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       # taz.de -- Hochgefährliche Chemikalie Bisphenol A: Unaussprechlich und gefährlich
       
       > Endokrine Disruptoren sind Chemikalien, die schon in kleinsten Mengen
       > schwere Krankheiten auslösen können. Bei diesen Stoffen versagt die EU.
       
   IMG Bild: Kann Bisphenol A enthalten
       
       In Bezug auf die hochgefährliche Chemikalie Bisphenol A fällt in Brüssel in
       den nächsten Tagen mal wieder ein Sack Reis um. Das zuständige
       Regelungsgremium wird voraussichtlich beschließen, Bisphenol A (BPA) auf
       den sogenannten Anhang 14 zu setzen. Das bedeutet, der Stoff wird
       zulassungspflichtig und kann nur noch auf Antrag verwendet werden.
       
       BPA ist eine Chemikalie mit universellem Einsatzbereich und findet sich in
       vielen Plastikprodukten, Lebensmittelverpackungen, der Innenbeschichtung
       von Konservendosen, in Zahnfüllungen, Lacken oder in Trinkwasserrohren.
       Zahlen über Produktionsmengen liegen nicht vor. BPA ist ein endokriner
       Disruptor, das heißt, es stört das Hormonsystem. Seit Jahren weisen Ärzte
       darauf hin, wie gefährlich diese hormonwirksamen Chemikalien sind. Schon in
       kleinsten Mengen können sie in das Hormonsystem von Organismen eingreifen.
       
       BPA wird – wie alle endokrinen Disruptoren – in Trippelschritten reguliert.
       Es wurde als besonders besorgniserregender Stoff identifiziert, weil er
       Krebs auslösen, die Fortpflanzung stören und die Keimbahn schädigen kann.
       Er wurde in Babyflaschen verboten, dann in Kassenzetteln, für bestimmte
       Verwendungen wurden Grenzwerte verschärft, etwa in Kinderspielzeug. Doch
       noch immer findet sich BPA massenhaft in Produkten, Menschen und Umwelt.
       
       Das wird auch so bleiben, wenn der Stoff nur noch auf Antrag verwendet
       werden darf, befürchtet Manuel Fernandez, Chemikalienexperte des
       Umweltverbandes BUND. „Bislang wurden von den Behörden nahezu alle Anträge
       auf die weitere Verwendung von gefährlichen Stoffen genehmigt“, sagt
       Fernandez. Die europäische Chemikalienregulierung Reach werde zwar zu
       Recht als fortschrittlich gelobt.
       
       ## „Klingt gut, ist es aber nicht“
       
       „Sie hat das Vorsorge-Prinzip der EU verinnerlicht, außerdem hat sie die
       Beweislast umgedreht“, so der Experte. Das heißt, nicht mehr die Behörden
       müssen nachweisen, dass ein Stoff schädlich, sondern die Industrie, dass er
       unschädlich ist. „Klingt gut“, urteilt Fernandez, „ist es aber nicht.“ Das
       Gesetzeswerk werde nicht korrekt umgesetzt.
       
       Reach identifiziere und reguliere schädliche Stoffe, sagt Josef Köhrle vom
       Institut für Experimentelle Endokrinologie der Berliner Charité, „aber es
       zieht sie nicht aus dem Verkehr“. Als Endokrinologe befasst sich der
       Professor mit dem Hormonsystem und dem Stoffwechsel. Er fordert eine
       deutliche Abkehr von der bisherigen Risikobeurteilung von hormonell
       wirksamen Stoffen wie BPA.
       
       „Diese Chemikalien wirken bereits in Mengen, die viele Toxikologen gar
       nicht ernst nehmen“, sagt Köhrle. „Hormone sind in Gewebezellen schon ab
       einer Konzentrationen von 10-12 – also ab einem Billionstel – wirksam.“ Zum
       Vergleich: Ein Promille – ein Tausendstel – trägt die Potenz 10-3. In
       bestimmten Phasen der Entwicklung könne die Wirkung auch kleinster Mengen
       von endokrinen Disruptoren, etwa auf eine Stammzelle, nicht vorhergesagt
       werden. So legen Studien nahe, dass endokrine Disruptoren die Bildung von
       Fettzellen begünstigen – zulasten von Muskel- oder Knochenzellen.
       
       Die Toxikologie werde an Universitäten kaum noch betrieben und sei
       inzwischen fast ausschließlich in den Händen von Industrie und Behörden.
       „Dort werden überwiegend noch Denkkonzepte des letzten Jahrhunderts
       verfolgt“, kritisiert Köhrle, „die nicht dem Stand der Forschung aus
       endokrinologischer Sicht entsprechen“. Köhrle fordert, hormonell schädliche
       Chemikalien wirksam und schnell vom Markt zu nehmen.
       
       Hingegen liegt laut Bundesregierung „für ein generelles Verbot von BPA in
       Lebensmittelbedarfsgegenständen keine wissenschaftliche Grundlage vor“,
       teilte das Landwirtschaftsministerium jüngst auf eine Kleine Anfrage der
       Grünen mit. „Der Umgang mit Bisphenol A zeigt, dass das Reach-Verfahren
       viel zu langsam funktioniert“, sagt Bettina Hoffmann, Sprecherin für
       Umweltgesundheit der Grünen im Bundestag. „Schon bevor Reach eingeführt
       wurde, gab es deutliche Hinweise darauf, dass die Bevölkerung vor Bisphenol
       A geschützt werden muss“, so Hoffmann, „seit zehn Jahren ist kaum etwas
       passiert.“
       
       23 Jun 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Heike Holdinghausen
       
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