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       # taz.de -- Frauen-WM Achtelfinale: Das ganz große, kollektive „Hu“
       
       > Italien hat zum ersten Mal seit 1991 das Viertelfinale einer Frauen-WM
       > erreicht. China muss wie Japan die Heimreise antreten.
       
   IMG Bild: Valentina Giacinti genießt das süße Leben nach dem 1:0
       
       taz | Montpellier War das ein Finale, oder wirklich bloß das Achtelfinale?
       Wie Weltmeisterinnen stürmten die italienischen Ersatzspielerinnen mit
       Schlusspfiff des 2:0-Sieges gegen China aufs Feld, es gab Jubeltraube, es
       gab Ehrenrunde, es gab kollektives „Hu“ mit den Fans. Ein nationales
       Lächeln gar wollte ein Reporter das ganze Spiel über auf dem Platz gesehen
       haben, nachdem Italien zum einzigen Mal seit 1991 im Viertelfinale einer WM
       steht. Und Valentina Giacinti, die mit ihrem Tor die Träume wahr werden
       ließ, stimmte ihm zu, was sollte sie auch sonst tun: „Wir sind ein Team,
       das weiß, wie man Spaß hat. Das Lächeln zeigt: Ich bin da. Das sind die
       Details, die uns so stark machen.“ Die Heimat, diese Unterstützung mache
       sie glücklich hier in Montpellier: „Wir spüren die Liebe der Fans in
       Italien, die Zufriedenheit, den Stolz. Das tragen wir aufs Feld.“
       
       Es gibt Teams, die zerbrechen am Druck einer Mission. Frankreich war
       beinahe so ein Team, gegen Brasilien quälte man sich arg unter der
       Erwartungshaltung der Massen. Und fast jede Gastgebermannschaft strauchelte
       daran. Umso erstaunlicher, wie willig sich die Italienerinnen immensen
       Druck aufladen, der sie bislang vor allem zu beflügeln scheint. Keine in
       dieser Mannschaft, die nicht vom großen Ganzen sprach. „Das hier ist eine
       große Eroberung. Es ist eine Mission für uns“, sagte Valentina Cernoia.
       Trainerin Milena Bertolini führte aus, welche Mission das sei. „Dieses
       Nationalteam hat den Frauenfußball in Italien wirklich verändert, alle
       sagen das. Wir repräsentieren eine ganze Bewegung. Und wir wollen außerdem
       einen anderen Fußball zeigen als den, den wir gewohnt sind. Sportliche
       Werte, gesellschaftliche Werte, einen kulturellen Wandel in Italien
       auslösen.“ Nein, unter dem Weltfrieden machen es die Italienerinnen nicht.
       
       Natürlich kommt ihnen entgegen, dass schon das erreichte Achtelfinale
       daheim als Sensation galt, also niemand mehr erwartet. „Unglaublich, aber
       wahr“, jubelte nun der Corriere dello Sport, wo es die Frauen immerhin aufs
       Titelblatt schafften. „Italien fliegt ins Viertelfinale.“ Man liest Stücke
       von Redakteuren, die ihre neu entdeckte Liebe zum Frauenfußball feiern,
       wenn auch mit recht gönnerhafter Macho-Attitüde (er möge Cernoia, „weil sie
       spielen kann wie ein Mann“, schrieb einer, um sich gleich in Klammern
       lapidar für den Sexismus zu entschuldigen).
       
       Anders als befürchtet war die Achtelfinalpartie gegen China zumindest in
       der ersten Halbzeit sehr unterhaltsam. Italien stürmte, die Chinesinnen
       kombinierten geschickt offensiv, es war ein gleichwertiges Hin und Her.
       Kein Catenaccio, keine Defensivschlacht nirgends. China allerdings wurde
       dieser neue Mut zum taktischen Verhängnis: Die sonst so beinharte Abwehr
       stand weit offen, was wohl auch die Italienerinnen überraschte. Sie kamen
       ständig zu Chancen, schon in der 15. Minute traf Giacinti zur Führung.
       
       ## Mauern wie die Männer
       
       Umso mehr war China gezwungen, in die Offensive zu gehen, und ließ Raum für
       italienische Konter. Vor allem die starke Li Ying und die eingewechselte
       Song Duan schnürten Italien dabei recht erfolgreich im eigenen Sechzehner
       ein. Vor der Pause hätte China eigentlich ein Tor erzielen müssen, die
       überforderten Italienerinnen wackelten heftig. Stattdessen fiel das Tor in
       der 49. Minute durch Aurora Galli auf der Gegenseite, nach einem eigentlich
       harmlosen Distanzschuss. Von da an mauerten die Italienerinnen um die
       furchtlose Elena Linari wieder, „wie die Männer“, wie man vielleicht in
       Italien sagen würde.
       
       China blieb zu langsam, zu durchschaubar, die Partie verflachte. Trainer
       Xiuquan Jia eröffnete nachher demütig: „Die Niederlage ist nur meine
       Verantwortung“, und deutete einen möglichen Rücktritt an. Es waren zwei
       sehr gegensätzliche Zustände, die einander hier trafen, ein Team in einem
       unverhofften, vielleicht nicht nachhaltigen Aufschwung, das andere schon
       länger im Niedergang. „Wir können nicht in der Vergangenheit hängen
       bleiben, wir müssen den chinesischen Fußball stärker verbessern“, forderte
       Xiuquan Jia.
       
       Mit China und Japan sind alle asiatischen Teams bereits im Achtelfinale
       ausgeschieden. Es bleibt eine drückende Monokultur, ein Viertelfinale aus
       Europäerinnen plus dem US-Team. Die einzige schiefe Note in diesem
       eingespielten Ensemble sind die Italienerinnen, auch deshalb liebt man sie;
       der letzte Tropfen Unwägbarkeit in einer sonst sehr vorhersehbaren
       Konstellation. Ein Hauch des Wilden, obwohl sie eigentlich ziemlich
       diszipliniert sind. Sehr kompakt, stark im Pressing, im Angriff etwas
       grobmotorisch, aber mit dem Mut derer, die nichts zu verlieren haben. Es
       wird gewiss nicht leicht im Viertelfinale für die Niederländerinnen.
       
       „Sie leisten eine glaubhafte Arbeit des Aufopferns, es geht um die
       kollektive Mentalität“, beschrieb es Milena Bertolini. Aufopfern für die
       sportliche Sensation, für ihr Team, und natürlich, man ahnt es, fürs große
       Ganze. Falls das nicht, mit der Aussicht auf einen historischen
       Halbfinaleinzug vor Augen, des selbst auferlegten Drucks etwas zu viel
       wird.
       
       26 Jun 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alina Schwermer
       
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