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       # taz.de -- Schwules Museum in Berlin: Homokomplexe Gemengelage
       
       > Im Schwulen Museum Berlin geht es ab: Alt gegen Jung, Homo gegen Queer,
       > Lesben gegen Schwule, Das Gute ist: Man streitet sich.
       
   IMG Bild: Von außen ist alles ganz klar
       
       Ein Museum ist nicht nur ein Ort, den man besuchen kann. Sondern auch die
       Summe der Stimmen derjenigen, die dort darüber diskutieren, was Geschichte
       ist und wie sie erzählt werden soll. Unsere Autorin hat fünf Stimmen
       gesammelt, die sich streiten und verstehen und so ein Bild des Schwulen
       Museums zeichnen. 
       
       Birgit Bosold: Wir beschäftigen uns im Schwulen Museum im Grunde mit der
       Frage, warum Sexualität so ein besonderer Bereich der menschlichen Existenz
       ist – warum sind wir hier so verletzbar? Warum ist Sexualität so ein
       relevantes Feld für die Konstituierung von Herrschaft? Warum ist es
       eigentlich so wichtig, wer mit wem vögelt?
       
       Till Amelung: Diversity finde ich ein Stück weit verlogen, in dem Sinne,
       dass man leugnet, dass es Grenzen gibt. Junge Queerfeministinnen erwarten
       von Transleuten, von Schwulen, von Lesben, dass sie die utopisch neuen
       Menschen sind. Dass sie Geschlecht und sexuelle Orientierung in ihrer
       Unterschiedlichkeit hinter sich lassen. Ich glaube, das wird nicht
       funktionieren.
       
       Wolfgang Theis: Wenn ich heute zwanzig wäre, würde ich vielleicht auch
       Kategorien runterbeten wie alle anderen auch, cis, non-binär und so weiter.
       Das sind Worthülsen, nicht mit Inhalten gefüllt. Jetzt bin ich halt ein
       alter weißer schwuler Sack.
       
       Birgit Bosold: Ich bin seit 2006 im Vorstand des Schwulen Museums. Auch
       wegen meiner kaufmännischen Expertise wurde ich gefragt, ob ich das machen
       will, als erste Frau damals. Ich habe eine aktivistische Biografie und sah,
       dass das Museum eine interessante Plattform für queere Politik ist. Das
       Haus ist bis heute stark vom Aktivismus geprägt. Die Leute machen nicht nur
       einen Job, sondern es geht um was, um Identität, um die Anerkennung ihrer
       Lebensentwürfe, ziemlich basale Sachen. Deswegen gibt es auch mehr
       Konflikte als in anderen Läden.
       
       Till Amelung: Angefangen hat das Museum als Privatinitiative, um überhaupt
       das, was an lesbischer und schwuler Geschichte auch durch den
       Nationalsozialismus in Vergessenheit geraten ist, wieder zu entdecken und
       der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ich würde den Wandel so
       beschreiben, dass der Fokus zuerst auf schwuler Geschichte war, die Lesben
       waren schon dabei, aber für die gab es auch feministische Archive. Im Laufe
       der 90er und vor allem ab den Nullerjahren ging es dann um die Frage von
       Verstetigung und institutioneller Förderung, da kamen auch Ansprüche von
       der Politik an das bis dato ehrenamtlich geführte Projekt. Es hieß, man
       solle das ganze Spektrum abbilden. Ab 2010 kam Trans dazu, dann Inter und
       Queer. Ich glaube, da sind Dinge nicht so ganz durchdacht worden. Die
       Politik wollte alle zusammenpacken, an eine Stelle Geld verteilen und:
       „Hier, macht mal!“ Dass aber diese verschiedenen Gruppen ihre eigenen
       Geschichten mitbringen und sich teilweise voneinander abgrenzen, wurde
       nicht bedacht. Aus schwuler Perspektive geraten Transleute, die
       heterosexuell sind, zum Beispiel aus dem Blick. Die haben nichts mit schwul
       oder lesbisch zu tun, nur weil sie trans sind. Ich selbst bin ein schwuler
       Transmann, ich sehe vieles, was aktuell im Museum gemacht wird, kritisch.
       
