URI: 
       # taz.de -- Komödie „Yesterday“: John Lennon? Wer soll das sein?
       
       > Danny Boyles Komödie „Yesterday“ spielt mit unserer Vorstellung vom
       > kollektiven Gedächtnis. Dran glauben müssen ausgerechnet die Beatles.
       
   IMG Bild: Er will doch nur singen: Jack (Himesh Patel) und die finstere Major-Mandy (Kate McKinnon)
       
       Was wäre schlimmer gewesen als der Mord an John Lennon? Nun, etwa wenn es
       die Beatles überhaupt nicht gegeben hätte. Eine solche Welt scheint
       ziemlich undenkbar. Oder auch nicht? Der britische Regisseur Danny Boyle
       und sein Drehbuchautor Richard Curtis spielen in ihrer Komödie „Yesterday“
       diese Idee jetzt einmal durch. Wobei es die Beatles bei ihnen durchaus
       gegeben hat. Es kann sich bloß niemand mehr an sie erinnern. Beinahe
       zumindest.
       
       Held dieses Gedankenexperiments in Sachen kollektives Gedächtnis ist Jack
       Malik (Himesh Patel), ein fleißiger, nicht unbegabter Singer-Songwriter,
       doch ohne nennenswerte Aussichten auf kommerziellen Erfolg und entsprechend
       illusionsarm. Sein treuester Fan ist zugleich seine Managerin und
       Jugendfreundin Ellie (Lily James).
       
       Zu Beginn des Films absolviert der begrenzt charismatische Jack einen
       unterwältigenden Auftritt auf dem Latitude-Festival – das es wirklich gibt
       – und beschließt danach, sich einen anderen Beruf zu suchen, statt weiter
       tagsüber im Lager eines Großhandels Bierkisten einzusortieren und abends in
       Pubs zu singen, wo von den Gästen dabei ebensolches Bier konsumiert wird.
       
       Damit der Film aber zu seiner eigenwilligen Pointe kommen kann, muss
       zunächst etwas Ungewöhnliches passieren. So kommt es in der Nacht von Jacks
       folgenschwerem Beschluss zu einem Stromausfall. Kurz: Dafür ist es rund um
       den ganzen Globus für ein paar Sekunden pechschwarz. Auch der Bus, auf den
       Jack mit seinem Fahrrad an einer Straßenkreuzung trifft, ist mangels
       Beleuchtung unsichtbar. Und nimmt Jack ein paar Meter mit.
       
       ## Probier es doch mal mit „Hey Dude“
       
       Dann Krankenhaus, Bettruhe, Gebiss ramponiert. Zur Entlassung aus der
       Klinik schenkt ihm Ellie eine neue Gitarre. Seine alte hatte die Begegnung
       mit dem Bus nicht überstanden. Das Instrument weiht er sogleich mit einem
       würdigen Song ein. „Yesterday“ von den Beatles. Den anwesenden Freunden
       gefällt es. Sie wollen wissen, ob es von ihm ist. Auf den Namen der Beatles
       reagieren sie mit Unverständnis. Jack vermutet einen Witz, findet den
       jedoch nicht besonders gelungen.
       
       Bei ein paar weiteren Versuchen mit Beatles-Songs ergeht es ihm ähnlich.
       Und auch das Internet hat die Fab Four vergessen. Statt „Beatles“ bekommt
       er „Beetle“ als Suchergebnis, für „John, Paul, George, Ringo“ bietet ihm
       Google Pope John Paul II als Antwort. Die Rolling Stones hingegen sind dem
       Internet nach wie vor bekannt. Jack beschließt, der Welt die Songs der
       Beatles zu erhalten, und nimmt dafür einen großen Betrug in Kauf. Er spielt
       das Spiel einfach mit und tut fortan so, als habe er selbst die Hits seiner
       Helden geschrieben.
       
       In „Yesterday“ gewinnen Boyle und Curtis, beide hinreichend
       komödienversiert, ihre meisten Witze aus der Situationskomik, die durch den
       Widerspruch zwischen dem Wissen von Jack und dem Publikum einerseits und
       der Ignoranz seines Umfelds andererseits entsteht. Bis hin zu einigen
       Kalauern, etwa wenn der inzwischen von der Musikindustrie entdeckte Jack
       mit Ed Sheeran, der sich im Film selbst spielt, im Studio sitzt und Sheeran
       ihm den Vorschlag macht, es statt „Hey Jude“ doch vielleicht mal mit „Hey
       Dude“ zu probieren.
       
       ## Gegensätze in einem Leben
       
       „Yesterday“ beschränkt sich allerdings nicht auf diesen
       Verwechslungskomödienplot, sondern will, das ist Curtis’ großes
       Spezialgebiet, zuallererst eine romantische Komödie sein. In der wollen
       Jack und Ellie einander, kommen aber nicht so recht zusammen. Für diesen
       Strang der Handlung bleibt die Frage, wie es wäre, wenn tatsächlich niemand
       mehr die Beatles kennen würde, ziemlich unerheblich.
       
