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       # taz.de -- Prozess um mutmaßlichen Rizin-Anschlag: Bombengift aus Wunderbaumsamen
       
       > Ein Islamisten-Paar soll einen Anschlag mit dem Pflanzengift Rizin
       > geplant haben. Es wäre der erste dieser Art gewesen.
       
   IMG Bild: Ganz schön bedrohlich: Anschläge mit biologischen Kampfstoffen wie Rizin
       
       Düsseldorf/Berlin taz | Beamte in blauen und silbernen Schutzanzügen,
       Polizisten mit Gasmasken, Experten des Robert-Koch-Instituts: Nur mit
       höchsten Sicherheitsvorkehrungen näherten sich die Beamten im Juni
       vergangenen Jahres der Wohnung von Sief Allah H. in einem Hochhaus in
       Köln-Chorweiler. Er selbst war, ganz leger in Jogginghose und Schlappen
       gekleidet, zuvor festgenommen worden.
       
       An diesem Freitag nun sitzt der 30-jährige Tunesier hinter der dicken
       Panzerglasscheibe im Saal 1 des Düsseldorfer Oberlandesgerichts,
       Hochsicherheitstrakt. Auf seinem kahlrasierten Schädel, zu dem er Bart
       trägt, prangt ein Kopfhörer – darüber hört er den Dolmetscher, der das
       Gerichtsgeschehen ins Arabische übersetzt.
       
       Seine Frau, die 43-jährige Yasmin H., eine Deutsche mit roter Bluse und
       blondem Pferdeschwanz, darf vorne im Saal zwischen ihren VerteidigerInnen
       Platz nehmen. Sie wurde einige Wochen nach ihrem Mann festgenommen. Beide
       schauen auf die andere Seite des Saals, wo Bundesanwältin Verena Bauer am
       Mikrofon steht. Sief Allah H. zupft sich am Bart, immer wieder.
       
       Bauer klagt die beiden an, eine biologische Waffe hergestellt und eine
       schwere staatsgefährendende Gewalttat – sprich: einen Terroranschlag –
       vorbereitet zu haben. „Nahezu alle Utensilien dafür wurden beschafft“,
       liest die Oberstaatsanwältin aus der Anklage vor. Das Ziel: „eine möglichst
       große Anzahl Ungläubiger zu töten oder zu verletzen“. Die Eheleute hätten
       geplant, einen Anschlag mit dem hochgiftigen Bio-Kampfstoff Rizin zu
       begehen -„an einem geschlossenen und belebten Ort“, wie einem Restaurant,
       Bus oder Einkaufszentrum.
       
       ## Eine Splitterbombe aus Hautcreme und dem giftigen Rizin
       
       Das Paar erwog laut Anklage, entweder eine mit einer Mischung aus Hautcreme
       und Rizin präparierte Splitterbombe zu zünden, um das Gift mit Hilfe des
       Metalls direkt in den Körper der Opfer zu bringen. Oder das Rizin als
       Pulver im Raum zu verteilen, wo die Opfer es dann inhaliert hätten. Beides
       hätten die Angeklagten bereits nach Anleitungen in Propagandamaterial des
       „Islamischen Staates“ und mit Hilfe eines Anleiters per Telegram-Chat
       hergestellt.
       
       In der Wohnung der H.'s fanden die Beamten 3.150 Samen des sogenannten
       Wunderbaums, die von Natur aus Rizin enthalten. Aus weiteren 50 Samen
       hatten sie mit Hilfe von Cuttermessern, einer Knoblauchpresse und zwei
       elektrischen Kaffeemühlen das Gift bereits extrahiert, insgesamt 84,3
       Milligramm. Zudem wurden 250 Metallkugeln, zwei Flaschen
       Nagellackentferner, Drähte mit aufgelöteten Glühbirnen und ein knappes Kilo
       einer Schwarzpulver-Mischung sichergestellt – Utensilien zum Bau einer
       Bombe.
       