       Birgit Bosold: Wir sind weltweit die größte und älteste Institution für
       queere Geschichte und Kultur. Unser Archiv besteht aus Nachlässen, die uns
       geschenkt werden. Wir haben 1,5 Millionen Dokumente und Objekte. Über
       10.000 künstlerische Werke, noch mehr aktivistische Dokumente –
       Flugblätter, Plakate, Buttons, aber auch Schallplatten, Abrechnungen,
       Steuererklärungen. Wir haben eine Sammlung der rosa Dinge. Höchstens zehn
       Prozent unseres Bestands sind archivarisch aufgearbeitet, für den Rest
       fehlen die Ressourcen.
       
       Peter Rehberg: Ich bin hier in der Funktion des Archiv- und
       Sammlungsleiters. Was wir hier machen, hat drei Säulen: Wir sind ein
       Archiv, ein Ausstellungsbereich und ein Veranstaltungsort. Wir sind ein
       queerer Ort mit einer schwulen Geschichte, der dabei ist, auszuhandeln, wie
       man dieses Verhältnis als ein nichtdestruktives gestalten kann. Das Museum
       hat auch eine affektive Dimension, man stößt auf Geschichten von Menschen,
       die verfolgt wurden, und man realisiert, meine Güte, das war vor 70, 80
       Jahren in diesem Viertel, in dieser Stadt, das waren Leute mit
       Lebensentwürfen, die denen von mir und meinen Freunden ähneln. Das ist
       unsere Geschichte, und wenn wir uns nicht darum kümmern würden, würde das
       keiner machen.
       
       Wolfgang Theis: Ich bin 1970 nach Berlin gezogen. Die Schwulenbewegung hat
       ja nach einer euphorischen Phase dieselbe Entwicklung genommen wie die
       Studentenbewegung, zu Beginn war alles eins: da waren die homosexuellen
       Männer, wenig später stießen die homosexuellen Frauen dazu, das hat sich
       dann schnell wieder auseinanderdividiert, weil es nicht zusammenpasste.
       Erst durch Aids hat sich eine Professionalisierung ergeben, weil man wieder
       einen Feind hatte.
       
       Es gab Leute, die sagten, Homosexuelle sind bindungsunfähig, nicht
       solidarisch, die werden sich nicht um ihre Kranken kümmern, und dem musste
       man was entgegensetzen. Da, in den 80ern, haben sich diese Gruppen
       entwickelt, die dann schnell staatliche Gelder gekriegt haben: die
       Aidshilfen, die Gesundheitsvorsorge, das Schwule Museum. Das war am 6.
       Dezember 1985. Ein Jahr vorher haben wir die berüchtigte Ausstellung
       „Eldorado“ im Berliner Stadtmuseum gemacht, über das schwule und lesbische
       Berlin der 20er Jahre, das war die erste Ausstellung in einem öffentlichen
       Museum dazu weltweit. Ein Riesenerfolg.
       
       Es gab eine große Aufregung im Museumsverein, 5 Leute traten aus und 50
       neue ein. Dann dachten wir, jetzt müssten sich die historischen Museen auch
       um diese Themen kümmern; da dem aber nicht so war, haben wir das Schwule
       Museum gegründet. Das war eine rein männliche Geschichte, wir haben die
       Lesben gefragt, aber sie hatten keine Lust. Weil Schwule für Frauen genauso
       patriarchalisch geprägt waren wie alle anderen auch. Irgendwann haben wir
       dann eine Lesbe, Frau Bosold, an Land gezogen und die hat angefangen,
       lesbische Ausstellungen zu machen. Seither hat sich das dynamisiert. Lange
       Zeit hatten wir ruhiges Fahrwasser, weil wir mit dem Aufbau der Institution
       beschäftigt waren und uns wenig um die politischen Querelen innerhalb der
       Szene gekümmert haben. Die haben uns inzwischen voll eingeholt.
       
