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       # taz.de -- Neues Album von Odd Nosdam: Rauschen im Ozean des Sounds
       
       > Der Rap-Produzent Odd Nosdam veröffentlicht mit „Mirrors“ ein Werk, dass
       > sich Naturklängen und dem Knistern von Platten widmet.
       
   IMG Bild: Schneller als sein Schatten: Odd Nosdam
       
       Wo das Rauschen des Ozeans in das Rauschen der Musik auf dem vorliegenden
       Album kippt, liegt auch der Punkt, an dem Kalifornien und Oberbayern sich
       berühren. Die feinen Übergänge zwischen diesem je unterschiedlichen
       Rauschen bilden den Rahmen von „Mirrors“, ein Lebenszeichen des
       US-Künstlers Odd Nosdam, das er auf dem oberbayerischen Label Alien
       Transistor veröffentlicht. Odd Nosdam ist Rapper, Produzent und Mitgründer
       des sagenumwobenen kalifornischen Labels Anticon. Und zum Auftakt ist
       Wellenrauschen zu hören, keine Musik.
       
       Nach Obersöchering nahe Weilheim, wo Alien Transistor seinen Geschäftssitz
       hat, fand sein Album vermutlich via The Notwist. Die Band arbeitete unter
       dem Projektnamen 13 & God mit dem US-HipHop-Duo Themselves zusammen, das
       sonst wiederum bei Anticon veröffentlicht. Die elektronisch generierte
       Musik von Odd Nosdam ist durchaus mit den Melancholikern von The Notwist
       verwandt, beide Parteien interessieren sich für die Stimme des Materials
       und machen seine Widerspenstigkeit hörbar.
       
       Nosdam, bürgerlich David Madson, ist als Produzent für Art-Rapper wie
       cLOUDDEAD und Serengeti bekannt geworden. In den letzten zwei Jahrzehnten
       hat er sich nicht nur als Toningenieur einen Namen gemacht, sondern auch
       mit eigenen Veröffentlichungen im Niemandsland zwischen Dub, HipHop und
       Ambient. Nosdam bringt seine Soloalben nie auf Anticon heraus, sondern
       platziert sie stets bei anderen Labels.
       
       ## Die VHS-Videocassette ist wieder da
       
       Diese Strategie folgt einer Logik: Schon als Kunststudent an der Akademie
       in Cincinnati, Ohio, publizierte Odd Nosdam Musik auf Tapes und CDRs, in
       jüngerer Zeit häufig als digitale Mixtapes. Sein letztes Album, „Sisters“,
       gab es sogar im Format VHS-Videotape.
       
       Nosdam zielt nicht auf eine möglichst große Verbreitung seiner Musik,
       sondern auf bewusste Verknappung. Seine Musik fußt auf Samples, die meist
       von raren und vergessenen Alben abgezapft sind. Indem er neues Material aus
       Raritäten herstellt, versucht er seiner Musik die Aura der Seltsamkeit zu
       verleihen. Natürlich hat dieser Gestus in der Gegenwart von Streams etwas
       Absurdes und Vergebliches. Auch „Mirrors“ lässt sich bei Spotify oder Apple
       Music anhören. Man kann den Kippmoment zwischen Vinylknistern- und
       Ozeanrauschen auf zweierlei Arten lesen: als melancholische Geste oder als
       Reflexion des Materials der Musik.
       
       Beides ist für „Mirrors“ relevant. Als melancholische Geste beklagt das
       Rauschen den Verlust von Vinyl als Trägermaterial. Das Album ist – was der
       Rezensent nicht überprüfen konnte – extra für den charakteristischen Klang
       von Vinyl produziert. Als Reflexion des Produktionsmaterials kennzeichnet
       das Rauschen Nosdams Tracks als Musik zweiter Ordnung: Musik aus Musik.
       Dass das Vinylrauschen in das Meeresrauschen kippt, deutet dann auf die
       Vereinigung mehrerer Samples in den Tracks hin, ihre „Naturalisierung“ zu
       einem neuen Stück Musik. Dieser Prozess ist im Sound enthalten.
       
       „Mirrors“ driftet zwischen atmosphärischen, verwaschenen Klängen, die meist
       von Downtempo-Beats gedrosselt werden. Zwischenzeitlich wechselt die
       Stimmung allerdings von laid back zu einer etwas härteren Gangart. Zentral
       ist das vorletzte Stück des Albums mit dem Titel „Mirrors II“, der mit
       Abstand längste Track. Er entwickelt eine Dramaturgie aus dramatischen
       Synthie-Chören, schmachtenden Gitarren und bedeutungsschwangeren Akkorden,
       dem Rauschen von Regenschauer und Lärm eines Gewitters. Dann wieder:
       Glockenklingen, Harfe, Rauschen.
       
       Durchaus vorstellbar, dass Musik-Streamingdienste wie Spotify in 20 Jahren
       wieder aus dem Internet verschwunden sind. Der Sound von Odd Nosdam nimmt
       diese Zukunft vorweg. Denn er klingt so, als ob man nach dem Rauschen des
       Ozeans in den Tiefen des Netzes graben muss.
       
       14 Jun 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Elias Kreuzmair
       
       ## TAGS
       
   DIR HipHop
   DIR Kalifornien
   DIR Odd Nosdam
   DIR Popmusik
   DIR Indietronic
       
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