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       # taz.de -- Der Rundgang und die Paradigmen
       
       > Der jährliche Rundgang der Universität der Künste (UdK) an diesem
       > Wochenende fordert Denkweisen und Muster, damit ein neuer Rhythmus
       > entsteht, Grenzen aufgelöst und Körper und Geist angeregt werden. Eine
       > Betrachtung der Betrachtung
       
   IMG Bild: Das ist Kunst und soll nicht weg
       
       Von Lorina Speder 
       
       Eine eigene künstlerische Position zu entwickeln, kann Jahre des Austauschs
       und des Experimentierens erfordern. Ein Studium wird oft mit einer Freiheit
       des Ausprobierens verbunden, und die Universität der Künste in Berlin ist
       dafür nicht nur deutschlandweit äußerst beliebt.
       
       Weil hier berühmte ProfessorInnen wie Monica Bonvicini, Manfred Pernice
       oder Hito Steyerl mit ihren Kunstklassen im Interesse der Öffentlichkeit
       stehen, gibt es die Möglichkeit, am Tag der offenen Tür einmal hinter die
       Kulissen zu blicken. Der jährliche Rundgang der UdK findet dieses
       Wochenende unter dem Stichwort des Paradigmenwechsels statt. Denkweisen und
       Muster sollen durch den Besucheransturm einen neuen Rhythmus bekommen,
       Grenzen auflösen und Körper und Geist anregen.
       
       Dass der Rundgang gut besucht sein wird, ist aus Erfahrung anzunehmen.
       Letztes Jahr kamen circa 39.000 Interessierte, um die Präsentationen von
       rund 3.800 Studierenden aus den Bereichen Musik, darstellender und
       bildender Kunst und Gestaltung zu sehen. Ein kurzer Vergleich:
       Museumsausstellungen wie die gerade beendete Mantegna und Bellini
       Ausstellung in der Gemäldegalerie gelten als äußerst erfolgreich, wenn sie
       190.000 Besucher über vier Monate zählen konnten. Woher kommt also der Hype
       eines Akademie-Rundgangs, der auf die Tage gerechnet knapp zehnmal so viel
       Publikum anzieht wie eine museale Sensationsausstellung?
       
       Der UdK-Pressetext verweist auf das Experiment, auf das sich die Gäste
       einlassen. Der frische Blick der BesucherInnen verändere die Bedeutungen
       der Werke. Andere Betrachtungsweisen könnten die Werke in neue Richtungen
       und Positionen schieben. Auch wenn das alles ziemlich allgemein gehalten
       ist, kann man eines herauslesen: Das, was einen Standpunktwechsel mit sich
       bringt, kommt von außen in die Universität herein. Neben Freunden, Familie
       und Interessierten werden sich auch Kuratoren, Galeristen und Sammler in
       den Massen tummeln. Für die Studierenden der Bildenden Kunst ist das
       Motivation genug, beim Rundgang auszustellen. Denn wer hier her kommt,
       könnte bei den niederschmetternden Aussichten auf ein ökonomisch
       unbeschwertes Leben für die Karriere wichtig sein.
       
       Es geht in der Vorbereitung auf den Rundgang also darum, Werke zu
       erschaffen, die markttauglich sind und Aufmerksamkeit auf sich ziehen. So
       kommt man auf den Radar derer, die vor Ort sind, um frühzeitig ihre Perlen
       zu picken. Der Markt schleicht sich also in die Hochschule und in das
       Studium und wirbelt das Konzept von vermeintlicher Freiheit für
       künstlerische Experimente im geschützten universitären Raum erst einmal
       kräftig auf. Und einige Besonderheiten des Kunstmarktes, der mit einem
       gewissen Hang zum Wahnsinn fasziniert, zeigen sich auch im Rundgang.
       
       Die Besucherrekorde werden zum Beispiel jedes Jahr aufs Neue gebrochen. Die
       Suche nach angehenden Stimmen der Kulturszene ist groß und allein das
       Entdecken eines neuen Kunst-Genies macht einen Besuch attraktiv. Die
       Hoffnung, die Karriere eines gefeierten Kunststars entscheidend zu prägen
       und Talente vor allen anderen à la Peggy Guggenheim zu erkennen, dürfte
       besonders Gestaltende des Kunstmarkts auf den Rundgang treiben.
       
       Was heute selbstverständlich erscheint und ein Spektakel ist, auf das die
       Studierenden lange hinarbeiten, wurde in Berlin in seiner heutigen Form
       bereits im Jahr 1992 eingeführt. In Düsseldorf, der damals treibenden Kraft
       der Kunstakademien, gibt es diese Art von Rundgang schon seit dem Anfang
       der achtziger Jahre. Die Kritik und der Protest aus den eigenen Reihen
       gegen das Format waren damals groß. Einige Studierende verweigerten sich
       konsequent der Abschlussausstellung, und die Türen von Klassen wie der
       Bildhauerklasse von Professor Ulrich Rückriem blieben während des
       Medienansturms geschlossen.
       
       Doch das Gefühl, dass das Eindringen der Öffentlichkeit in die geschützten
       Räume irgendwie komisch und falsch ist, scheint vergessen zu sein. Beim
       letzten Düsseldorfer Rundgang kamen über 40.000 Besucher, um die Werke der
       knapp 600 Studierenden der Freien Kunst zu sehen. Alle Klassen beteiligten
       sich an der Ausstellung, und es kam durch den Andrang zu Einlassstopps.
       Kurz darauf ging es gleich weiter mit dem Spotlight auf AbsolventInnen. Sie
       stellten jeweils drei Werke auf einer Gruppenschau in der Kunstsammlung
       Nordrhein-Westfalen K21 aus.
       
       Diese Art von Briefing und Vorbereitung auf den Markt muss nicht unbedingt
       schlecht sein. Früher oder später kommen KünstlerInnen mit dem Markt in
       Kontakt und müssen damit umgehen. Die Frage ist nur, ob das Timing während
       des Studiums nicht etwas zu früh gesetzt ist. Wird man nämlich schon an der
       Hochschule entdeckt, stolpert man von der Abschlussarbeit und Studienzeit
       in das Markt-Paradigma. Sollte die eigene Kunst gefragt sein, wird von den
       jungen Kreativen eine rastlose Produktion und Präsenz gefordert, um die
       Nachfrage zu bedienen. Da bleibt kaum Zeit, um die persönliche Handschrift
       weiter zu entwickeln, die ja eigentlich noch in den Kinderschuhen steckt.
       
       Wendet man das „Experiment mit den Paradigmen“ aus dem Pressetext also
       wörtlich auf das Konzept des Rundgangs an und betrachtet dieses aus einer
       anderen Perspektive, wird man etwas nachdenklich. Man fragt sich, ob sich
       der Titel dieses Jahr auch so auf die Studierenden übertragen hat. Bei dem
       Punkt hilft nur eins: hingehen und nach Antworten suchen.
       
       11 Jul 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lorina Speder
       
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