       Birgit Bosold: Wir haben 2017 einen postkolonialen Schwerpunkt gemacht, der
       sicher was verändert hat im Haus, 2018 das Jahr der Frauen, dieses Jahr
       machen wir einen Transschwerpunkt. Das sind, glaube ich, die Hausaufgaben,
       die wir machen müssen, wenn wir wollen, dass dieses Haus in zehn Jahren
       noch da ist. Die Öffnung des Hauses war bisher von denen, die aktiv
       mitarbeiten, getragen – vor allem von den Gründungsmitgliedern. Umso mehr
       überraschte mich die Eskalation im Zusammenhang mit dem Jahr der Frauen,
       die sich bei den Neuwahlen zum Vorstand letztes Jahr zuspitzte. Es ging
       darum, so eine Formulierung aus dem Flurfunk, dass der bestehende Vorstand
       vom Hof gejagt werden soll.
       
       Es ging um eine Richtungsentscheidung und wir haben dann natürlich
       getrommelt und Wahlkampf gemacht. Etwa 50 neue Leute sind eingetreten,
       haben mit abgestimmt. Das hat dazu geführt, dass der bestehende Vorstand
       und sein Team bestätigt wurde. Unsere Kampagne wurde uns als illegitime
       Manipulation vorgeworfen. Das Schwule Museum ist aber nicht Privatbesitz
       eines wie auch immer historisch gewachsenen und ja auch immer zufällig
       zusammengesetzten Vereins. Finanziert werden wir aus öffentlichen Mitteln
       und deshalb gehört das Museum – so verstehe ich das – allen Queers in der
       Stadt.
       
       Recep Özdas: Ich bin 29 und letzten September aus der Türkei nach Berlin
       gezogen, um hier meinen Doktor zu machen. Ich habe meinen Job an der Uni in
       der Türkei aufgegeben, weil es politisch und sozial immer schlimmer wurde.
       Ich bin kurdisch und halb-armenisch, ich habe auch iranische Wurzeln – der
       Mittlere Osten eben, alles ist vermischt. Meine Familie definiert sich als
       kurdisch-muslimisch, ich bin kein praktizierender Muslim.
       
       Ich bin außerdem ein schwuler Mann, vielleicht helfen diese Informationen.
       Im Schwulen Museum habe ich drei Monate lang ein Praktikum gemacht. Ich mag
       den Ort, aber ich glaube, wir Queers brauchen keine offizielle
       Geschichtsschreibung, wir müssen die Dinge nicht so formalisieren wie alle
       anderen. Ich weiß, dass auch unterdrückte Minderheiten eine Erinnerung
       brauchen, aber ich finde, sie sollte anders zustande kommen, mit anderen
       Techniken. Das Schwule Museum ist mainstream.
       
       Die alten schwulen Männer im Museum wollen den Raum nicht teilen, aber sie
       müssen mit ihren Privilegien aufhören. Die jüngeren schwulen Männer sind
       sich dessen sehr bewusst, aber irgendwie können sie nichts ändern. Die
       letzte Vorstandswahl hat etwas geändert, glaube ich. Es gab Debatten um
       Feministinnen und Queerfeministinnen, das war spannend.
       
       Wolfgang Theis: Im Nachhinein war es schade, dass die Lesben sich
       abgespalten haben. Wir haben aber auch dazu beigetragen, wir hätten uns
       mehr um sie bemühen müssen.
       
       Birgit Bosold: Diese Allianz zwischen Schwulen und Lesben – ob die so
       sinnvoll ist? Ich glaube, es ist ein kolossales Missverständnis, dass für
       beide Gruppen dasselbe Wort benutzt wird: homosexuell – und dass daraus
       gleiche oder ähnliche Interessen abgeleitet werden. Ich glaube, dass es
       vollkommen richtig war, dass sich die 70er-Jahre-Lesben verabschiedet haben
       und in die Frauenbewegung gegangen sind. Für lesbische Frauen geht es in
       erster Linie um die Kritik der Geschlechterhierarchie, um eine
       feministische Agenda also, und die war und ist für die schwule
       Emanzipationsbewegung wenig relevant. Denn bis du mal diskriminiert wirst
       als Lesbe, bist du schon tausendmal diskriminiert als Frau.
       
