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       # taz.de -- Hitze in der Arktis überrascht Forscher: Heißzeit 70 Jahre zu früh
       
       > Zu warm im Norden: Permafrostböden tauen so schnell wie für 2090
       > prognostiziert. Grönland verliert 2 Milliarden Tonnen Eis am Tag.
       
   IMG Bild: Noch ist ein bisschen Eis da: Kinder spielen am Strand in Grönland
       
       Berlin taz | Hoch im Norden schlägt die Heißzeit immer stärker zu. Neue
       Studien legen nahe, dass die Eisschmelze in der Arktis in vollem Gange ist
       und immer schneller abläuft. Damit lässt sich an den [1][Pol-Gebieten die
       globale Erhitzung] so genau und direkt erfahren wie nirgendwo sonst.
       
       In Grönland schmilzt nach einer neuen Untersuchung der Eispanzer bereits
       jetzt so schnell wie für Juli prognostiziert. Vergangene Woche verlor die
       Insel 2 Milliarden Tonnen Eis am Tag, berichteten Wissenschaftler.
       „Ungewöhnlich, aber nicht einmalig“, war das Urteil des Grönland-Experten
       Thomas Mote von der University of Georgia gegenüber CNN.
       
       Bereits 2012 war ein Rekordjahr der Schmelze in Grönland, Wissenschaftler
       fürchten nun eine Wiederholung. Ungewöhnlich warmes und stabiles Wetter mit
       bis zu 20 Grad Celsius begünstigt den massiven Eisverlust. Besonders
       beunruhigt die Forscher, dass sich nicht nur die Gletscherschmelze
       verstärkt, sondern auch die Oberfläche des Eispanzers taut.
       
       Ebenfalls alarmierende Nachrichten kommen vom Permafrostboden in der
       kanadischen Arktis. Einer Studie der Amerikanischen Geophysikalischen Union
       zufolge taut der besonders kalte Boden (unter minus 10 Grad Celsius) sehr
       viel schneller als in den Klimamodellen vorgesehen.
       
       ## Serie ungewöhnlich warmer Sommer
       
       „An allen untersuchten Stellen traf oder übertraf die maximale Auftautiefe
       seit 2003 die in einem Szenario des UN-Weltklimarats IPCC für 2090
       prognostizierten Werte“, schreibt das Forscherteam um Louise Farquharson
       vom Permafrost-Labor des Geophysikalischen Instituts in Fairbanks, Alaska.
       
       Eine Serie ungewöhnlich warmer Sommer und das Fehlen einer isolierenden
       Vegetationsschicht brächten die Eisschicht nahe an der Oberfläche doppelt
       bis fast dreimal so schnell zum Tauen wie in den Jahrzehnten zuvor. Der
       Boden senke sich deshalb um bis zu 90 Zentimeter, wenn das Eis darin
       schmelze und abfließe.
       
       Wie sorgenvoll die Klimaschützer auf die Arktis schauen, hatte bereits im
       Frühjahr ein Bericht des UN-Umweltprogramms Unep klargemacht. Während sich
       die globale Atmosphäre seit 1880 bisher um 0,8 Grad Celsius erwärmt hat,
       steigen die Temperaturen in der Arktis doppelt so schnell an.
       
       Schon bis 2050, so der Unep-Bericht „[2][Global Linkages]“, werden sie hier
       im Winter um 3 bis 5 Grad zulegen, bis 2080 sogar um 5 bis 9 Grad – „selbst
       wenn die Staaten es schaffen, ihre Treibhausgasemissionen so zu drosseln,
       wie es das Pariser Abkommen zum Klimaschutz vorsieht“.
       
       ## In den 2030er Jahren Arktis im Sommer eisfrei
       
       Die Folgen sind dramatisch: Seit 1979 ist das Meereis rund um den Nordpol
       um 40 Prozent zurückgegangen, bereits in den 2030er Jahren dürfte die
       Arktis im Sommer eisfrei sein. Ähnliches hatte auch der Bericht des
       UN-Klimarats IPCC vom Oktober 2018 prognostiziert – selbst wenn die
       Erderwärmung bei 2 Grad Celsius gestoppt werde. 2011 gab es 12,6 Tage
       weniger mit Schnee auf dem Boden auf dem eurasischen Teil der Polargebiete
       als 1982.
       
       Die Erwärmung folgt dabei laut Unep einem Teufelskreislauf: Weniger Schnee
       und Eis bedeuten mehr dunkle Land- und Meeresgebiete, die sich stärker
       aufheizen, weil sie weniger Wärme reflektieren als weiße Flächen. Mehr
       Wärme führt zu einem Auftauen der bislang ewig gefrorenen Permafrostböden,
       aus denen die Klimagase Kohlendioxid und Methan aufsteigen – was wiederum
       die Erwärmung der Atmosphäre befeuert. „Ein schlafender Riese erwacht“,
       warnt der Bericht: „Neue Daten legen nahe, dass der Permafrost viel
       schneller auftaut als bisher gedacht.“
       
       Was in der Arktis passiert, bleibt aber nicht dort: Die drastische
       Veränderung im Norden hat laut anderen Studien auch Einfluss auf die
       Wettermuster auf der gesamten nördlichen Halbkugel: Der Jetstream, das Band
       an Luftströmungen in großer Höhe, schwäche sich ab, so dass wärmere Luft
       weiter nordwärts und kältere Luft weiter südwärts als gewohnt strömen könne
       – mit Hitzerekorden im Norden, Kälteextremen im Süden und mehr
       Niederschlägen.
       
       Unbeeindruckt von diesen Entwicklungen ist die US-Regierung. Als bei einer
       Sitzung des „Arktis-Rats“ der betroffenen Länder in Finnland im Mai der
       Klimawandel angesprochen werden sollte, verweigerte Außenminister Mike
       Pompeo dem Abschlussdokument die Unterschrift. Lieber betonte er, durch
       weniger Eis gebe es leichteren Zugang zu Öl- und Gasreserven und „Chancen
       und Überfluss“.
       
       20 Jun 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /UNO-schlaegt-erneut-Klima-Alarm/!5581570
   DIR [2] https://www.unenvironment.org/resources/publication/global-linkages-graphic-look-changing-arctic
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Pötter
       
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