       Boyle und Curtis spielen immer wieder mit dem Gegensatz zwischen
       beschaulicher kleinbürgerlicher Existenz, die ein ungetrübtes Liebesglück
       zu versprechen scheint, und dem bösen ausbeuterischen Geschäft der
       Musikindustrie, als deren Repräsentantin die Komikerin Kate McKinnon eine
       teuflisch gute Figur macht und neben Himesh Patel die stärkste Darbietung
       im Film liefert. Ein paar kleine Seitenhiebe auf das Major-Geschäft
       gestatten sich Boyle und Curtis ebenfalls.
       
       Was sie jedoch weniger ernsthaft zu interessieren scheint, ist die Frage,
       wie vermeintliche kulturelle Gewissheiten sich als weit weniger
       selbstverständlich erweisen können, als die eigene Sozialisation einem
       mitunter vorgaukelt. Zukünftige Generationen werden höchstwahrscheinlich
       nur noch in Ausnahmefällen mit den Beatles als Grundbaustein ihres
       Pop-Kosmos aufwachsen. Das ist kein Weltuntergang, aber eine Überlegung,
       mit der sich die eine oder der andere schwerlich wird anfreunden können.
       Wie sagt eine Freundin von Jack doch, nachdem er „Yesterday“ vorgetragen
       hat? „Na ja, es ist nicht ‚Fix You‘ von Coldplay.“
       
       10 Jul 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tim Caspar Boehme
       
       ## TAGS
       
   DIR The Beatles
   DIR Yesterday
   DIR Danny Boyle
   DIR Spielfilm
   DIR John Lennon
   DIR The Beatles
   DIR The Beatles
   DIR Musik
   DIR The Beatles
   DIR London
   DIR Film
   DIR Kinofilm
   DIR Ghostbusters
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Dokumentarfilm John Lennon und Yoko Ono: Ein gewisses Gefühl von Chaos
       
       Das Star-Paar schaut im Bett ganz viel Fernsehen: Kevin Macdonalds
       collagenartiger Dokumentarfilm-Essay „One to One: John & Yoko“ ist ein
       Kunstwerk.
       
   DIR Unveröffentlichter John Lennon-Song: 50.000 Euro für „Radio Peace“
       
       Ein Beatles-Fan ersteigerte für knapp 50.000 Euro eine 33-minütige Kassette
       von 1970. Darauf ist der unveröffentlichte Song „Radio Peace“.
       
   DIR Mutmach-Musikvideo aus Wilhelmshaven: Flimmernder Freundschaftsdienst
       
       40 Wilhelmshavener Musiker*innen setzen unter Coronabedingungen eine
       Beatles-Coverversion in Szene. Ein Lebenszeichen aus dem Kulturbereich.
       
   DIR Beatles-Drummer Ringo Starr wird 80: Er ist ein ganz feiner Kerl
       
       Ringo Starr, der Drummer mit den schönsten Koteletten, feiert seinen 80.
       Geburtstag. Wir gratulieren und fragen uns: „What goes on in your heart?“
       
   DIR Erinnerungen an die Beatles: Versteigerung von Beatles-Songtext
       
       Der handgeschriebe Zettel von „Hey Jude“ wurde für eine knappe Million
       Dollar versteigert. Paul McCartney schrieb den Song für John Lennons Sohn.
       
   DIR Wiederveröffentlichung von The Kinks: Als Sex noch schmutzig war
       
       Vor 50 Jahren erschien „Arthur or the Decline and Fall of the British
       Empire“ von The Kinks. Nun wird die Rockoper wiederveröffentlicht.
       
   DIR Actionkomödie „Bad Spies“: Blutspur durch Europa
       
       Die Actionkomödie „Bad Spies“ schickt zwei  US-Laienagentinnen auf
       Europamission – Culture Clash und #MeToo-Bewusstsein inklusive.
       
   DIR Historiendrama über Churchill: Die Mobilisierung der Sprache
       
       Weltgeschichte als Handeln mutiger alter Männer: Der heroisierende Film
       über Winston Churchill, „Die dunkelste Stunde“, trifft einen Nerv.
       
   DIR „T2 Trainspotting“ auf der Berlinale: Touristen der Jugend
       
       Was machen Spud und Co als Vierzigjährige? Danny Boyle hat mit „T2
       Trainspotting“ den Klassiker von 1996 fortgesetzt.
       
   DIR Remake von „Ghostbusters“: Das Gespenst des Sexismus
       
       Die Geisterjäger sind zurück – mit Frauen in den Hauptrollen. Im Netz sorgt
       das für einen sexistischen Shitstorm.