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       # taz.de -- Agrarwissenschaftler über sein Modelabel: „Ich bin stolz, vom Land zu kommen“
       
       > Lukas Meyer-Tonndorf hat ein Modelabel gegründet, um das Image von
       > Bauernkindern aufzuwerten. Ein Gespräch über Klischees, Freundschaft und
       > Dorfleben.
       
   IMG Bild: Hätte keine Lust auf ein Leben in der Stadt: Lukas Meyer-Tonndorf
       
       taz: Sie und Ihre Freunde wollen dem Begriff „Bauernkind“ eine schönere
       Note verpassen. Was ist denn schlimm daran, ein Bauernkind zu sein? 
       
       Lukas Meyer-Tonndorf: Erst einmal gar nichts. Der Gründungsgedanke der
       Marke war ein anderer: Wir haben einfach für unsere Truppe im Studium einen
       Pulli entwickeln wollen. „Bauernkind“ hat gepasst, weil wir alle in
       Richtung Agrarwissenschaften in Göttingen studiert haben. Wir waren dann
       damit auf dem Campus unterwegs.
       
       Und dann? 
       
       Fast gleichzeitig war die Grüne Woche – das ist jetzt ein bisschen mehr als
       ein Jahr her – und da kam das Thema „Mobbing von Bauernkindern“ auf. Wir
       haben nicht verstanden, warum Kinder, die vom Bauernhof kommen, gemobbt
       werden. Und weil wir die Klamotten ja schon getragen haben und dadurch mit
       vielen Menschen über das Thema gesprochen hatten, kam die Idee, das Projekt
       größer zu machen und den ganzen Begriff positiv zu besetzen.
       
       Aber wird das Landleben nicht auch schon romantisiert und damit positiv
       besetzt? 
       
       Von uns fünf ist auch nie jemand gemobbt worden. Unsere Motivation war
       eher, zu sagen: Wir sind stolz darauf, dass wir vom Land kommen und dass
       wir in der Landwirtschaft tätig sind. Ich glaube, es ist jetzt nicht so
       hipp auf dem Dorf zu leben, wo zweimal am Tag der Bus fährt. Angesehener
       ist es, mitten aus Bremen zu kommen, wo man viele Kulturangebote hat.
       
       Warum „Bauernkind“ und nicht „Landkind“? 
       
       Ich denke, bei vielen steht der Bauer als jemand da, der dreckig ist, nach
       Tier stinkt und ein bisschen einfältig ist. Das ist jetzt eine Vermutung
       von mir. Das Bild, was viele Menschen von der Landwirtschaft haben, ist
       super veraltet. Zur Ausbildung eines Landwirts gehört heute oft das Studium
       dazu.
       
       Also dürfen auch Nicht-Bauernkinder die Klamotten tragen? 
       
       Ich bin, wenn man es wortwörtlich nimmt, auch kein Bauernkind. Es geht eher
       um dieses Lebensgefühl: Ich finde es gut, vom Land zu kommen und dass es
       die Landwirtschaft gibt. Ich setze mich damit auseinander.
       
       Wer kauft denn Ihre Anziehsachen? 
       
       Wir können nachschauen, wo wir Klamotten verkaufen und das ist schon gut
       über Deutschland verteilt. Wir haben sogar schon nach Neuseeland oder
       Kanada verschickt. Ich glaube, dass es Menschen kaufen, die sich damit
       identifizieren können. Ich glaube nicht, dass das der Berliner Hipster das
       kauft, weil er das cool findet.
       
       Wie ist das Feedback? 
       
       Jeder von uns beantwortet am Tag wohl so eine Stunde lang nur Mails. Es ist
       der Wahnsinn, was die Leute erzählen, egal ob der achtzehnjährige Sohn vom
       Hof oder der siebzigjährige Großvater, der uns erzählt, wie es früher war.
       
       Gibt es auch negative Reaktionen? 
       
       Wir können gar nicht alle ansprechen und da darf man die Marke auch nicht
       überbewerten. Das bleibt ja eine Klamotte mit einem Logo drauf. Das ist die
       Frage, mit welcher Form der Landwirtschaft kann ich mich identifizieren:
       Bio oder konventionell? Darüber zu diskutieren, ist sehr spannend.
       
       Welche Klischees vom Leben auf dem Dorf stimmen denn? 
       
       Es bleibt natürlich nichts anonym in einem Dorf. Es ist eine große
       Gemeinschaft, was Vorteile hat, aber mit Sicherheit manchmal auch
       Nachteile. Man muss es ja auch gar nicht idealisieren.
       
