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       # taz.de -- Rechte Gewalt in Pirmasens: Entscheidende Details
       
       > Polizeibekannte Rechte jagen zwei Asylsuchende durch die pfälzische
       > Stadt. Zuerst schildert die Polizei den Fall jedoch etwas anders.
       
   IMG Bild: Die Fußgängerzone von Pirmasens
       
       Es sind Szenen, die eigentlich wenig Interpretationsspielraum lassen: Drei
       glatzköpfige Männer in Springerstiefeln und Militärhosen rennen am
       vergangenen Samstagabend mit nacktem Oberkörper durch die Fußgängerzone der
       40.000-Einwohner-Stadt Pirmasens. Sie hetzen zwei junge Äthiopier und
       schreien ihnen rassistische Beleidigungen hinterher.
       
       Zuvor hatte das Trio die Flüchtlinge mit Faustschlägen ins Gesicht
       attackiert. Die herbeigerufene Streife kann die Angreifer stellen. Eine
       Überprüfung der Personalien ergibt bereits vor Ort, dass die drei als
       politisch motivierte Straftäter bekannt sind.
       
       Für die Polizeidirektion Pirmasens ist der Interpretationsspielraum aber
       offenbar immer noch ziemlich groß. Am folgenden Sonntagvormittag erscheint
       eine [1][Pressemitteilung]. Die Überschrift: „Halskette geraubt“. Danach
       ist bloß von einem „grundlosen“ Angriff und einer Auseinandersetzung
       zwischen mehreren Personen die Rede. Einem der Beteiligten sei dabei eine
       Halskette abgerissen worden.
       
       Dass Asylsuchende die Opfer waren? Steht nicht drin. Dass die jungen Männer
       gejagt und rassistisch beleidigt wurden? Fehlanzeige. Eine
       Täterbeschreibung, die entlarvend gewesen wäre? Nichts da.
       
       Beim Polizeipräsidium Westpfalz, dessen Kommissariat für politisch
       motivierte Kriminalität den Fall noch am Sonntag übernimmt, wirbt man um
       Verständnis. „Die Polizei hat den Anspruch, möglichst nur gesicherte
       Erkenntnisse zu veröffentlichen“, sagt ein Sprecher. „Der Beamte vor Ort
       hatte sich entschieden, Hinweise auf einen fremdenfeindlichen Hintergrund
       nicht zu veröffentlichen, weil diese aus seiner Sicht noch nicht
       ausreichend validiert waren.“ Einerseits wolle man die Öffentlichkeit früh
       informieren, anderseits nur gesicherte Erkenntnisse herausgeben.
       
       In der Theorie mag das einleuchten. Schließlich ist es nicht die Aufgabe
       der Polizei, vorverurteilende Vermutungen anzustellen. In der Praxis
       bemängeln Experten aber schon lange, dass Polizeibehörden vor allem bei
       politisch motivierten Straftaten von rechts einen so hohen Anspruch an die
       „Sicherheit von Erkenntnissen“ stellen, dass aus einem Angriff von
       Rechtsextremen auf Punks am Ende nur ein paar dumme Jugendliche werden,
       die sich geprügelt haben. So schreibt es etwa die Politikwissenschaftlerin
       Andrea Hübler [2][für die Heinrich-Böll-Stiftung].
       
       Hinter vorgehaltener Hand gewähren Beamte bisweilen Einblick in diese
       Denkweise. Man könne ja nie ausschließen, dass sich Täter und Opfer nicht
       vielleicht doch kannten und Streit hätten, heißt es dann. Es würden halt
       auch mal rassistische Beleidigungen fallen, wenn es emotional würde.
       Deswegen sei so eine Tat ja aber noch lange nicht rassistisch motiviert.
       
       ## Zufällig war ein Journalist vor Ort
       
       Der Fall aus Pirmasens ist daher auch für eine aktuelle Branchen-Diskussion
       relevant. Bislang galt die Polizei für Redaktionen als „privilegierte
       Quelle“. Heißt: Informationen der Behörde durften Reporter ohne weitere
       Überprüfung übernehmen. Seitdem aber die nordrhein-westfälische Polizei
       anlässlich der Proteste des Aktionsbündnisses Ende Gelände Ende Juni
       [3][mehrere eklatante Falschmeldungen herausgegeben hatte], stellt sich
       zunehmend die Frage, wie zuverlässig die Polizei als Quelle ist.
       
       Gerade im Lokaljournalismus werden Mitteilungen der örtlichen Dienststellen
       meist einfach übernommen und leicht bearbeitet. Nachfragen gibt es nur,
       wenn aus der Nachricht eine besondere Relevanz hervorgeht. Beim Raub einer
       billigen Halskette wäre das wohl nicht der Fall.
       
       In Pirmasens zeigt sich aber auch eine spezifische Stärke des
       Lokaljournalismus: Präsenz vor Ort. Am Sonntag erscheint in der
       Regionalzeitung Die Rheinpfalz [4][ebenfalls ein Bericht zu dem Angriff am
       Vorabend].
       
       Hier werden jene Details genannt, die die Polizei unterschlagen hatte. Der
       Reporter war wegen eines anderen Termins in der Stadt unterwegs gewesen und
       so zum Augenzeugen geworden. Sein Text mit der Überschrift „Afrikaner durch
       die Fußgängerzone gejagt“ wird in den sozialen Netzwerken hundertfach
       geteilt.
       
       Am Montag hat nun auch das Polizeipräsidium Westpfalz eine
       [5][Pressemitteilung] herausgegeben: ein rassistisch motivierter
       Hintergrund sei wahrscheinlich. Zudem werde der Zusammenhang mit einem
       weiteren Angriff auf Asylsuchende geprüft, der eine Woche zuvor im rund 20
       Kilometer entfernten Dahn stattgefunden hatte.
       
       10 Jul 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/117677/4316956
   DIR [2] http://www.weiterdenken.de/sites/default/files/downloads/Verfassungsschutz_Huebler.pdf
   DIR [3] https://uebermedien.de/39624/die-polizei-als-unzuverlaessige-quelle/
   DIR [4] https://www.rheinpfalz.de/lokal/pirmasens/artikel/pirmasens-afrikaner-durch-fussgaengerzone-gejagt/
   DIR [5] https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/117683/4318107
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alexander Graf
       
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