       Rizin ist eines der gefährlichsten natürlich vorkommenden Gifte, schon
       wenige Mikrogramm können tödlich sein. Allerdings tritt der Tod nicht
       sofort ein, sondern erst nach mehren Stunden, es kann auch zwei Tage
       dauern. „Es ist der erste Sachverhalt, bei dem ein dschihadistisch
       motivierter Täter biologische Waffen in Deutschland hergestellt hat“, sagte
       BKA-Chef Holger Münch nach Sief Allah H.'s Festnahme.
       
       Eine neue Dimension also: Hätte das Paar seine Pläne in die Tat umgesetzt,
       wäre es wohl der schwerste islamistische Terroranschlag in Deutschland
       geworden. Als im [1][Dezember 2016 IS-Terrorist Anis Amri einen LKW auf dem
       Berliner Breitscheidplatz steuerte], waren zwölf Menschen gestorben. Die
       H.'s aber wollten wohl mehr Menschen töten. Weil der Anschlagsort nicht
       bekannt sei, seien mögliche Auswirkungen nicht absehbar, sagte
       Bundesanwältin Bauer vor Prozessbeginn auf Nachfrage. Während der
       Ermittlungen war von bis zu 100 möglichen Opfern die Rede, im
       Innenausschuss des Bundestages hieß es sogar, dass es mehrere tausend Tote
       hätte geben können, wenn die H.'s. alle Samen verarbeitet hätten. Davon
       allerdings waren sie weit entfernt. Beiden drohen 15 Jahre Haft.
       
       ## Die Angeklagten schweigen
       
       Sief Allah H. schweigt seit seiner Festnahme, auch am ersten Prozesstag
       äußert er sich nicht. Yasmin H. sagt ebenfalls nicht aus. Laut ihrer
       Anwältin aber bestreitet die Frau die Tat: An einer Anschlagsplanung habe
       sie nie mitgewirkt.
       
       Die Bundesanwaltschaft sieht das anders. Bereits im Herbst 2017 habe das
       Ehepaar den Entschluss gefasst, in Deutschland einen islamistisch
       motivierten Anschlag zu verüben, trägt Bundesanwältin Bauer weiter vor.
       Deshalb hätten sie sich im Internet informiert, aber auch mit zwei
       Spezialisten über den Messengerdienst Telegram ausgetauscht. In einem der
       Chats, so Bauer, habe Sief Allah H. einen Treueeid auf [2][IS-Chef Abu Bakr
       al-Baghdadi] geleistet.
       
       Zwei mal fuhr Sief Allah H. laut Anklage nach Polen, um Feuerwerkskörper zu
       beschaffen, seine Frau bestellte weitere im Internet, daraus machten sie
       Sprengstoff. Mit einem Teil davon führte er erfolgreich eine Probesprengung
       durch, ein knappes Kilogramm fanden die Spezialisten in der Wohnung. Auch
       die Rizin-haltigen Samen bezogen sie auf drei unterschiedlichen Wegen im
       Internet. Einen kleinen Teil des hergestellten Gifts schmierten sie einem
       Hamster aufs Fell. Er überlebte.
       
       Die Ermittler vermuten, dass beide Eheleute schon radikale Muslime waren,
       als sie sich im Internet kennenlernten. Yasmin H., die 2004 zum Islam
       konvertiert sein soll, sei bereits ideologisch gefestigt gewesen und habe
       bewusst einen „radikalisierten Islamisten“ gesucht. Yasmin H., gelernte
       Arzthelferin, ist arbeitslos. Sief Allah H. lebte damals in Tunesien und
       schlug sich mit verschiedenen Jobs durch. Im Oktober 2015 heiratete das
       Paar, er zog zu ihr nach Köln-Chorweiler.
       