       Till Amelung: Ich möchte mich da nicht aus dem Fenster lehnen und etwas
       unterstellen, aber ich habe gehört, dass Frau Bosold ein Problem mit
       Männern haben soll. Wir sind an dem Punkt, dass von ihr als Vorstand Kritik
       an schwulen Themen kommt. Aber das ist doch ein schwules Museum? Das hat
       als Sammlung von schwuler Geschichte angefangen.
       
       Birgit Bosold: Ein Problem mit Männern? Ich bin einfach Feministin. In
       meinem Verständnis muss queere Politik feministische Anliegen und den Kampf
       gegen Sexismus und Misogynie selbstverständlich und zentral auf der Agenda
       haben.
       
       Wolfgang Theis: Es gibt schon Gemeinsamkeiten zwischen Schwulen und Lesben,
       dass man außerhalb der Norm steht. Die Norm wird ja heute mehr infrage
       gestellt, aber früher gab es nur Mann/Frau/hetero. Schwule wissen wenig
       über Lesben, Lesben wissen wenig über Schwule. Die Gesellschaft hat sich
       nicht verändert, weil Schwule für ihre Rechte eingetreten sind, sondern
       weil es eine starke Frauenbewegung gab, die viele Verhältnisse zum Tanzen
       gebracht hat. Die Schwulen sind die Kriegsgewinner der Frauenbewegung.
       
       Peter Rehberg: So wie ich die Lagerbildung wahrnehme, gibt es die einen,
       die sagen: Diese Ausdifferenzierung, die in den letzten 30 Jahren
       stattgefunden hat, bringt nicht so viel, wir müssen zu einer
       schlagkräftigen linken Position zurück, gerade wenn es um eine Verteidigung
       nach außen geht, wenn man zum Beispiel sagt: Berlin ist von 30 Prozent
       AfD-Wähler*innen in Brandenburg umzingelt.
       
       Das heißt in der Konsequenz, dass das, womit sich die Queer Theory in den
       letzten 30 Jahren beschäftigt hat, also Judith Butlers Kritik am
       Gender-Essentialismus, das Hervorstreichen von Performativität, die
       Bedeutung von Intersektionalität – dass man also auch innerhalb der queeren
       Szene Machtverhältnisse kritisiert –, dass das wieder abgewickelt wird. Man
       kann aber nicht wieder zurück in die 70er Jahre. Du kannst die Frage von
       Gender nicht ohne die Frage von Rassismus stellen, weil in dem Moment, wo
       du über Männlichkeit sprichst, sprichst du immer auch über das Verhältnis
       von weißer Männlichkeit zu anderen Männlichkeiten.
       
       Wolfgang Theis: Wenn nur noch mit Judith Butler argumentiert wird, fühlen
       sich bestimmte Gruppen außen vor, es ist zu akademisch, zu abgehoben, nicht
       mehr deren Lebenswirklichkeit.
       
       Recep Özdas: Ich habe mit Peter in der Bibliothek und dem Archiv gearbeitet
       und versucht, das Schwule Museum mit migrantischen Organisationen zu
       verbinden. Das ist gescheitert, muss ich zugeben. Das Museum hat Probleme,
       mit anderen Communities zusammenzuarbeiten, mit Geflüchteten zum Beispiel.
       Alle finden das gut, aber niemand tut etwas. Die stecken in einer sehr
       rationalen, deutschen, bürokratischen Struktur fest. Wenn ich könnte, würde
       ich einfach sagen: Okay, kommt vorbei, arbeite hier, das ist ein Anfang,
       eine Verbindung. Aber die Leute vom Museum sagen: Aber Recep, samstags
       haben wir geschlossen und wer hat dann einen Schlüssel? Sie planen alles!
       Diese Kultur steht im Widerspruch zu einem queeren Mindset.
       
       Wolfgang Theis: Es gibt nicht nur zwischen Schwulen und Lesben
       Knirschstellen, sondern auch zwischen den Generationen. Das ist fehlender
       Respekt. Aber ich meine, wenn man reflektiert, wie man selbst mit 20 war,
       dann relativiert sich das auch wieder. Natürlich ist es merkwürdig, wenn
       man sich nach 30 Jahren Museumserfahrung von einem 20-Jährigen erzählen
       lassen muss, wie man Ausstellungen machen sollte. Das ist schon hart.
       
