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       # taz.de -- Katastrophenszenario im Theater München: Apokalypse light
       
       > An den Münchner Kammerspielen wird Lars von Triers opulenter
       > Weltuntergangsfilm „Melancholia“ auf ein minimalistisches Kammerspiel
       > reduziert.
       
   IMG Bild: Ihr Zittern lässt frösteln: Julia Riedler als Braut, hinten Eva Löbau
       
       Mit einem seiner besten Filme, „Melancholia“, hat der chronisch depressive
       Lars von Trier 2011 eine von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ wunderbar
       eingerahmte Weltuntergangsfantasie geschaffen, wie man sie sich
       bildgewaltiger und größenwahnsinniger kaum vorstellen kann. Die luxuriöse
       Hochzeit eines jungen Paares, Justine und Michael, gutaussehend, jung,
       erfolgreich, die eigentlich ein perfektes Leben führen könnten, wird zum
       Ausgangspunkt der Handlung, an deren Ende die Auslöschung der Menschheit
       steht.
       
       Die Zerstörung der Erde durch den Aufprall mit dem Planeten „Melancholia“
       wird für die psychisch lädierte Justine zur Erlösung, sie erwartet die
       Apokalypse mit stoischer Ignoranz, während rund um sie alle durchdrehen
       (ihre Schwester Claire), abhauen (ihr Bräutigam Michael) oder sich
       umbringen (ihr Schwager John).
       
       Bringt man diesen Stoff nun auf eine Theaterbühne, wäre es blanker Irrsinn,
       sich an den schwelgerischen Bildern des Films zu versuchen. Das weiß zum
       Glück auch Regisseur Felix Rothenhäusler. Er orientiert sich in seinem
       Remix zwar deutlich am Ausgangsstoff und erzählt den Plot konventionell und
       chronologisch nach: das pompöse Fest, Justines nächtliche Sex-Eskapade auf
       dem Golfplatz, die Flucht Michaels und schließlich die letzten Tage auf dem
       Landgut, bis die Welt nach dem Aufprall von „Melancholia“ in einem
       Flammenmeer untergeht, werden fein säuberlich von den fünf
       Schauspieler*innen referiert.
       
       ## In Glitzerkostümen dem Untergang entgegen
       
       Im Mittelpunkt steht Justine, von der großartigen Julia Riedler
       dargestellt. Als Trash-Braut in paillettenbesticktem engem Body, schwarzer
       Jogginghose, Plastikpumps und wallendem platinblonden Haar, quält sie sich
       durch ihre Hochzeit mit ihrem künftigen Ehemann, den Thomas Hauser
       genderfluid und entrückt im weißen Anzug spielt. Akribisch durchgeplant
       wird das Fest von ihrer hyperaktiven, perfektionistischen Schwester Claire
       – Eva Löbau im 80er-Look in babyblauem Rüschenkleid, rotglitzernden
       Stilettos und Vokuhila-Frisur.
       
       Die prägnanten Kostüme von Elke von Sivers sind ein spannungsreicher
       Kontrast zum präapokalyptischen und kargen Szenario, in der sich die
       Menschen so weit voneinander isoliert haben, dass sie in vielen Dialogen
       keinen Blickkontakt suchen. Sie starren ins Leere oder ins Publikum. Die
       unterkühlte Atmosphäre wird durch den spartanischen Elektro-Sound von
       Musiker Christian Naujoks, der selbst als Teil des Stücks die Klänge auf
       der Bühne steuert, passend untermalt. Das fünfköpfige Ensemble agiert auf
       einer minimalistischen und dunklen Bühne ohne Requisiten auf einem
       reflektierenden, schachbrettartigen Glasboden.
       
       Berührt das Stück? Teilweise, was vor allem an den eindringlichen und
       präzisen Darstellungen von Riedler und Löbau liegt. Lobäu darf als
       exaltierte Performerin Remmidemmi machen, Riedler sich der Verlorenheit
       ihrer Figur im körperlichen und mimischen Zittern, das einen frösteln
       lässt, hingeben. Doch dann ist man wieder irritiert, weil die Stimmungslage
       willkürlich kippt. Das eisgekühlte Szenario wechselt mit den Akzenten, die
       beispielsweise Majd Feddah als machohafter Wichtigtuer John setzt, dem
       unter der Strasskette die Brusthaare aus dem Hemd quillen.
       
       ## Lachen der Erleichterung
       
       Seine slapstickhaften Plänkeleien quittiert das Publikum mit Lachen.
       Merkwürdigerweise kein zynisches Lachen, sondern eher ein Aufatmen
       angesichts der dräuenden Katastrophe. Rothenhäuslers Ansatz ist keineswegs
       so düster, wie man es angesichts des drohenden Weltuntergangs vermuten
       würde. Er strebt ein „Theater der Potentialität“ an, dass die Perspektive
       vom Ende der Möglichkeiten zur Möglichkeit der Veränderung verschieben
       will, so analysiert es der Theaterwissenschaftler Nikolaus Müller-Schöll in
       einem Text zum Stück.
       
       Die Adaption des Films ist Stärke und Schwäche zugleich. Stärke, weil man
       mit dieser universellen Geschichte zumindest ein wenig von existenziellen
       Themen erfährt. Schwäche, weil sich das Konzept des permanenten
       Nacherzählens des Plots durch die Akteure mit der Zeit erschöpft und weil
       man als Kenner*in des Films bei jeder Theaterszene sofort die
       entsprechenden Filmbilder im Kopf hat, eben weil sie so magisch sind. Es
       fällt nicht leicht, sich im Verlauf dieses artifiziellen und wenig
       sinnlichen Theaterabends von ihnen zu lösen und auf etwas Neues
       einzulassen. Der große Erleuchtungsknall bleibt aus.
       
       19 Jun 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Annette Walter
       
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