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       # taz.de -- Kolumne Schlagloch: Keine Toleranz nach rechts!
       
       > Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck fordert Toleranz nach rechts.
       > Doch es ist wirklich nicht die Zeit für Rechtsversteher.
       
   IMG Bild: Altbundespräsident Joachim Gauck bei der Vorstellung seines Buchs
       
       Jetzt predigt Joachim Gauck „Toleranz nach rechts“. Und Mut zu weniger
       Toleranz für alle anderen. Der Altbundespräsident ist a. D. ein noch
       schwächerer Ideengeber. Gauck, bekannt geworden als Freiheitskämpfer,
       stellt sich mit seinen Aussagen nun in den Dienst rechter Opferrhetorik.
       Danke, Herr Gauck. Not my President brauche ich jetzt zum Glück nicht mehr
       zu sagen.
       
       Gauck kommt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Das konnte er nicht
       wissen, als er sein Buch geschrieben hat. Der tragische [1][Mord an Lübcke]
       demaskiert jedoch die Verharmlosung der Rechtsversteher. Rechtsversteher
       behaupten, in einer Demokratie müsse auf Menschen- und
       Demokratiefeindlichkeit mit Verständnis reagiert werden. Als hätten sie
       noch nie von Poppers Demokratie-Paradox gehört. Ihr Argument geht von dem
       Wunschdenken aus, bei Gesprächen mit Rechten ginge es um rationale
       Argumente.
       
       Das Reden für und mit Rechten verstärkt die Spaltung, weil es der Mehrheit
       und den vielen Minderheiten in diesem Land, die friedlich zusammenleben
       wollen, den Rücken zukehrt. Dieses wachsweiche Reden über die Bedrohung von
       rechts setzt sich über anerkannte Erkenntnisse der
       Rechtsextremismus-Forschung hinweg: Die Gewalt der Ränder nährt sich von
       den Reden der Mitte. Wo die Mitte der Gesellschaft im Kampf um Demokratie
       und Menschenrechte versagt, wo ebendiese Mitte nicht zu einer klaren
       Haltung und Sprache findet, dort sehen sich die Ränder legitimiert, der
       verlängerte gewalttätige Arm zu sein.
       
       Es darf nicht sein, dass Menschen, die sich in diesem Land öffentlich für
       die Einhaltung von Menschenrechten einsetzen, an den Pranger gestellt
       werden von aufpeitschenden Akteuren, die dann als Verängstigte und
       Verlassene verharmlost werden. Diese Akteure kennen ihre Zielgruppen. Sie
       wissen, wie sie Menschen zur Zielscheibe machen. Eigentlich haben wir jetzt
       eine Aufgabe für Heimat-Horst: Make Heimat safe again! Safe from
       destructive nationalism.
       
       Doch es geht jetzt nicht um Heimat-Horst, es geht um Gauck. Gerade Gauck,
       der sich gerne als pastoraler Demokrat gibt, macht sich nun zum
       Helfershelfer für Rechte, für die Freiheit nur dann wichtig ist, wenn es um
       ihre eigenen Rechte geht. Gauck war ein merkwürdiger Präsident, im Fußball
       würde man sagen: ein ewiges Talent. Die Erwartungen waren hoch, geliefert
       hat er nie. Was er nachliefert, sollte er sich besser sparen.
       
