URI: 
       # taz.de -- Neue Biografie über Jitzchak Rabin: Der Aufrichtige
       
       > Mit Rabins Ermordung 1995 starb in Israel auch der Glaube an Frieden.
       > Nüchternheit und Geradlinigkeit gehörten zu seinen Stärken.
       
   IMG Bild: Büste von Jitzchak Rabin in Tel Aviv. Immer mal wieder beschmiert, auch mit Hakenkreuzen
       
       Ich, Jitzchak Rabin, der ich Truppen in den Kampf und Soldaten in den Tod
       geschickt habe, sage zu Ihnen: Wir beginnen heute einen Krieg, in dem es
       keine Toten und Verwundeten gibt, kein Blut und kein Leid: den Krieg um
       Frieden.“ Jitzchak Rabin hantierte nur sehr selten und ungern mit solch
       großen Worten – wie hier 1994 vor dem US-Kongress. So beschreibt es Itamar
       Rabinovich, der als Israels US-Botschafter einst zu Rabins engen Vertrauten
       zählte. Rabin sei kein großer Rhetoriker gewesen, im Grunde genommen auch
       kein Charismatiker. Nach einem Treffen mit Jimmy Carter im Weißen Haus soll
       Rabin, auf Aufforderung, Carters Tochter Amy Carter beim Klavierspielen
       zuzuhören, nur trocken geantwortet haben: „Lieber nicht.“
       
       Es sind solche Anekdoten, die Rabinovichs Biographie lesenswert machen.
       Zwar, betont er, transformierte Rabin seinen Stil und sein Auftreten im
       Lauf seiner zwei Amtszeiten als Premier. Seine Stärke aber, so lautet die
       Kernthese des Buchs, bestand vielmehr in seiner Nüchternheit und
       Geradlinigkeit, der penetranten Akribie und analytischen Schärfe. Für
       Rabinovich war Rabin ein Mensch, der nach Lösungen suchte, nicht einer, der
       gefallen wollte. Wie sehr er sich darin vom Typus eines Medienprofis wie
       Benjamin Netanjahu unterschied, lässt sich wohl kaum genug betonen. Und
       das, obwohl sie oberflächlich betrachtet das gleiche Ziel verfolgten:
       Israels Sicherheit.
       
       Der Anfang von Rabinovichs Buch liegt noch vor der Gründung Israels, in der
       britischen Mandatszeit. Rabin wurde 1922 in Palästina geboren, als Sohn
       osteuropäischer Einwanderer. An seinem Werdegang erzählt der Autor
       schrittweise die zentralen Stationen der israelischen Geschichtsschreibung:
       den Unabhängigkeitskrieg, den Sechs-Tage-Krieg, den Jom-Kippur-Krieg, die
       erste Intifada, bis hin zu den Friedensverhandlungen in den 90er Jahren.
       
       Rabin, zeigt Rabinovich in minutiöser Detailfreude, betrat das Amt des
       Premierministers nicht als Friedensaktivist, sondern als Kriegsveteran. Als
       Palmach-Kommandant besetzte er bereits im Unabhängigkeitskrieg eine
       zentrale Rolle: Die herben Verluste in den eigenen Reihen hatte er damals
       genauso verinnerlicht wie die Zerstörung palästinensischer Dörfer wie Lydda
       und Ramle und die damit verbundene Vertreibung ihrer Bewohner. Im
       Sechs-Tage-Krieg und dem für Israel besonders verlustreichen
       Jom-Kippur-Krieg kämpfte Rabin an der Seite berüchtigter Militärs wie
       Mosche Dajan und Jigal Allon.
       
       Rabinovich setzt Rabins langjährige militärische Erfahrung in den Kontext
       seiner späteren Friedensbemühungen: Ihm zufolge erkannte Rabin im Frieden
       mit den arabischen Nachbarn eben nicht – oder nicht nur – eine moralische,
       sondern eine strategische Notwendigkeit. Rabins militärische Karriere
       verlief dabei keineswegs bruchlos. Während der Altalena-Affäre etwa, als
       Rabin einen Schlag gegen eine rechtsextreme Splitter-Guerilla der Haganah,
       der Vorgängerorganisation der israelischen Armee beorderte, schlitterte
       Israel nur knapp an einem jüdischen Bürgerkrieg vorbei.
       
