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       # taz.de -- Gutachten des Sachverständigenrates: Superministerium für die Umwelt
       
       > Der Sachverständigenrat für Umweltfragen fordert die Regierung auf,
       > Nachhaltigkeit endlich ernst zu nehmen. Also: mehr Geld und mehr Macht.
       
   IMG Bild: Soll mit deutlich mehr Macht ausgestattet werden: Bundesumweltministerin Svenja Schulze
       
       Berlin taz | Bundesumweltministerin Svenja Schulze wird sich am
       Donnerstagmittag in ihrer Lieblingsdisziplin üben: freudig über das ganze
       Gesicht strahlen. Denn wenn dann die ExpertInnen vom Sachverständigenrat
       für Umweltfragen der Bundesregierung ihr aktuelles Gutachten an die
       SPD-Politikerin übergeben, drängen sie die gesamte Regierung, Umwelt- und
       Nachhaltigkeitspolitik endlich ernst zu nehmen. Und sie fordern, das
       zuständige Ministerium mit deutlich mehr Macht auszustatten.
       
       Die sieben Öko-Weisen empfehlen nicht nur, dringend CO2 zu bepreisen oder
       mehr Geld für Öko-Forschung auszugeben – sondern auch ein ökologisches
       Veto-Recht gegen alle Gesetze und indirekt nichts anderes als [1][ein
       Umwelt-„Super-Ministerium“].
       
       Am Beginn des Gutachtens steht eine niederschmetternde Analyse: „Ein
       Großteil aller Umweltziele der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie werden
       voraussichtlich verfehlt“, heißt es dort. Ein Schaubild verdeutlicht, was
       ExpertInnen schon lange realisieren: Während die ökonomischen und sozialen
       Indikatoren für die Arbeit der Bundesregierung ganz gut aussehen, landet
       Deutschland etwa beim Energieverbrauch, dem Flächenfraß oder der Belastung
       von Gewässern mit Phosphat oder Nitrat weit hinter den eigenen Zielen. Auf
       anderen Gebieten wie Klimaschutz, Fischerei oder Schadstoffen ist die
       Bilanz kaum besser.
       
       Dazu kommt, dass die anderen Ministerien den Part der Öko-Nervensäge gern
       der Umweltministerin überlassen – statt dass sie ihre eigenen Beiträge zu
       den Nachhaltigkeitszielen leisten. Der Rat formuliert es diplomatisch:
       Öko-Belange „sollten in allen umweltrelevanten Politikfeldern
       berücksichtigt werden“, leider sei „die politische Praxis weiterhin vom
       Ressortdenken geprägt“.
       
       ## Handeln ist geboten
       
       18 Monate haben die ExpertInnen aus den Fachgebieten Gesundheit,
       Naturschutz, Recht, Energie, Klima, Gebäudetechnologie und Abfallwirtschaft
       an ihrem Gutachten gearbeitet, das den Titel „Demokratisch regieren in
       ökologischen Grenzen – zur Legitimation von Umweltpolitik“ trägt.
       
       „Es kommt jetzt genau zur richtigen Zeit“, sagt die Ratsvorsitzende Claudia
       Hornberg, Professorin für Umwelt und Gesundheit an der Universität
       Bielefeld: [2][Auf den Straßen demonstriert die Jugend] für ihre Zukunft,
       die Regierung ringt um eine Klimaschutzgesetz und einen Preis für das
       Treibhausgas CO2 – und die CDU-Ressorts für Verkehr, Wirtschaft, Gebäude
       und Landwirtschaft beschweren sich darüber, das Umweltministerium greife zu
       tief in ihre Kompetenzen ein.
       
       Genau das müsse es aber in Zukunft noch deutlich öfter tun, fordern die
       Sachverständigen in ihrem Gutachten. Die Regierung müsse handeln, weil es
       „notwendig und rechtlich geboten sei“, sagt Christian Callies, Professor
       für öffentliches Recht in Berlin. Einerseits rutsche die Menschheit gerade
       in ein Zeitalter, in dem der Mensch das Schicksal des Planeten bestimme –
       man könne von einem „Verwüstungs-Anthropozän“ sprechen.
       