       Zu seiner Amtszeit lud er zur Einbürgerungsfeier nach Berlin, bat
       Migrantinnen und Migranten ins Schloss Bellevue, um ihnen zur deutschen
       Staatsbürgerschaft zu gratulieren. Er brauchte dafür Publikum, und so saßen
       Leute wie ich oder Serdar Somuncu da und spielten es. Gaucks
       Einbürgerungsfeier war feierlich, doch sie war auch geprägt von einem
       platten Patriotismus. Ich fühlte mich als Publikum missbraucht für ein
       Demokratieverständnis, das einer Einwanderungsgesellschaft nicht würdig
       ist. Ein Beispiel dafür war Gaucks Lob für einen Neubürger: Dieser habe
       sich am Valentinstag einbürgern lassen, weil er Deutschland so liebe. Gauck
       strahlte nach diesem Satz sein seltsames Lächeln, das er so gerne lächelte,
       als hätte er sich mit der Welt so intim auseinandergesetzt, dass er alles
       über sie wüsste. Er wünsche sich, dass mehr Deutsche die ungezwungene Liebe
       zu ihrem Vaterland an dem Tag legen würden. Das sei für Deutsche manchmal
       leider sehr kompliziert alles. Ach ja, warum nur?
       
       Es war damals en vogue, für „die neuen Deutschen“ zu sein. Er lud sich
       gerne junge erfolgreiche Menschen ein, die mit ihm feiern und ausgelassen
       sein sollten. Es war die Zeit, bevor die Stimmung kippte, Willkommenskultur
       stand hoch im Kurs. Doch seine Grundsatzrede zum Thema Einwanderung blieb
       die großen Entwürfe schuldig. Nun sorgt er sich um wachsenden Nationalismus
       und bietet Nationalisten die empathische Zuwendung an.
       
       Gauck gehört nun zu den Rechtsverstehern. Gerade nach dem vermutlich
       politischen Mord an Lübcke ist es jedoch höchste Zeit, dem rechten Reden
       Grenzen zu setzen. Das rechte Reden ist nicht harmlose Verirrung, es ist
       oft gespickt mit tiefer Verachtung. Gaucks wie immer weichgespülte Rhetorik
       verharmlost und meint, mit etwas zugewandtem Tätscheln ließe sich „die
       Trotzreaktion“ beheben. Der gesamt Wortschatz, der sich um das Phänomen
       „Mit Rechten reden“ etabliert hat, muss jetzt in seiner Tendenz, zu
       verharmlosen, seziert werden. Wo so manche Rechte von Bürgerkrieg sprechen,
       interpretieren Rechtsversteher: Ist nur eine Trotzphase. Bitte noch eine
       Runde Zuwendung!
       
       Gauck ist mit dieser Haltung leider ein Prototyp. Der lautstarke Ruf nach
       mehr Toleranz geht vor allem in eine Richtung: für Toleranz in Richtung
       rechts. Wenn es um Einwanderungspolitik geht, kann man die Platte einfach
       umdrehen, da heißt es dann: Schluss mit der Toleranz! Rechte kann man
       angeblich mit Toleranz wieder in die Gesellschaft holen. Ausländische
       Communities hingegen bleiben mit Toleranz Parallelgesellschaften.
       
       Vielleicht wäre den Diskursen schon geholfen, wenn jedem klar wäre:
       Demokratische und autoritäre Tendenzen ziehen sich durch alle ethnischen
       Gruppen hindurch, inklusive der deutschen ohne Migrationshintergrund. Die
       Gegner der Demokratie sitzen in allen Milieus. Es ist nicht die Zeit, mehr
       Verständnis für die eine oder andere Ethnie zu fordern, sondern die
       Demokratie zu stärken und autoritäres Denken anzugehen, gleich in welchen
       Gruppen oder Milieus.
       
       Am gefährlichsten ist das Antidemokratische jedoch nicht in den
       Parallelgesellschaften, sondern in der deutschen Mehrheitsgesellschaft: Im
       Verhältnis zu ihrer Stärke oder Schwäche entwickelt sich der rechte Rand.
       Joachim Gauck mutiert gerade zum Sarrazin light. Es braucht keine
       Brückenbauer von den rechten Rändern in die Mitte. Es braucht jetzt eine
       demokratiefähige Mitte, die sich nicht einschüchtern lässt und Grenzen
       setzt.
       
       Jagoda Marinić ist als [2][@jagodamarinic] bei Twitter unterwegs
       
       19 Jun 2019
       
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