       Als Rabin später gegen Anordnung von David Ben-Gurion als ranghoher
       Offizier an einem Protestmarsch der Palmach teilnahm, wurde er
       disziplinarisch belangt.
       
       Rabins Status als Protagonist der israelischen Arbeiterbewegung und sein
       liberaler Tel Aviver Lebensstil machten ihn jedoch auch zum Inbegriff des
       säkularen Establishments in Israel. Entsprechend skeptisch betrachtete
       Rabin die Siedlungsbewegung. Kurz nach dem Sechs-Tage-Krieg hatten Siedler
       begonnen, im nun militärisch besetzten Westjordanland erste Siedlungen zu
       errichten. Viele von ihnen sahen in diesem neuen Lebensentwurf einen Akt
       der historischen Rückeroberung biblisch beanspruchter Lebensräume wie
       Ost-Jerusalem und Hebron.
       
       Obwohl Rabin vereinzelte Siedlungen als Außenposten für Israels Sicherheit
       absegnete, verachtete er die national-religiöse Begründungslogik der
       Siedler. „Für mich ist die Bibel nicht das Grundbuchamt des Nahen Ostens“,
       soll Rabin Rabinovich zufolge einmal einer Gruppe orthodoxer Zionisten
       entgegnet haben.
       
       Es war auch der Terror der ersten Intifada, der Rabin letztlich überzeugte,
       dass Israel nicht weiter zwangsweise über die Palästinenser regieren könne.
       Und so versuchte er der Idee einer palästinensischen Autonomie bereits in
       den 80er Jahren neues Leben einzuhauchen. Gleichzeitig aber sah Rabin in
       der PLO, die Terrorakte auf Israelis verübte, Lügner, mit denen Verhandlung
       unmöglich waren.
       
       Den Bruch mit dem Status quo macht Rabinovich in den 90er Jahren aus.
       Gemeinsam mit Peres, seinem Außenminister und früheren Rivalen, brachte
       Rabin das Oslo-Abkommen auf den Weg, das 1993 in einem aus heutiger Sicht
       atemberaubenden Deal mündete. Die PLO sollte Israels Existenzrecht
       anerkennen und Israel sich aus Gaza und sieben weiteren Städten im
       Westjordanland zurückziehen. Außerdem gewährte Israel den Palästinensern
       eine Art Selbstverwaltung.
       
       Es sind diese Jahre, in denen Rabinovich Rabins Transformation
       nachzeichnet: „Aus ungeschickter Schonungslosigkeit war nun mitreißende
       Aufrichtigkeit geworden“, beschreibt er ein Treffen mit Bill Clinton. Das
       Bild, auf dem sich ein überglücklicher Jassir Arafat und ein zerknirscht
       wirkender Rabin vor Clinton die Hände reichten, ging als Erfolg des
       Oslo-Abkommens in die Geschichte ein.
       
       ## Deutliche Anzeichen
       
       Tatsächlich unterstützte eine Mehrheit der Israelis die Einigung von 1993.
       Doch eine beispiellose Serie von Anschlägen erschütterte die
       Friedensvision.Die Hamas hatte sich zum Ziel gesetzt, die Einigung mittels
       Terror auszuhebeln. Gleichzeitig wuchsen Feinseligkeiten rechter Israelis
       gegen Rabins Politik und Person. Die Rechte fürchtete, dass Rabin auf einen
       palästinensischen Staat zusteuerte.
       
       Rabinovich beanstandet das Versagen der israelischen Sicherheitskräfte, die
       damals lediglich den palästinensischen Terror im Blick hatten. Dabei waren
       Anzeichen deutlich: Bereits 1994 tötete ein Siedler in der Abraham-Moschee
       in Hebron 29 Palästinenser.
       
