sowohl in Afrika als auch in Europa werden junge Frauen und Mädchen von
       sogenannten Madames angesprochen und mit einem „lukrativen Jobangebot“ in
       Deutschland oder Italien gelockt. Oft wissen die Frauen nicht, wo sie
       arbeiten werden, viele stellen sich einen Friseursalon oder die Gastronomie
       vor. Bei den Betroffenen aus den EU-Ländern wissen manche, dass es sich um
       Prostitution handelt. Aber erst in Deutschland merken sie, dass sie nicht
       frei entscheiden können. Dann haben sie meist mehr Freier, als sie wollen,
       und sie bekommen nur einen Bruchteil des Verdiensts.
       
       Die afrikanischen Frauen haben zudem mit einem Voodoo-Zauber zu kämpfen. 
       
       Ein traditioneller Ritus, Juju genannt. Die Betroffenen müssen gegenüber
       einem Priester schwören, dass sie den Anweisungen der Madames bedingungslos
       folgen. Es werden ihnen Fingernägel oder Schamhaare abgeschnitten, in ein
       Gefäß getan und an einem dunklen Ort verborgen. Der Priester suggeriert,
       dass er mit diesen Dingen eine Kraft entwickeln kann, die bis nach Europa
       reicht und die Frau vernichten kann, wenn sie sich falsch verhält. Daran
       glauben die Frauen fest, ihre Angst, dass der Juju wirkt, ist sehr groß.
       
       Frauen sollen ebenso über die sogenannte Loverboy-Methode
       zwangsprostituiert werden. Wie geht das? 
       
       In diesem Fall gaukeln Menschenhändler potenziellen Opfern die große Liebe
       vor. Anfangs erhalten die Frauen Geschenke, der Mann vermittelt
       Geborgenheit und sagt: „Du bist meine große Liebe.“ Die Loverboys haben ein
       Fingerspitzengefühl dafür, bei welcher Frau das zieht. Auf diese Weise
       werden auch deutsche Mädchen in die Prostitution gedrängt.
       
       Auch deutsche Mädchen? 
       
       Das ist kaum bekannt. Dieses Phänomen betrifft auch Mädchen, die aus
       gutbürgerlichem Hause kommen, aber von den Eltern vielfach nicht die
       Aufmerksamkeit und Zuneigung erfahren, die sie brauchen. Sie sind anfällig
       für die „große Liebe“ und ahnen nicht, dass die nur vorgegaukelt ist.
       
       Wie kriegt der Loverboy das Mädchen letztlich ins Bordell? 
       
       Irgendwann sagt der Loverboy: „Hey, wir waren in Paris und in Rom, das war
       toll, wir könnten eine Familie gründen. Aber das kostet Geld und du
       könntest etwas zu unserer gemeinsamen Zukunft beisteuern. Ich habe gehört,
       dass man in der Prostitution schnell und viel Geld verdienen kann.“ In
       solchen Fällen geht es nicht nur um physische Gewalt, sondern um psychische
       Abhängigkeit, die systematisch hergestellt wird.
       
       Unter diesen Umständen dürfte es noch schwieriger sein, die Menschenhändler
       vor Gericht zu stellen. 
       
       Ja. Irgendwann wissen die Mädchen zwar, dass sie einem Betrug aufgesessen
       sind, aber kaum eine von ihnen schafft es, sich aus diesem Teufelskreis aus
       Lügen und emotionaler Abhängigkeit zu lösen. Manche Mädchen, die gegen den
       Täter aussagen, ziehen ihre Anzeigen später zurück, weil sie hoffen, dass
       er sich am Ende doch noch für sie entscheidet.
       
       Zurück zu Nigeria. Dort gibt es seit Jahren Warnkampagnen gegen die Maschen
       der Menschenhändler. Erfolgreich? 
       
       Welche Wirkung diese Kampagnen haben, kann ich nicht sagen. Ich weiß aber
       von einem Video, in dem ein hoher Priester vor Juju warnt und erklärt, dass
       Voodoo keinerlei Macht über Menschen hat. Dennoch bleibt die Angst bei den
       Frauen groß und bestimmt ihr Leben.
       
       Wie kann Zwangsprostitution wirksam vorgebeugt werden? 
       
       Prävention und Aufklärung sind unabdingbar, reichen aber bei weitem nicht
       aus. Wichtiger ist das Handeln der Regierungen. Die Frauen, die heute
       beispielsweise aus Bulgarien angeworben werden, gehören ethnischen
       Minderheiten an und leben dort schutz- und rechtlos am Rande der
       Gesellschaft. Aufgabe der bulgarischen Regierung ist es, diese Menschen
       wieder einzubinden in die Gemeinschaft und sie dadurch zu stärken.
       
       Wollen Opfer, die aus der Zwangsprostitution aussteigen konnten, zurück in
       ihre Heimatländer? 
       
       Die bulgarischen Frauen kehren vorwiegend zurück zu ihrer Familie, die
       meisten haben kleine Kinder. Die afrikanischen Frauen wollen in Deutschland
       bleiben, weil sie in Afrika weiterhin gefährdet sind. Wir versuchen, ihnen
       dabei zu helfen, in Deutschland ein eigenständiges Leben aufzubauen.
       
       24 Jun 2019
       
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   DIR Simone Schmollack
       
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