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       # taz.de -- E-Roller in deutschen Großstädten: Ab durch den Feinstaubhorror
       
       > Elegant, lautlos, staubfrei – so hat unser Autor die E-Roller in Tel Aviv
       > lieben gelernt. An Berliner Tücken scheitert der Fahrspaß jedoch schnell.
       
   IMG Bild: In Berlin gibt es noch zu wenige: E-Roller am Straßenrand
       
       BERLIN taz | Aus dem Hochhausfenster sah ich sie, aufgereiht neben einer
       Batterie von Fahrrädern. Die Farbe der Verführung war ein strahlendes
       Amazonasgrün, das sich bei näherem Ansehen als Limettengelb
       herausstellte: kleine Geräte auf einem Fußweg. E-Roller! Und dann huschte
       ein Mensch auf diesem Fahrzeug an mir vorbei, elegant, lautlos, staubfrei –
       wahnsinnig attraktiv. Aber wäre es nicht zu gefährlich für mich, körperlich
       nicht mehr ganz so ertüchtigt und reaktionsschnell wie einst? Und dann in
       dieser Großstadt.
       
       Das war vor ein paar Wochen, und es war nicht in Berlin oder Hamburg. Meine
       E-Roller-Urszene spielt in Tel Aviv. Es war genau das Gefährt, das ich
       brauchte. Kein Fahrrad, sondern ein Gerät, das mich an meinen Zielorten
       nicht verschwitzt ankommen lässt. Dafür in sausender, nicht allzu schneller
       Fahrt.
       
       Und wie das funktionierte – Tel Aviv und diese limettenfarbenen E-Roller:
       Das war auch deshalb eine erstaunliche Erfahrung, weil selbst die fettesten
       Trucks in den Gewerbegebieten der Vororte wahnsinnig Rücksicht nehmen. So
       auch auf Fußwegen, [1][wo ja in Deutschland das Fahren verboten ist]:
       E-Roller*innen nehmen Rücksicht, Fußgänger sind auch nicht aggressiv, auf
       den Straßen, allem Gerase zum Trotz, hat man mich im Blick und hält
       Abstand.
       
       Umgewöhnen muss man sich nur mit den kommunikativen Signalen: Mit der Hand
       anzuzeigen, dass man die Spur wechseln oder abbiegen möchte, geht immer
       schief. Das heißt, mit nur einer Hand lenken zu müssen – was aus Gründen
       der Balance nicht geht. Und wobei man also auf die Schnauze fliegt. Man ist
       mithin sehr auf die Perspektive der anderen, stärkeren
       Verkehrsteilnehmer*innen angewiesen. Und wie das klappte!
       
       ## Religion Auto
       
       Schön war auch, dass die kilometerlange Strandpromenade einen Fahrrad- und
       Rollerfahrstreifen bietet – und man mit 25 Stundenkilometern Maximaltempo
       von E-Bikes smart überholt wird.
       
       Um jetzt zur deutschen Realität zu kommen, also nach Berlin. Klar war, dass
       man auch hier an den Rollern nicht vorbeikommt – sie sind als ambulante
       Mobilgeräte viel zu verlockend, gerade für kleine Strecken um zwei
       Kilometer, die man nicht zu Fuß gehen will. Kürzlich wurde dann ein Gesetz
       zur E-Rollerei verabschiedet. Verboten ist, auf Fußwegen zu fahren – aber
       die sind ohnehin zu holprig.
       
       Also auf der Straße fahren? In friedlicher Kooperation mit Automobilistas?
       In Deutschland, das keine Religion hat als die, dem Auto zu huldigen? Wo
       ein Autofetischist wie Andreas Scheuer nicht zufällig
       Bundesverkehrsminister ist, nicht weil er der CSU angehört, sondern weil er
       die Angst der Autofahrer vor der klimaschonenden Verkehrswende aufs
       unangenehmst Menschlichste verkörpert?
       
       Sei’s drum – sie sind da. Stehen in Berliner Vierteln herum. Zum Mieten.
       Das Prinzip ist einfach. Man wird per App Mitglied der Firma, zu der eine
       bestimmte Sorte E-Roller gehört. Und hinterlässt dort seine
       Kreditkartendaten. Wer keine hat, kann keinen E-Roller mieten. Zum Fahren
       hat man den auf dem Lenker prangenden QR-Code zu scannen – und es kann
       losgehen. Der Preis bewegt sich im Centbereich für den Start und die
       gefahrenen Kilometer, das Tarifniveau beträgt ungefähr ein Drittel
       derselben Fahrt mit dem Taxi.
       
       Praktisch geht es so: Man muss den E-Roller mit tüchtigem Tritt in Schwung
       bringen und betätigt dann einen temporegulierenden Schalter dort, wo der
       rechte Daumen am Lenker liegt. So ist die Theorie. In der Berliner Praxis
       ist alles sehr, sehr deutsch: Autofahrer, die nichts sehen, vor allem einen
       selbst nicht als Verkehrsteilnehmer; die abbiegen, wann und wie sie wollen,
       rücksichtsarm. Davon abgesehen sind die Seitenstraßen aus Kopfsteinpflaster
       auch nicht schön zu befahren. Sowieso ist Berlin, trotz grüner
       Verkehrsbehörde, noch nicht gerade autoeinschränkender geworden. Die
       Karl-Marx-Straße in Neukölln hat neuerdings stellenweise Fahrrad- und
       E-Rollerspuren, aber die Sonnenallee, die legendäre Straße der Einwanderer
       und die Champs-Élysées der Hipster aus aller Welt? Schon jetzt
       zugestopftes, feinstaubhorribles Irgendwie – und da sollen noch E-Roller
       fahren dürfen? Absurd.
       
       ## Morgens Akku, abends nicht
       
       Das Ende einer Fahrt, nebenbei, ist auch simpel bewerkstelligt. Abstellen
       und mit dem Smartphone wieder den QR-Code abfotografieren und sich
       signalisieren lassen, dass man ordnungsgemäß einen „Ride“ beendet hat. In
       Israel gibt es dafür kein Gesetz, aber in Deutschland heißt es strikt, also
       überordnungsbewusst: nicht vor Hauseingängen abstellen und nicht dort, wo
       es stören könnte.
       
       Ein weiteres Problem, und zwar überall in der Welt, wo es E-Roller gibt:
       Morgens sind alle Akkus frisch und geladen, am Abend stehen die Geräte
       herum und haben keine Energie mehr. Gerade dann also, wenn man sie am
       meisten bräuchte.
       
       Und in Berlin, das darf auch nicht unerwähnt bleben: fehlt es an E-Rollern.
       Die Firmen sondieren den Markt. Ob es sich lohnt, überhaupt … und sowieso.
       Aber wenn kein E-Roller in der Nähe zu finden, dann hat der ganze
       ökologische Null-Klimabelastungs-Kram keinen Sinn.
       
       Trotzdem und kurzum: E-Roller sind schick und schön und prima und mobil,
       zumal in der Sommerhitze, weil es in U-Bahnen und Bussen aktuell
       unerträglich schweißtreibend ist. Aber es gibt noch zu wenige. Und es gibt
       noch viel zu viele Autos in der Stadt mit viel zu vielen Straßen, von denen
       sie glauben, sie seien nur für sie.
       
       Die Sehnsucht bleibt!
       
       26 Jun 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Streit-um-elektische-Tretroller/!5589817/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Feddersen
       
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