       Am 4. November 1995 musste Rabin seinen Einsatz für den Frieden letztlich
       mit dem Leben bezahlen. Auf einer Friedensdemonstration in Tel Aviv
       erschoss Jigal Amir, ein rechtsradikaler Orthodoxer, Rabin vor einer
       gewaltigen Menge Demonstranten, die das Anti-Oslo-Camp in den Schatten zu
       stellen schienen. Arafat soll, als er von Rabins Tod erfuhr, in Tränen
       ausgebrochen sein. Netanjahu, der Rabin später als Premier ablöste, legte
       zwar ein Lippenbekenntnis zur Weiterführung der Oslo-Verhandlungen ab,
       höhlte den Friedensprozess aber faktisch aus.
       
       Im Nachwort des Buches beschäftigt Rabinovich sich mit der
       Was-wäre-wenn-Frage: Was, wenn Rabin nicht erschossen worden wäre? Wäre das
       Oslo-Friedensabkommen wie geplant abgeschlossen werden? Oder war, wie
       Israels Rechte argumentierte, der Friedensprozess ohnehin zum Scheitern
       verurteilt? Rabinovich spekuliert, dass es Rabin selbst ohne Oslo-Abkommen
       gelungen wäre, einen Zusammenstoß vom Ausmaß der zweiten Intifada zu
       verhindern. Lediglich Rabin habe die Entschlossenheit und das Format
       gehabt, Frieden zu bringen.
       
       Was hier durchscheint: Rabinovich neigt generell zu einer idealisierenden
       Sicht auf Rabins Person. Manche historische Fakten sprechen gegen seine
       These. So hatte sich Rabin etwa nach dem Hebron-Massaker von 1994 zu keiner
       Reaktion durchringen können, die die Siedler in Hebron in die Schranken
       gewiesen hätte. Auch, dass Rabin eine Wiederwahl gewonnen hätte, scheint
       nicht eindeutig zu sein.
       
       Doch Rabinovichs Biographie zeigt eindrücklich: Rabins Vermächtnis ist
       aktueller denn je. In der fünften Amtszeit Netanjahus, der die
       Siedlerbewegung hofiert, die Linke kriminalisiert und Bündnisse von Viktor
       Orbán bis Wladimir Putin schließt, scheint die Möglichkeit von Frieden –
       ganz zu schweigen von einer Zwei-Staaten-Lösung – gegen null zu gehen.
       „Netanjahu“, kommentiert auch Rabinovich, „hat sich als ein Meister des
       politischen Überlebens erwiesen, dem es nicht annähernd gelungen ist, mit
       Israels fundamentalen Problemen so staatsmännisch umzugehen wie Rabin“.
       
       1 Jul 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hanno Hauenstein
       
       ## TAGS
       
   DIR Biografie
   DIR Jitzchak Rabin
   DIR Israel
   DIR Palästina
   DIR Benjamin Netanjahu
   DIR Israel
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Benjamin Netanjahu
   DIR Israel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR 30 Jahre Osloer Abkommen: Wie der mögliche Frieden scheiterte
       
       Ein Kompromiss im Nahen Osten schien greifbar. Doch der
       israelisch-palästinensische Friedensprozess scheiterte – mit Konsequenzen
       bis heute.
       
   DIR Streit um Golanhöhen: Von Trumps Gnaden
       
       Die USA erkennen das von Israel besetzte Gebiet als israelisch an. Die
       alteingesessenen syrischen Bewohner sind nicht begeistert.
       
   DIR Kommentar Nach der Wahl in Israel: Warum Netanjahu gewann
       
       Sicherheit ist für die Israelis das alles dominierende Thema. Das stärkt
       das rechte Lager. Ändern könnten das nur die Palästinenser.
       
   DIR 25 Jahre Osloer Friedensabkommen: Zonen-Grenzen in Palästina
       
       Das Westjordanland ist in Zonen eingeteilt, Überbleibsel der
       Friedensbemühungen. Eine Reise nach A, B und C, zu Palästinensern und
       Israelis.