       Aber ohne geht’s ja nicht. Heute ist alles so ideologisch. Man muss sich
       immer ganz genau ausdrücken, man kriegt unterstellt, dass man rassistisch
       ist und all so was. Wir alten weißen schwulen Männer haben ja auch etwas
       getan für unsere Privilegien, die sind nicht vom Himmel gefallen. Vor
       allem: Was heißt weiß? In der Regel ist die deutsche Gesellschaft
       überwiegend weiß. Der Critical-Whiteness-Diskurs entstammt dem akademischen
       amerikanischen Milieu und passt bei uns nicht immer.
       
       Till Amelung: Schwule weiße Männer sind nicht privilegiert. Es gibt nach
       wie vor Studien, die bestätigen, dass es Schwulen und Lesben im Vergleich
       zur Heterosexuellen im Durchschnitt schlechter geht, der Anteil ist höher,
       der psychische Erkrankungen hat, gestresst ist. Natürlich ist insgesamt
       etwas besser geworden, man kann Bürgermeister von Berlin werden oder
       Außenminister, aber das heißt ja nicht, dass es allen schwulen Männern so
       geht. Es wird mit diesen Kategorien weiß/schwul/cis ein Bild vermittelt,
       das nicht an Differenzierung interessiert ist.
       
       Peter Rehberg: Ich finde junge Queers manchmal auch naiv oder ahistorisch.
       Wir haben hier ungefähr 60 Ehrenamtliche, die uns helfen in der Bibliothek,
       im Archiv, im Café oder bei der Aufsicht. Die meisten von denen sind
       schwule Männer, das hier ist auch ein kulturelles Zuhause. Viele fühlen
       sich dem Museum seit 20 Jahren verbunden. Das ist eine Generation von
       schwulen Männern, für die HIV eine ganz andere Rolle gespielt hat als
       heute. Die Tragödien, die sich abgespielt haben. Denen kannst du nicht
       einfach vor die Füße knallen: Ihr seid weiße Cis-Männer und müsst jetzt mal
       eure Macht im Museum abgeben.
       
       Das clasht einfach. Diese Kategorie, die ja als Machtanalyse zutrifft,
       trifft hier auch manchmal ins Leere, weil es natürlich nicht so ist, dass
       alle weißen schwulen Männer in einer privilegierten oder ökonomisch
       abgesicherten Position wären. Mit diesem Widerspruch muss man umgehen.
       Vielleicht ist es auch ein Recht der Jugend, mit einer gewissen Arroganz
       aufzutreten – aber da sind die Feindbilder in der Wirklichkeit nicht so
       stabil, wie oft getan wird.
       
       Birgit Bosold: Es geht bei den aktuellen Konflikten in den queeren
       Communities um Verletzungen. Darum, nicht für die eigene Lebensleistung
       anerkannt, nicht gesehen zu werden. Etwa bei den Auseinandersetzungen
       zwischen den Second-Wave-Feministinnen und jüngeren Queerfeministinnen. Ich
       vermisse auch manchmal die alten Zeiten mit den vielen Lesben- oder
       Frauenkneipen und einer quicklebendigen großartigen Lesbenszene. Aber ich
       verstehe auch, dass das offenbar nicht mehr gebraucht wird, weil für junge
       Queers andere Allianzen wichtig sind, andere kollektive Formen. Alle
       Konflikte, die wir haben, laufen ja so ähnlich in der Gesamtgesellschaft.
       
       Da gibt es auch Leute, die sich nach dem alten Geschlechterregime
       zurücksehnen, in dem biologische Merkmale den gesellschaftlichen Status
       bestimmt haben. Ein anderer Großkonflikt, der sich in der queeren Community
       abbildet, ist der um die Entkolonisierung der Gesellschaft. Wir leben in
       einer Einwanderungsgesellschaft und das bedeutet, dass die, die von
       Rassismus betroffen sind, eine Stimme haben und die auch nutzen und der
       sogenannten Mehrheitsgesellschaft die Definitionsmacht streitig machen.
       