       Andererseits lasse sich aus dem Staatsziel Umweltschutz und der Garantie
       der Menschenwürde ein „ökologisches Existenzminimum“ ableiten. Und dieses
       bilde eine „starke Legitimationsgrundlage“ – auf jeden Fall für politisches
       Handeln, aber im Zweifel auch für juristische Klagen.
       
       ## Ein neuer Rat für Generationengerechtigkeit
       
       Mit ihren Empfehlungen wollen die Sachverständigen all denjenigen Mut
       machen, die sich für Nachhaltigkeit einsetzen – und deren Argumente allzu
       oft hinter den Begründungen für mehr Wirtschaftswachstum oder Arbeitsplätze
       verschwinden: „Umweltpolitik kann auf starke naturwissenschaftliche,
       rechtliche, gesellschaftliche und ökonomische Legitimationsgrundlagen
       zurückgreifen“, schreiben sie.
       
       Der Beirat betont, er berate „die gesamte Bundesregierung, nicht ein
       Ministerium“. Konkret schlagen seine Mitglieder dann allerdings Maßnahmen
       vor, die tief in die momentane Politikstruktur eingreifen und das
       Umweltministerium stark aufwerten würden: Den Ressorts mit „großen
       Auswirkungen auf die Umwelt“ (also etwa Verkehr, Landwirtschaft,
       Wirtschaft, Bauen) müsse eine „stärkere Verantwortung zugeschrieben
       werden“, so die ExpertInnen. Die für Nachhaltigkeit zuständigen
       KoordinatorInnen in diesen Häusern sollten mit einem Veto Gesetzesvorhaben
       des eigenen Ressort aufschieben können.
       
       Neu gegründet werden müsse ein „Rat für Generationengerechtigkeit“. Mit ihm
       sollen auch qualifizierte BürgerInnen das Recht bekommen, Gesetze für drei
       Monate zur Debatte auf Eis zu legen. Berufen werden sollten die Mitglieder
       des Gremiums von Bundesrat und Bundestag für eine Dauer von 12 Jahren.
       
       Die Vorschläge – die den ExpertInnen etwas optimistisch als „unter den
       aktuellen Rahmenbedingungen kurz- bis mittelfristig realisierbar
       erscheinen“ – gehen noch weiter: Das Umweltministerium soll nach ihrem
       Willen das Recht haben, auch für andere Ressorts Gesetzesentwürfe
       vorzulegen und ökokritische Pläne der anderen Häuser mit einem
       Widerspruchsrecht einfrieren zu können. So etwas kann bisher nur das
       Bundesfinanzministerium.
       
       ## Appell für mehr Demokratie
       
       Schließlich sollten Ministerien und Kanzleramt offen darlegen, welche
       Kontakte zu Lobbygruppen sie unterhalten. Außerdem sollte der existierende,
       aber kaum bekannte „parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung“
       aufgewertet werden, beispielsweise indem die Regierung verpflichtet wird,
       auf die Anfragen der ParlamentarierInnen zu antworten.
       
       Seine Vorschläge versteht der Rat nicht nur als Beitrag für mehr
       Umweltschutz, sondern auch als Appell für mehr Demokratie. Schließlich
       verspreche der Staat seinen BürgerInnen Schutz – auch vor Ökokatastrophen:
       „Nur wenn die ökologische Krise durch eine Politik der ökologischen
       Nachhaltigkeit verhindert wird, können Freiheitsrechte, rechtsstaatliche
       Verfahren und demokratische Entscheidungsprozesse langfristig gewährleistet
       bleiben. Eine solche Politik ist Lebensvoraussetzungsschutz und damit
       Legitimationsgrundlage des Staates schlechthin“, schreiben die AutorInnen.
       
       27 Jun 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Programm-2030-fuer-mehr-Nachhaltigkeit/!5334577
   DIR [2] /Kommentar-Ende-Gelaende-und-FFF/!5602205
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Pötter
       
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