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       # taz.de -- Emanzipation vor 100 Jahren: Aufstieg mit Hindernissen
       
       > Fortschritt am Stadtrand: In Berlin erinnert „Klasse Damen!“ an die
       > Zulassung von Künstlerinnen an der Berliner Kunstakademie vor 100 Jahren.
       
   IMG Bild: Ausstellungsansicht mit einer Büste von Milly Steger und „Zschäpe in Öl“ von Else Gabriel
       
       In der Berliner Geschichte der Emanzipation der Frauen war das kein kleiner
       Meilenstein, als im März 1919 Frauen die Zulassung zum Studium an der
       Berliner Kunstakademie erhielten. In der Weimarer Republik hatten Frauen
       endlich das Wahlrecht bekommen, der Zugang zur Kunstausbildung war ein
       weiterer Schritt. Und welche Berliner Institution gedenkt nun dieses
       Ereignisses? Die Berlinische Galerie? Die Nationalgalerie? Die Akademie der
       Künste?
       
       Nein, es sind zwei Künstlerinnen, Ellen Kobe und Ines Doleschal, die die
       Initiative ergriffen, Anträge auf ein Recherchestipendium beim Berliner
       Senat einreichten, auf Projektförderung beim Hauptstadtkulturfonds und der
       Kulturstiftung des Bundes, überall abgelehnt wurden und trotzdem
       weitermachten.
       
       Realisiert wurde ihre Ausstellung „Klasse Damen! 100 Jahre Öffnung der
       Berliner Kunstakademie für Frauen“ schließlich mit kommunalen Mitteln des
       Bezirksamts Marzahn-Hellersdorf. Dort werden die „Klasse Damen“ in der
       wiederaufgebauten Fabrikantenvilla Schloss Biesdorf gezeigt.
       
       ## Eine begehrte Porträtistin
       
       Die Malerin Julie Wolfthorn, geboren 1864, lernte ihr Handwerk in Paris an
       privaten Kunstakademien. Schon 1905 hatte sie eine Petition mit der
       Forderung der Zulassung von Frauen zur Königlichen Akademie der Künste
       initiiert, 200 Künstlerinnen unterschrieben. Der Akademiedirektor Anton von
       Werner lehnte ab.
       
       Von ihr ist ein Rückenakt und ein Porträt einer Frau zu sehen, das, zart,
       intim, vornehm und zurückhaltend gemalt, leicht nachvollziehen lässt, dass
       Wolfthorn in der Berliner Gesellschaft eine begehrte Porträtistin war.
       Langfristig in die Unsichtbarkeit gedrängt hat sie der Umstand, Jüdin zu
       sein. Sie wurde 1944 in Theresienstadt ermordet.
       
       26 Künstlerinnen zeigt die Ausstellung, knapp die Hälfte aus dem frühen 20.
       Jahrhundert. Wenige davon, wie [1][Hannah Höch] oder [2][Lotte Laserstein],
       kennt man noch oder wieder. Die Künstlerinnen der Gegenwart reflektieren
       die Geschichte und wie es ihnen heute als Frau im Kunstgeschäft ergeht.
       
       Ines Doleschal, Künstlerin, Kunsthistorikerin und Kuratorin, hat eine Reihe
       „Posters for Parity“ gezeichnet, die pointiert historische Vorurteile gegen
       Frauen in der Kunst aufgreifen. Etwa von den Bauhaus-Meistern; Oskar
       Schlemmer fand den Spruch lustig: „Wo wolle ist, ist auch ein weib, das
       webt, und sei es nur zum Zeitvertreib“, der bei Doleschal über den
       Farbmustern berühmter Bauhaus-Teppiche steht. Von Frauen gewebt, die auch
       am Bauhaus trotz anderer Wünsche in die textile Werkstatt geschickt wurden.
       
       ## System des Vergessens
       
       Die Künstlerin Ute Weiss Leder, geboren 1959, beschäftigt sich mutig mit
       dem Karriereknick, der Künstlerinnen ab 50 oft wieder ins Abseits schiebt.
       In eine seismografische Zeichnung hat sie die Daten ihrer Ausstellungen und
       Kunstprojekte übersetzt, dicht ist das Feld zehn, zwanzig, dreißig Jahre
       nach dem Start, um dann in dünnen Linien auszulaufen.
       
       Dass hinter dem Vergessen von Künstlerinnen ein akademisches System steckt,
       thematisiert Seraphina Lenz. Sie hat sich die Mappen „Meisterwerke der
       Kunst“ vorgenommen, die sie aus ihrem Kunstunterricht in den 80er Jahren
       kannte. Dort dominierten und dominieren noch immer die Kunstwerke von
       Männern, selbst in der Gegenwart, die doch so viele Künstlerinnen kennt.
       
       Dieser aufklärende Gestus in den Arbeiten einiger zeitgenössischer
       Künstlerinnen tut der Ausstellung gut. Aber auch dass die Frau nicht nur
       als Opfer oder heroische Pionierin thematisiert wird. else (Twin) Gabriel
       beschäftigt sich in inszenierten Fotografien, Filmen und Gemälden mit der
       Frau als Täterin. Ihr Porträt „Zschäpe in Öl“ zeigt eine beängstigende
       Physiognomie.
       
       ## Viel bezahlt in den Damenklassen
       
       Die schönen Karten, die für jede Künstlerin mit einer Abbildung und einem
       kurzen Text zu Biografie, Ausbildung und Arbeit hergestellt wurden, sind
       oft eine hilfreiche Information und müssen schon jetzt nachgeliefert
       werden. Begehrt sind sie auch, weil man hier vergessene Malerinnen der
       zwanziger Jahre entdecken kann: Wie Erna Schmidt-Caroll, geboren 1896, die
       mit wenigen Strichen ein Paar singender Damen skizziert hat, ganz Mund,
       Taille und in die Hüften gestemmte Arme, exaltiert und lebenslustig.
       
       Oder Doramaria Purschian, geboren 1890, deren schöne Skizzenbücher in einer
       Vitrine liegen. Wie die meisten der hier gezeigten Künstlerinnen lernte sie
       in privaten Damenklassen, die die Frauen mehr kosteten, als ihre männlichen
       Kollegen zahlen mussten. Ihr Bild von einer „Waschecke“ zeigt ein
       bescheidenes Interieur, mit Stellwand, Becken und Kittel, und ist doch der
       Ort, an dem sich die wohlhabende Industriellentochter in die Künstlerin
       verwandelt, die sich durchbeißen muss.
       
       Wie die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff von Brüdern, Freunden und
       Familie kleingehalten wurde in ihrem Kunstwollen, hat Karin Duve in ihrem
       Roman [3][„Fräulein Nettes kurzer Sommer“] erzählt. Gaby Taplick baut ihr
       nun einen Turm, angelehnt an ihr Gedicht „Am Turme“, aus altem Möbelholz,
       gewunden und eng. Er passt kaum in den Ausstellungsraum. Man kann in ihm
       hinaufsteigen, sich verstecken, hängen bleiben – ein schönes Bild für einen
       absurd verstellten Weg.
       
       Klasse Damen! Schloss Biesdorf, Alt-Biesdorf 55, Mi.– Mo. 10–18, Fr. 12–21
       Uhr, bis 13. 10. 2019
       
       14 Jul 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Katrin Bettina Müller
       
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