       Wolfgang Theis: Der Dialog mit der Jugend ist schwierig. Das ist leider
       eine Erfahrung, die man mit zunehmendem Alter macht, dass man eigene
       Erfahrungen nicht vermitteln kann. Aber die Jugend hat das Rad ja immer neu
       erfunden. Wir als junge Schwule, vor 50 Jahren, haben natürlich die
       damalige Schwulenbewegung, die bürgerliche, die sich immer anständig und
       angepasst präsentiert hat und gegen den Paragrafen 175 gekämpft hat, die
       haben wir ja auch vor den Kopf gestoßen, weil wir uns Schwule nannten, das
       war ja eins der schlimmsten Schimpfworte.
       
       Die haben sich homophil genannt, offiziell hatten die auch keinen
       Analverkehr, das war eins der größten Tabus überhaupt, und wir haben uns
       darüber hinweggesetzt, mit viel Bibbern und Angst. Das Vorbild waren die
       Black Panthers in Amerika, die gesagt haben: Black is beautiful. Die haben
       Begriffe so umbesetzt. Als wir uns „Schwules Museum“ nannten und abhängig
       waren von alten Herren, die uns was zur Geschichte geben oder erzählen
       sollten, die waren immer ganz entsetzt, wieso wir uns nicht
       Freundschaftstempel oder Museum der Homophilen nannten.
       
       Birgit Bosold: Der Name muss geändert werden. Wir hatten vor zehn Jahren
       diese Debatte und konnten uns nicht durchringen, das Ganze „Queeres Museum“
       zu nennen, weil zu der Zeit noch nicht klar war, ob sich der Begriff
       durchsetzt. Ich würde sagen, dass es jetzt so ist.
       
       Wolfgang Theis: Ich finde den Namen immer noch gut. Irgendwann wird er wohl
       mal gecancelt, aber das ist halt ein Markenzeichen. Wir waren das erste
       schwule Museum und wir sind Vorbild für alle, die es inzwischen gibt. Wenn
       wir früher Quittungen brauchten, haben die Leute gefragt: Schulmuseum?
       Nein, schwul, mit w! Jede Quittung war ein Emanzipationsakt.
       
       Peter Rehberg: Natürlich fühlen sich Schwule von diesem Ort anders
       angesprochen als andere, solange das Museum „Schwules Museum“ heißt. Das
       ist ein Handicap, wenn wir uns als queer in einem inklusiven Sinn
       verstehen, und das tun wir. Ich finde aber, wir sollten den Namen trotzdem
       beibehalten. Die Kategorie „queer“ ist im Deutschen sehr abstrakt. Sie
       bedeutet irgendwas mit lesbisch und schwul und mehr als das. Manchmal neigt
       sie auch dazu, inhaltsleer zu sein.
       
       Da steht dann „queer“ drauf und irgendwie klingt das hip. In den USA ist es
       anders. Als ich in Amerika unterrichtet habe, gab es ältere schwule
       Kollegen, die es von sich gewiesen haben, als queer bezeichnet zu werden,
       weil das Wort für diese Generation noch eine Beleidigung war. In
       Deutschland erinnert „schwul“ an die Geschichte des Paragrafen 175,
       „schwul“ ist ein Schimpfwort auf Schulhöfen, immer noch.
       
       Recep Özdas: Ich hoffe, es wird sich etwas ändern in den nächsten Jahren.
       In Kreuzberg und Neukölln sind viele schwule Migranten, viele sind nicht
       geoutet, Schwule in muslimischen Umgebungen, Sexarbeiter, denen es wirklich
       nicht gut geht. Das ist queer für mich. Das Schwule Museum ist angepasst,
       was die Regierung angeht, was die Welt angeht. Lasst uns nicht über schwule
       europäische Literaten reden, wir brauchen Oscar Wilde nicht, jeder kennt
       ihn. Geh in einen Buchladen und kauf dir Dorian Gray. Die schwulen Escorts
       aus Westafrika sollten stattdessen dieses Museum benutzen. Wir müssen die
       Gesellschaft erreichen, nicht nur unser persönliches Umfeld.
       
       28 Jun 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Viktoria Morasch
       
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