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       # taz.de -- Menschen mit Behinderung in Bremen: Endstation Werkstatt
       
       > Der Landesbehindertenbeauftragte wendet sich mit 31 Forderungen an die
       > koalitionswilligen Parteien. Besonders wichtig ist ihm das Thema Arbeit.
       
   IMG Bild: Nicht von allen geschätzt aber unverzichtbar: Werkstätten für Menschen mit Behinderung
       
       Bremen taz | Teilhabe für Menschen mit Behinderung, das ist für viele
       WählerInnen nicht unbedingt ein wichtiges Kriterium; betroffen ist
       schließlich eine Minderheit. Die Akzeptanz für Menschen mit Behinderung im
       toleranten Bremen liegt laut einer Studie der Robert-Bosch-Stiftung nur bei
       79 Prozent – nur in Mecklenburg-Vorpommern sind die Werte noch schlechter.
       
       Mangelnde Akzeptanz sieht Joachim Steinbrück, Landesbehindertenbeauftragter
       in Bremen, für seine Arbeit eigentlich nicht – eher mangelnden Ehrgeiz:
       „Ich glaube, viele Politiker wollen mit dem Thema kein Problem bekommen.
       Politisch korrekt bekennen sich eigentlich alle dazu“, sagt er. „Das
       beherzte Eingreifen fehlt mir aber oft. Man muss viele Politiker zum Jagen
       tragen.“
       
       Aktuell hat Steinbrück für diese Aufgabe einen Katalog mit 31 Forderungen
       für die nächste Legislaturperiode aufgestellt. Bessere Zugänge zu Theater
       und Museen, eine gute Ausstattung mit SonderpädagogInnen an Bremer Schulen,
       die Möglichkeit einer ambulanten Psychiatrie und ausreichend
       rollstuhlgerechte Wohnungen – alle Ressorts werden mit Vorschlägen bedacht,
       schließlich ist Inklusion themenübergreifend.
       
       Für besonders drängend hält Steinbrück das Thema Arbeit. Neunzig Prozent
       der SchülerInnen mit Behinderung besuchen die Schule in Bremen gemeinsam
       mit nicht beeinträchtigten MitschülerInnen, nirgendwo im Bund ist die
       Inklusionsquote höher. Bloß: Mit dem Schulabschluss endet oftmals auch die
       Inklusion. Sie wird ersetzt durch Werkstufe und Werkstatt.
       
       Dabei ist es nicht so, dass Bremen sich um diesen Bereich nicht bemühen
       würde: Im öffentlichen Dienst sind immerhin sechs Prozent der Beschäftigten
       schwerbehindert. „Der öffentliche Dienst ist damit aber der einzige
       Bereich, in dem die Quote erfüllt wird“, bemängelt Dieter Stegmann,
       Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe behinderter
       Menschen. Durch die Ausgleichsabgabe kaufen sich Unternehmen von der
       Fünf-Prozent-Quote frei, der tatsächlich erreichte Durchschnitt liegt in
       Bremen bei unterdurchschnittlichen 3,8 Prozent.
       
       Ein Mittel, das Abhilfe schaffen soll, ist das Budget für Arbeit: Die
       Summe, die das Land sonst für einen Werkstattplatz ausgeben würde, kann ein
       Arbeitnehmer mit Behinderung direkt nutzen, um sich bei Arbeitgebern quasi
       einzukaufen. „Das Verfahren dafür ist allerdings sehr kompliziert, der
       einzelne Beschäftigte bekommt das kaum hin“, so Stegmann. Und selbst mit
       Budget seien viele Menschen mit Behinderung für den ersten Arbeitsmarkt
       nicht gerüstet: „Der gemeinsame Besuch der Schule ist eine tolle Chance –
       aber es heißt eben noch nicht, dass jeder danach qualifiziert ist für eine
       Ausbildung.“
       
       Das sieht auch Steinbrück. Werkstätten abzuschaffen komme deshalb nicht in
       Frage. „Doch die Zahl derjenigen, die dort nicht hin wollen, scheint
       zuzunehmen.“ Damit Werkstätten den Zugang zum ersten Arbeitsmarkt
       erleichtern können, fordert Steinbrück für den Koalitionsvertrag eine
       Anlaufstelle innerhalb der Werkstatt, die Beschäftigte und potenzielle
       Arbeitgeber berät und zueinander bringt. „Anderswo gibt es so etwas schon
       erfolgreich.“
       
       Auch ohne Arbeit ist der Alltag vieler Menschen mit Behinderung kompliziert
       genug. Auch wenn bremisches Behindertengleichstellungsgesetz und die
       UN-Behindertenrechtskonvention Teilhabe festschreiben, sieht die Realität
       an vielen Stellen noch ganz anders aus. Vor allem viele Altbauten sind
       schwer oder gar nicht erreichbar. Wie viele genau, das weiß keiner. Bis
       2023 soll es dauern, bis die Bestandsaufnahme zu Barrieren im öffentlichen
       Raum abgeschlossen ist. Dass sich danach viel ändert, ist nicht gesagt,
       eine Zusage für Sanierungsgelder gibt es nicht.
       
       Und so ist eine ganz wichtige weitere und wenig verwunderliche Forderung
       von Steinbrück die nach Geld, damit „die festgestellten Barrieren in
       Bestandsgebäuden tatsächlich schrittweise abgebaut werden können.“ Ob die
       politische Korrektheit der PolitikerInnen bis in die Haushaltsberatungen im
       Koalitionsvertrag reicht, ist nun die nächste spannende Frage.
       
       20 Jun 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lotta Drügemöller
       
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