# taz.de -- Seenotrettung – Kladde von Anett Selle: Auf dem Meer gibt es keine Pause
> Für die #Yachtfleet-Demo trainieren die Crews, zusammenzuarbeiten und
> auch Menschen zu retten. Wann sie aufbrechen, ist noch unklar.
IMG Bild: Die „Sea Watch 3“ bricht schon mal auf – die Segelboote folgen später (Archivbild)
Sizilien taz | „Klar zur Wende!“ – „Ist klar.“ – “Ree!“ Die Ärztin Daniela
Breu dreht das Ruder des Segelboots. Auf ihren Ruf „Über die Fock“ zieht
die freie Künstlerin Julia Blawert am Seil. Sie zieht, dann zerrt sie, dann
greift sie zur Kurbel und dreht die letzten Meter Seil ein, bis das Segel
so steht, wie es stehen soll. „Ganz gut“, sagt der Skipper Thomas Nuding.
„Aber …“
Ein klassischer Segelausflug beginnt morgens bei gutem Wetter und endet
abends im Hafen mit einem Glas Wein. Oder zweien. Doch Breu und Blawert
trainieren nicht für einen Segelausflug, sondern für eine Demo für
Seenotrettung auf dem Mittelmeer: vier Boote, zwei Wochen. Kein Hafen, nur
Wasser, und wer weiß, was für Wetter. Kein Wein. Alkohol ist unerwünscht.
Bevor die „[1][#Yachtfleet]“ von [2][Mission Lifeline] diese Woche ablegt,
trainieren die Crews jeden Tag, seit vergangenem Donnerstag. Einige der 30
Crewmitglieder, ob Breu oder Blawert, der Arzt Gerhard Meyer oder die
humanitäre Nothelferin Andrea Quaden, haben wenig bis keine Segelerfahrung.
Auf dem Meer gibt es keine Pause und die Crews sind nicht groß.
„Das wird kein klassischer Segelturn: ‚Heute ist schönes Wetter und wenn
wir keinen Bock mehr haben, fahren wir rein‘“, sagt Martin Ernst. Er ist
einer der erfahrenen Seefahrer*innen und hilft beim Training. Am Ende soll
jedes Crewmitglied in der Lage sein, das jeweilige Boot allein zu steuern.
Auch nachts. „Einer muss immer draußen sein. Deswegen gibt es dann
Vier-Stunden-Schichten.“
Beim Training haben die Crews bislang Glück: Sonne, sanfter Wind, kaum
Wellengang. Bei starkem Wind allerdings kann ein Segelboot auch so weit zur
Seite kippen, dass der Mast bei voller Fahrt beinahe parallel zum Wasser
liegt. „Gerade wenn die Gischt auf das Boot rüberkommt und einen die ganze
Zeit nass spritzt, wird man durchgeweicht und klamm“, sagt Ernst. „Das wird
anstrengend, physisch oder mental.“
Was das Training außerdem bringen soll, ist Gruppengefühl. Die Teams stehen
fest, die Boote sind zugeteilt: Jede Crew soll lernen, zusammenzuarbeiten,
auf und mit ihrem Boot. Die Besatzung segelt zusammen, kocht zusammen, isst
zusammen, wohnt zusammen – wird seekrank zusammen.
## Die Belastungsstörung verhindern
Für zwei Wochen auf See wird jede Crew eine Wohngemeinschaft sein, die so
ziemlich alles zusammen macht. Sogar schlafen: Auf zwei der Boote teilt man
sich Doppelbetten. „Man wird sich gut kennen und muss miteinander können“,
sagt Ernst. Ausnahmen gibt es nur auf dem größten Boot, das abseits liegt,
auf der anderen Hafenseite: Da sind Journalist*innen untergebracht, die
über Beiboote hin und her wechseln.
Das Segeln lernen die Crews von ihren Skippern, den Kapitänen der Boote.
Martin Ernst hingegen, trainiert die Crews im Beiboot-Fahren: Die
sogenannten Rhibs sehen aus wie eine Kreuzung aus motorisiertem Schlauch-
und Ruderboot. Sie sind schnell, wendig und kommen zum Einsatz, falls
Menschen in Seenot sind. Auch für diesen Fall trainieren die Crews.
Um sie auch psychisch möglichst gut auf die bevorstehende Demo
vorzubereiten, ist Sabine Schönfeld angereist. Die Psychologin erklärt,
dass ein gutes Teamklima helfen kann, posttraumatische Belastungsstörungen
zu vermeiden. Außerdem sollten die Crews potenziell traumatisierende
Situationen trainieren. „Zum Beispiel, dass man möglicherweise Menschen
begegnet, die man nicht retten kann. Es ist wichtig, dass alle wissen, wie
sie in dem Moment reagieren, auch als Team. Dass man sie nicht trainiert,
macht solche Situationen nicht weniger wahrscheinlich.“
An welchem Tag die Segelboote der „#Yachtfleet“-Demonstration diese Woche
aufbrechen, steht noch nicht fest. Ein paar Probleme sind aufgetaucht: Ein
Segelboot hatte zwischenzeitlich einen Motorschaden, wegen „Dieselpest“.
Bakterien, die Schleim produzieren und die Filter verstopfen. Ein Rhib
sprang nicht mehr an. Ein Segelboot wird noch gewartet.
## Aufbruch Richtung Rettungszone
Am Sonntagnachmittag verlässt trotzdem ein Rettungsschiff die
sizilianischen Gewässer – [3][die „Sea Watch 3“]. Anders als die Segelboote
der Demo von Mission Lifeline ist sie für Rettungen ausgelegt. Sie ist
drei- bis viermal so lang: rund 50 Meter. Auf verschiedenen Etagen – den
Decks – verfügt sie unter anderem über einen Ankunftsbereich, wo die
geretteten Menschen an Bord kommen, eine Reisküche, eine Krankenstation.
Und Notduschen: Viele Menschen aus den Schlauchbooten haben Verbrennungen,
weil Treibstoffmixe mit Fäkalien und Salzwasser auf der Haut reagieren.
Als die „Sea Watch 3“ den Hafen verlässt, geben ihr zwei Boote der
„#Yachtfleet“ Geleit und wünschen per Funk viel Glück. Andere Mitglieder
der Yachtfleet-Crews stehen oben auf der Hafenumrandung, winken dem Schiff
hinterher und rufen. Die „Sea Watch“ erwidert die Wünsche per Funk – und
oben aus der Brücke strömen ein paar Menschen, winken und brüllen zurück.
Wenig später ist die „Sea Watch 3“ nicht mehr zu sehen. Verschwunden
Richtung Such- und Rettungszone.
10 Jun 2019
## LINKS
DIR [1] https://twitter.com/hashtag/yachtfleet
DIR [2] /Mission-Lifeline/!t5523991
DIR [3] /Schiff-der-Seenotretter-ist-frei/!5599730
## AUTOREN
DIR Anett Selle
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