       Wo sind Sie denn aufgewachsen? 
       
       In NRW, in der Nähe von Dortmund, „Halver“ heißt das. Ich glaube, im Dorf
       stehen 35 Häuser. In Dortmund bin ich in 35 Minuten, aber es ist schon
       klein. Ohne Auto ist da nicht viel zu machen.
       
       Sind Sie dadurch anders geprägt worden als Stadtkinder? 
       
       Es ist schon anders, aber das ist auch wieder super subjektiv. Ich glaube,
       man kann in dem kleinsten Dorf aufgewachsen sein, aber das Stadtleben
       richtig toll finden. Es gibt aber auch viele, die wollen wieder aufs Land.
       Ich auch, mich würde nie was in die Stadt ziehen, ich kann es überhaupt
       nicht verstehen, wie man da leben will. 
       
       Was ist an der Stadt so schlimm? 
       
       Die Stadt ist eng. Es ist alles super teuer, es ist voll, es ist total
       anonym. Ich finde das Landleben angenehm, wenn ich nicht ’ne halbe Stunde
       nach einem Parkplatz suchen muss. 
       
       Fürs Studium haben Sie zumindest eine mittelgroße Stadt in Kauf genommen. 
       
       Fast alle sind mit dem Studium fertig. Wir haben in Göttingen studiert,
       sind mit dem Master durch und ich arbeite seit einem halben Jahr. Wir haben
       vor vier Monaten unsere WG aufgelöst mit dem Lager.
       
       Und wie organisiert sich das jetzt? 
       
       Es ist auf jeden Fall mehr Aufwand. Unser Lager ist jetzt im Emsland bei
       Jost, der hat da den Hof übernommen. Das ist natürlich aufwendig, weil das
       Projekt Bauernkind enorm von dem Freundeskreis lebt, den wir in Göttingen
       hatten. Das sind mehr als wir fünf Gründer. In drei Wochen verpacken wir
       wieder. Wir arbeiten in den Bestellwellen und müssen ein paar hundert
       Päckchen packen. Dann kommen auch viele Freunde von uns und helfen. So ein
       Treffen ist jetzt aufwendiger, macht aber dennoch enorm viel Spaß.
       
       Das Ganze sein zu lassen nach dem Studium, war keine Option? 
       
       Nee, das ist ein bisschen wie dein Baby. Man fängt damit an und rechnet
       nicht mit so einer Resonanz. Es war erst wie ein Witz, wir haben das alles
       nie richtig geplant. Wir haben uns erst überlegt, man könnte einen
       Online-Shop bauen. Wir haben eher so aus Spaß geguckt, ob man die
       Internetdomain „bauernkind“ kaufen kann.
       
       Konnte man? 
       
       Irgendwie hatte die schon jemand geschützt, wir haben mit dem noch
       rumgehandelt, mega frech eigentlich, und haben die Seite bekommen: Oh Mist,
       jetzt müssen wir wirklich einen Internet-Shop bauen. Wir hatten keine
       Ahnung, das hatte noch nie einer von uns gemacht. Wir haben schon gedacht,
       dass wir als Werbung unser Leben lang diese Klamotten tragen müssen.
       
       Warum denn nur Klamotten? 
       
       Wir haben auch noch mega viele Ideen: Gummistiefel, Handyhüllen …
       
       Kommt also noch? 
       
       Nein. Das Problem ist einfach, dass wir jetzt schon über 200 Artikel haben.
       Das explodiert. Du hast einen Pulli, den hat man von XXL bis XXS. Der
       organisatorische Aufwand ist schon enorm.
       
       Also bleibt es bei Klamotten? 
       
       Das Ziel bleibt, dass wir diese Message weiter nach außen tragen wollen.
       Das schaffen wir, indem Leute den Pulli oder das Shirt anhaben oder von mir
       aus die Jutebeutel, die haben wir auch. Aber wenn wir jetzt beispielsweise
       Unterwäsche machen würden, dann würden das nicht so viele sehen.
       
       Und wie kommt die Botschaft an? 
       
       Das Logo fällt auf und es ist wirklich erstaunlich, wie viele einen darauf
       ansprechen. Du kommst mit Leuten ins Gespräch über Landwirtschaft, es wird
       diskutiert. Landwirtschaft geht uns alle an.
       
       Haben die Leute ein falsches Bild von der Landwirtschaft? 
       
