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       # taz.de -- Manipulation im Privatfernsehen: Mut zur Aufklärung
       
       > RTL hat einen Reporter überführt, der über Jahre Fernsehbeiträge
       > manipulierte. Ein „RTL-Relotius“? So einfach ist es nicht.
       
   IMG Bild: In Verruf geraten: RTL hat einen Mitarbeiter der Manipulation von Fernsehbeiträgen überführt
       
       Es gibt gewiss Leute, die es sich jetzt einfach machen und denken: „Noch so
       ein Betrüger im Journalismus! Scheint ja weit verbreitet zu sein.“ Der
       Betrugsfall bei RTL wäre dann nur einer von mehreren Beweisen.
       
       Am Freitag wurde bekannt, dass sich der Privatsender von einem Reporter
       getrennt hat, wegen gefälschter Fernsehbeiträge. Über Jahre soll der freie
       Mitarbeiter immer wieder Aufnahmen in den falschen Kontext gesetzt haben.
       Sogar ein Interview mit dem Sänger Lionel Richie hatte er im Schnitt
       verfälscht. Herausgekommen war der Betrug nun durch den internen Hinweis
       einer Mitarbeiterin, [1][teilt der Sender mit].
       
       Der Programmchef von RTL Nord wird mit den Worten zitiert, die Beiträge
       seien zwar „nicht erfunden, aber handwerklich und inhaltlich sehr geschickt
       dahingehend manipuliert, dass sie aufregender und größer wirken sollten,
       als es die Realität hergab“. Die Beiträge liefen zwischen 2015 und 2019 in
       den Sendungen „Punkt 12“ und „RTL Nachtjournal“ sowie im Programm von „RTL
       Nord“. RTL hat sie online gesperrt.
       
       ## Aus dem Zusammenhang gerissen
       
       Laut RTL habe eine Mitarbeiterin von RTL Nord im Mai zum ersten Mal ihren
       Verdacht geäußert. Der Reporter hatte eine angebliche medikamentenabhängige
       Mutter porträtiert. Bei der Befragung des Kameramanns kam heraus, dass eine
       völlig andere Frau gefilmt worden war.
       
       Daraufhin hat der Sender offenbar weitere Arbeiten des Reporters überprüft.
       In einem Beitrag verwendete dieser Aufnahmen der Sängerin Melanie C. für
       einen Film über Desinfektionsmittel zum Thema „Hygiene-Wahn“. Dabei hatte
       sich diese einfach die Arme eingecremt.
       
       Schließlich fand RTL noch die Manipulationen im Interview mit Lionel
       Richie. Die Aufnahmen des Promis sind echt, sie stammen aus dem Material
       einer PR-Agentur – der Reporter hat sich aber nachträglich als Fragesteller
       hineingeschnitten. Oder schneiden lassen? Schwer vorstellbar, dass so ein
       Eingriff im Schnitt unbemerkt bleiben kann. Ob es Mitwissende gegeben hat,
       dazu sagt RTL nichts.
       
       ## „Typisch Privatfernsehen“ greift zu kurz
       
       In der Sendung „Punkt 12“ am Freitag entschuldigte sich Moderatorin Katja
       Burkard im Namen des Senders „für die mangelnde Sorgfaltspflicht“ des
       Mitarbeiters. Gemeint war gewiss „mangelnde Sorgfalt“. Obwohl.
       
       Während sich die Sendung „Punkt 12“ eher mit leichtem Promiklatsch und
       Alltagsthemen beschäftigt, hat das „RTL Nachtjournal“ hohe journalistische
       Ansprüche. Seit 2015 kooperiert die Redaktion regelmäßig mit dem
       Recherchebüro Correctiv. Es wäre daher zu einfach, den Betrugsfall von RTL
       als „typisch Privatfernsehen“ abzutun.
       
       In den sozialen Medien zogen Nutzer schnell die Parallele zum Spiegel – vom
       „RTL-Relotius“ war dort die Rede. Und es stimmt: In den vergangenen Monaten
       wurden ganz schön viele Manipulationen, Lügen und unsaubere Arbeiten im
       deutschen Journalismus öffentlich: Das Magazin der Süddeutschen Zeitung
       [2][überführte einen langjährigen Autor der Fälschung]. Eine Autorin des
       WDR hatte [3][in drei Dokumentationen dieselben Protagonisten] mit
       unterschiedlichen Namen und leicht abweichenden Geschichten präsentiert.
       Und eine Bloggerin log in mehreren Medien, Nachfahrin von
       Holocaust-Überlebenden zu sein.
       
       Alles äußerst unrühmlich für eine Branche, die unter Druck steht. Mehr denn
       je kämpfen Journalisten heute um Vertrauen. Durch das Internet hat das
       Publikum nämlich ein Instrument für eigenen Recherche, aber auch für
       Kritik. Glaubwürdigkeit ist deshalb ein hohes Gut. Auch weil
       Rechtspopulisten auf der ganzen Welt Journalisten zu Feinden erklären. Und
       schließlich, weil das wirtschaftliche Überleben der Branche auf dem Spiel
       steht.
       
       ## Der Wille ist da
       
       Wer dem Journalismus ohnehin misstraut, den dürften alle diese Betrugsfälle
       darin bestätigen. Dagegen, das muss man leider zugeben, ist es nicht ganz
       leicht anzukommen.
       
       Aber: Was all diese Fälle ja auch zeigen, ist, wie sich die Redaktionen um
       Aufklärung bemühen. Bei RTL war es die Kollegin, die dafür sorgte, dass der
       Betrüger überführt wurde. Beim SZ-Magazin war es die Redaktion selbst, beim
       WDR war es ein freier Journalist, der den Sender via Twitter auf die
       Unstimmigkeiten hinwies.
       
       Es spricht also einiges dafür, dass der Fall Relotius bei vielen
       Journalisten zu einem offeneren Umgang mit Fehlern sorgt. Dass Zweifel
       anzumelden nicht mehr gleich Denunziation bedeutet. Und dass Journalisten
       heute mehr denn je unter Beobachtung stehen – und dieser gerecht werden
       müssen.
       
       16 Jun 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.rtl.de/cms/in-eigener-sache-rtl-deckt-manipulierte-beitraege-eines-eigenen-reporters-auf-4355453.html
   DIR [2] /Ungereimtheit-bei-Recherche-aufgefallen/!5575133/
   DIR [3] /Fehler-in-Doku-Reihe-des-WDR/!5566363/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anne Fromm
   DIR Peter Weissenburger
       
       ## TAGS
       
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