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       # taz.de -- Kirchentag ohne die AfD: Lasst es doch!
       
       > Beim Evangelischen Kirchentag ist die AfD nicht eingeladen. Keine
       > Realitätsverweigerung, sondern eine Entscheidung, Intolerante nicht zu
       > tolerieren.
       
   IMG Bild: PfadfinderInnen auf dem Weg zum Veranstaltungsgelände des Kirchentags
       
       Die schlechte Nachricht: Wir befinden uns [1][in einer Zeitschleife]. Die
       gute Nachricht: gibt es nicht. Obwohl – gibt es schon, wenn man davon
       ausgeht, dass es bereits als gute Nachricht gilt, wenn jemand in diesem
       Land mal Rückgrat gegen die AfD zeigt.
       
       Aber von vorne: Gestern hat der 37. Evangelische Kirchentag in Dortmund
       begonnen und dessen Leiter, Hans Leyendecker, einst Journalist für
       Investigatives bei der Süddeutschen Zeitung, hat vorab im Interview mit
       Christ und Welt gesagt: „Dem Kirchentag geht es ums Zuhören, aber ich
       möchte nicht Herrn Gauland zuhören.“
       
       Nun ja, verständlich. Dennoch wird nun kritisiert, dass die AfD am
       Kirchentag zu keinem Podium geladen ist – [2][unter anderem in der taz] –,
       weil: Muss man nicht mit Rechten reden? Ist es nicht wichtig, Debatten zu
       führen? Muss man sie nicht einfach fest umarmen, die ganzen Besorgt_innen,
       weil denen fehlt doch nur ein kleines bisschen Liebe?
       
       Nein. Muss man nicht. Niemand, der selbst nicht einen Funken Toleranz
       aufbringt, hat sich selbst Toleranz verdient. Wer andere Menschen als
       [3][Parasiten bezeichnet] (Thomas Göbel), wer von „[4][Mischvölkern“ und
       „Schuldkult“] spricht (Jens Maier) und [5][doppeldeutig über das
       Holocaust-Mahnmal] spricht (Björn Höcke), ist nicht an Debatte
       interessiert. Wer [6][Jérôme Boateng nicht als Nachbarn] haben will, wer
       meinte, es sei notwendig, die Taten der [7][deutschen Soldaten im Zweiten
       Weltkrieg neu zu bewerten,] und wer den [8][Nationalsozialismus für einen
       Vogelschiss] in der deutschen Geschichte hält (alles the one and only A.
       Gauland), der hat keine Einladung zu einer Veranstaltung verdient, zu der
       Hunderttausende Menschen anreisen, um ein bisschen Frieden und Zuversicht
       wieder mit nach Hause zu nehmen.
       
       ## Es geil finden, mit Rechten zu streiten
       
       Denn eine Debatte zu führen setzt voraus, dass sich die Teilnehmer_innen
       mindestens auf Grundlegendes einigen können. Es setzt voraus, dass
       zumindest eine Chance besteht, dass am Ende eines Gesprächs irgendwo
       Konsens herrscht. Wenn das nicht der Fall ist, ergibt eine Diskussion
       keinen Sinn, außer – und deshalb sitzen die AfDler so häufig in Talkshows –
       man findet es auf eine perverse Art geil, mit Rechten zu streiten.
       
       Und da sind wir beim nächsten Problem: Die Einzigen, die das geil finden,
       sind diejenigen, die sich aussuchen können, wann sie ihr flauschiges Leben
       mit ein bisschen rechtem Scheiß aufpeppen, um sich nachher selbstgerecht
       auf die Schulter zu klopfen, dass sie ja auf der richtigen Seite stehen. Es
       sind jene Menschen, die sich einigermaßen teilnahmslos anhören können, wie
       anderen das Recht auf eine Existenz in diesem Land abgesprochen wird, weil
       es ja nicht um sie selbst geht.
       
       Aber das reicht eben nicht. Wer gegen Rechtsradikale ist, muss nicht nur
       sagen, dass er das ist, er muss auch die Leute in Schutz nehmen, die jeden
       Tag von ihnen angegriffen werden. Nicht nur nach Aufforderung, nicht nur
       wenn eine Wahl bevorsteht und nicht nur wenn es bereits Verletzte oder Tote
       gibt. Dazu gehört auch, diesen Leuten keine Bühne zu bieten, auf der sie
       vor einem Publikum – und Newsflash: auch vor nichtweißem, nichtdeutschem
       oder nichtchristlichem Publikum – ihren Hass verbreiten können.
       
       ## Hass ist keine Meinung
       
       Dabei handelt es sich auch nicht um ein Verbot von Meinungsäußerung – denn
       es ist ein weiteres grundlegendes Missverständnis, dass Hass eine Meinung
       ist, die zu hören lohnt. Aber Hass ist keine Meinung, es ist einfach eine
       sehr unoriginelle Art, sich über andere zu erheben.
       
       Nicht mit Rechten reden zu wollen, ist keine Art, den Kopf in den Sand zu
       stecken und die Realität zu verweigern. Nicht mit Rechten reden zu wollen,
       ist eine Art, mit der Realität umzugehen, sie zu erkennen und eine sehr
       bewusste Entscheidung zu treffen. Eine Entscheidung, sich mit produktiveren
       Dingen im Leben auseinanderzusetzen. Mit dem Bürgermeister aus Palermo, der
       sich um Geflüchtete kümmert. Oder mit dem Autor und Satiriker Wiglaf
       Droste, der schon 1993 wissen wollte: Muss man an jeder Mülltonne
       schnuppern?
       
       20 Jun 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kolumne-Der-Rote-Faden/!5548969
   DIR [2] /Evangelischer-Kirchentag/!5600666
   DIR [3] https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/rechte-vor-einzug-in-den-bundestag-so-extrem-sind-die-kandidaten-der-afd/20350578.html
   DIR [4] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-11/parteiausschluss-afd-sachsen-jens-maier-zurueckgezogen
   DIR [5] /Bjoern-Hoeckes-Dresden-Rede/!5372797
   DIR [6] /Rassistische-Aeusserung-des-AfD-Vize/!5308140
   DIR [7] /AfD-Gutachten-des-Verfassungsschutzes/!5567533
   DIR [8] /Kommentar-Gaulands-Vogelschiss/!5507575
       
       ## AUTOREN
       
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