       Auf jeden Fall. Das ist aber nichts, was ich den Menschen zum Vorwurf
       mache. Ich habe das fünf Jahre studiert und würde nicht sagen, dass ich
       alle Zusammenhänge verstehe. Und wie soll das jemand, der sich damit nicht
       auseinandergesetzt hat. Das Problem ist, dass gefühlt jeder eine Meinung zu
       dem Thema hat. Es wäre schön, wenn man versucht, ein bisschen objektiver
       drauf zu gucken und eine größere Bereitschaft hat, sich auch mal was
       erklären zu lassen. Deswegen ist das Bild von der Landwirtschaft doch sehr
       stereotyp.
       
       Auch positiv? 
       
       Nee. Negativ. Die Schlagzeilen, die im Moment von der Landwirtschaft durch
       die Zeitung wandern, sind relativ negativ geprägt.
       
       Achten Sie bei der Herstellung darauf, wo und wie es produziert wird? 
       
       Die Rohlinge, die blanken Pullis und T-Shirts, kaufen wir von einem
       Großhändler. Worauf wir da schon achten, ist, dass die zertifiziert sind:
       Sie sind „Fair Wear“ zertifiziert und aus Biobaumwolle. Es gibt wenig
       Hersteller, die wirklich qualitativ hochwertige Klamotten herstellen,
       unsere Farben und die ganzen Zertifizierungen haben. Unsere Hoodies sind im
       Einkauf schon super teuer. Wenn wir fünf davon leben wollen würden, dann
       könnten die Pullis nicht so günstig sein, wie sie momentan sind.
       
       Ist ein regionaler Hersteller denn eine Option für die Zukunft? 
       
       Absolut. Das wäre eine Überlegung. Aber wie gesagt, wir haben nicht so
       einen richtigen Plan, sondern wir schauen, wie es kommt.
       
       Wie teilen Sie die Arbeit denn unter sich auf? 
       
       Wir sind fünf Jungs, sind sehr gut befreundet und das brauchte auch einen
       Lernprozess. Da merkt man bei Entscheidungen manchmal, okay, da ist ein
       bisschen viel Testosteron im Raum und alle fünf wissen besser, wie es
       funktionieren soll. Deswegen haben wir das mittlerweile aufgeteilt. Zum
       Beispiel Ansgar, der hat so etwas wie die Projektleitung und koordiniert
       alles von oben. Ich mache mit Jost Marketing, Social Media, Foto-Shootings
       und so was. Jan und Jannik machen viel mit Steuern und Überweisungen. Da
       habe ich gar kein Plan, was da so abgeht und das ist auch gut so.
       
       Birgt so eine Firma mit Freunden nicht auch Konfliktpotential? 
       
       Ja, klar, man kriegt sich auch mal in die Haare und es wird auch mal laut,
       aber das hält man aus.
       
       Gab es auch Schwierigkeiten? 
       
       Bei den Bestellwellen haben wir am Anfang gedacht, dass das nie in Zeiten
       von Amazon klappt. Die Leute sind gewöhnt, heute zu bestellen und morgen
       ist es da. Und bei uns musst du manchmal bis zu sechs Wochen auf deine
       Sache warten.
       
       Wie funktionieren diese Bestellwellen? 
       
       Wir wollen nichts auf Lager haben, man kann bei uns also nicht immer
       bestellen. Der Onlineshop öffnet nur für acht Tage. Wir sammeln in der Zeit
       alle Bestellungen und dann machen wir wieder zu. Wir bündeln die ganzen
       Bestellungen, schicken sie raus, dann wird das produziert. Wir produzieren
       nur das, was wir auch benötigen. Erst einmal nervt uns diese ständige
       Überproduktion und auf der anderen Seite konnten wir uns als Studenten kein
       großes Lager leisten.
       
       Aber keiner von Ihnen sieht da seine berufliche Zukunft? 
       
       Sag niemals nie. Das Projekt macht echt viel Spaß und es steckt enorm viel
       Zeit drin. Meine Freizeit und mein Urlaub geht dafür drauf. Aber jetzt
       gerade macht mir mein anderer Job auch ziemlich viel Spaß und ich finde die
       Kombination cool.
       
       Wie soll es mit der Marke in Zukunft weitergehen? 
       
       Wie sich das noch entwickelt, weiß ich wirklich nicht. Als wir damals die
       zweite Bestellwelle hinter uns hatten, dachten wir: Okay, jetzt ist vorbei.
       Jetzt haben alle Leute, die wir kennen, bestellt und uns unterstützt. Aber
       bisher kommt da jedes Mal wieder was rein. Ich meine, das einzige
       Marketing, das wir gemacht haben, ist Facebook und Instagram. Das ist
       einfach krass.
       
       1 Jul 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Frieda Ahrens
       
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