       ## Eigentlich wollte das Islamisten-Paar nach Syrien ausreisen
       
       Beide identifizierten sich seit langer Zeit mit dem „Islamischen Staat“,
       führt Bundesanwältin Bauer im Gerichtssaal aus. Schon zum Zeitpunkt der
       Heirat sei der Plan gewesen, gemeinsam nach Syrien auszureisen. Doch weil
       der Ex-Mann von Yasmin H. nicht bereit gewesen sei, die beiden gemeinsamen
       Kinder aufzunehmen, ihnen aber auch die Ausreise nicht erlaubte, versuchte
       Sief Allah H. es 2017 alleine, zweimal sogar. Doch beide Versuche, von der
       Türkei nach Syrien zu reisen, scheiterten. Laut Bundesanwältin Bauer soll
       Yasmin H. ihren Mann in beiden Fällen die Flüge dafür gebucht haben. Auch
       mietete sie Unterkünfte in der Türkei und schickte ihm Geld.
       
       Sief Allah H. kehrte nach Deutschland zurück – und blieb laut Anklage mit
       IS-Mitgliedern in Kontakt. „Mitglieder des IS schlug ihm im September und
       Oktober 2017 vor, in Deutschland einen Anschlag gegen die Ungläubigen
       durchzuführen“, liest Bauer weiter aus der Anklage vor. Durch
       IS-Propagandamaterial kamen Sief Allah H. und seine Frau auf das Biogift
       Rizin.
       
       Die Sicherheitsbehörden hatten Sief Allah H. seit Anfang 2018 als
       Islamisten auf dem Schirm, allerdings nicht einen möglichen Anschlag.Erst
       im Mai ging der entscheidende Hinweis im Bundesamt für Verfassungsschutz
       ein, dessen Zentrale nur wenige Minuten entfernt von dem Hochhaus ist, in
       dem die H.'s zuletzt lebten. Der US-amerikanische Partnerdienst wies die
       deutsche Behörde auf die Internetbestellungen des Paares hin.
       
       Terrorexperte Peter Neumann vom Londoner King's College glaubt, dass die
       Anschlagspläne der H.'s „aus dem Muster fallen“. Der Trend des IS gehe
       weiter zu einfachen Anschlägen in Europa, mit Messern, Äxten oder Autos.
       Das entspreche auch eher den Fähigkeiten der meisten IS-Rekruten. Anschläge
       mit biologischen Kampfstoffen wie Rizin hingegen seien sehr kompliziert.
       
       „Die Geschichte der chemischen und biologischen Terroranschläge ist
       insgesamt eine Geschichte des Scheiterns“, sagte Neumann der taz. Selbst
       der [3][Anschlag in der U-Bahn in Tokio 1995], bei dem Anhänger der
       „Aum“-Sekte 13 Menschen mit dem Nervengift Sarin ermordeten, sei nicht so
       gelaufen wie geplant. Die Attentäter hätten viel mehr Menschen töten
       wollen.
       
       ## Das Ziel ist vor allem der psychologische Effekt
       
       Doch gehe es vor allem um den psychologischen Effekt: „Ein solcher Anschlag
       löst mehr Panik aus als ein einfacher Sprengstoffanschlag.“ Und genau das
       sei das Ziel. Die tatsächliche Anschlagsgefahr hält Naumann indes für
       niedriger als noch 2016. Durch die Niederlagen im Irak und Syrien herrsche
       beim IS eher Flaute: „Die Szene sortiert sich neu und ist mit sich selbst
       beschäftigt“, so der Terrorexperte. Aber eine Gefahr sei nach wie vor da.
       
       Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und die Sicherheitsbehörden
       warnen weiter vor einer hohen abstrakten Anschlagsgefahr.
       Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang betonte erst kürzlich auf einer
       Tagung in Berlin, dass die islamistische Szene weiter zu Anschlägen
       aufrufe. Die Terrorgefahr sei „nach wie vor ungebrochen“. Als ein Beispiel
       nannte Haldenwang: den Kölner Rizin-Anschlagsplan.
       
       Als Bundesanwältin Bauer mit dem Verlesen der Anklage fertig ist, stellt
       Serkan Alkan, der Anwalt von Sief Allah H., am Mittag einen
       Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Jan van Lessen. Der
       Prozess geht trotzdem weiter. Das Gericht hat zunächst bis Ende August 18
       Verhandlungstage angesetzt.
       
       7 Jun 2019
       
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