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       # taz.de -- Forschungsziele und Strategien: Bürgerbeteiligung mangelhaft
       
       > Eine Beteiligung der Umweltverbände an der Formulierung neuer
       > Forschungsziele ist nicht erwünscht. Die bleiben beim Hightech-Forum
       > draußen.
       
   IMG Bild: Beim letzten Workshop ging es um das Thema „Soziale Innovationen im Verkehrsbereich“
       
       Berlin taz | Rollback in der Innovationspolitik der Bundesregierung. An den
       [1][Beratungen des „Hightech-Forums“] über die Entwicklung von Wissenschaft
       und Technikanwendung in Deutschland werden die Organisationen der
       Zivilgesellschaft nicht mehr beteiligt. Dafür können Bürger dann in
       Workshops ihre individuelle Meinung zur technologischen Zukunftsgestaltung
       einbringen, aber ohne Verbindlichkeit für die Politik.
       
       Rückblick: Im vergangenen Herbst hatte das Bundeskabinett die
       „Hightech-Strategie 2025“ beschlossen, das zentrale Innovationskonzept für
       diese Legislaturperiode. Darin sind unter anderem zwölf
       ressortübergreifenden „Missionen“ für Forschung und Technologie enthalten,
       die in den nächsten Jahren konzentriert angepackt werden sollen – wie etwa
       der Aufbau einer Batteriezellproduktion in Deutschland, was derzeit heftige
       regionalpolitische Scharmützel ausgelöst hat, oder das Öko-Ziel
       „Plastikeinträge in die Umwelt substanziell verringern“.
       
       Die Umsetzung der Strategie wird begleitet von einer Expertenkommission,
       dem „Hightech-Forum“, das Anfang des Jahres von den beiden federführenden
       Ministerien für Forschung und Wirtschaft eingesetzt wurde. Politisch
       bedeutsam ist: Nachdem am ersten Forum vor acht Jahren, das sich lediglich
       aus Vertretern von Wissenschaft und Wirtschaft zusammengesetzt hatte, von
       zivilgesellschaftlichen Organisationen der Vorwurf der „Klüngelei“ erhoben
       wurde, probierte man es beim zweiten Hightech-Forum in den Jahren 2015 bis
       2017 mit der Einrichtung einer – neben Wissenschaft und Unternehmen –
       „dritten Bank“, auf der Repräsentanten von Stiftungen oder Verbänden für
       bürgerschaftliches Engagement Platz nahmen.
       
       Im neuen, aktuellen Forum wurde diese dritte Bank wieder abgeschafft,
       wogegen die Zivilgesellschaft heftig intervenierte. Im März schrieben drei
       große Umweltverbände – der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland
       (BUND), der Naturschutzbund Deutschland (NABU) und die Deutsche Umwelthilfe
       e.V. (DUH) – sowie ihr Dachverband, der Deutsche Naturschutzring (DNR),
       einen offenen Brief an Forschungsministerin Karliczek, in dem sie dagegen
       protestierten, dass „die Zivilgesellschaft beliebig mal ein- und dann
       wieder ausgeladen“ werde.
       
       Gefordert wurde eine „Nachbesetzung mit 3 zivilgesellschaftlichen
       VertreterInnen“, die auch selbst von der Zivilgesellschaft benannt werden
       sollten. „Nur so kann verhindert werden, dass Technik an den Menschen und
       am gesellschaftlichen Bedarf vorbei entwickelt wird“, heißt es in dem
       Schreiben zur Begründung. In der jetzigen Konstruktion des Forums bleibe
       das „Erfahrungswissen, Kontextwissen und Zielwissen relevanter
       gesellschaftlicher Akteure außen vor“. Dies sei keine „Partizipation auf
       Augenhöhe“ wie zuvor, weil der Zvilgesellschaft die Möglichkeit genommen
       werde, Prozess und Inhalte der Innovationsagenda selber mitgestalten zu
       können.
       
       ## Ressourcen fehlen
       
       Eine weitere Forderung der Umweltverbände und der von ihnen getragenen
       „Zivilgesellschaftlichen Plattform Forschungswende“ zielte auf einen
       „systematischen Dialog“ der Forschungs- und Innovationspolitik mit der
       Gesellschaft. „Bisher geschieht dies höchstens punktuell und konsultativ“,
       bemängelte der Protestbrief. „Echte Deliberation kann in diesem Setting
       nicht erfolgen, weil Ressourcen und Machtoptionen ungleich verteilt sind
       und verteilt bleiben“. Deshalb müssten, so die Forderung, die von der
       „Forschungswende“ auch schon früher ans BMBF gerichtet wurde, „für die
       Zivilgesellschaft Ressourcen bereitgestellt werden, die ihnen die
       Mitwirkung in relevanten Konsultationsgremien ermöglichen“.
       
       Eine Antwort blieb jedoch aus. Ein Sprecher des BMBF erklärte auf
       taz-Anfrage, es habe deshab kein Antwortschreiben der Ministerin gegeben,
       weil es sich um einen offenen Brief gehandelt habe. Die Umweltverbände
       würden „über zahlreiche Gremien-, Agenda und Plattformprozesse“ in die
       Arbeit der Bundesregierung und die Aktivitäten des BMBF miteinbezogen.
       
       „Wir haben im Unterschied zur letzten Legislaturperiode auf die Definition
       von starren „Bänken“ verzichtet, da viele Mitglieder mehreren „Bänken“
       hatten zugeordnet werden müssen“, erklärte der Sprecher. Deshalb seien auch
       aus Wissenschaft und Wirtschaft „keine Verbands- bzw.
       Organisationsvertreter berufen sondern Einzelpersönlichkeiten mit jeweils
       in mehreren Dimensionen hochkarätiger Expertise“.
       
       Die zivilgesellschaftlichen Belange seien sowohl durch die Themenwahl als
       auch die personelle Besetzung des Hightech-Forums intensiv vertreten.
       Namentlich nannte der BMBF-Sprecher als Beispiel die Meeresforscherin Ante
       Boetius, die auch Trägerin des Deutschen Umweltpreises sei, Anke Hassel als
       Leitern des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der
       Hans-Böckler-Stiftung, Julia Römer, die Gründerin des Startups Coolar UG,
       die auch Beisitzerin im BUND-Bundesvorstand ist, Johannes Vogel vom Museum
       für Naturkunde, der auch die europäische Vereinigung der Bürgerforscher
       anführt, sowie Patrizia Nanz vom Potsdamer IASS als Ko-Vorsitzende der
       Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030, in der ebenfalls die
       Zivilgesellschaft vertreten ist.
       
       ## Als Ersatz gibt es Workshops
       
       Als „Ersatz“ für die Beteiligung im Hightech-Forum, das zwei bis drei Mal
       im Jahr tagt, wurden von der Geschäftsstelle des Forums, die bei der
       Fraunhofer-Gesellschaft angedockt ist, spezielle Fach-Workshops initiiert,
       die Teilnehmer-offen sind. Am letzten Workshop, der in dieser Woche zum
       Thema „Soziale Innovationen im Verkehrsbereich“ mit 40 Teilnehmern in
       Berlin stattfand, nahmen unter anderem Vertreter von Gründerfirmen und
       Gewerkschaften teil. Auch die taz durfte reinschauen (was ihr bei den
       förmlichen Forums-Beratungen – closed shop – verwehrt ist).
       
       Verkehrsexperte Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin für
       Sozialforschung (WZB) gab den fachlichen Input.Tatsächlich sei vor allem in
       den Städten eine Veränderung des individuellen Mobilitätsverhaltens
       festzustellen. So habe sich in Berlin im letzten Jahrzehnt der
       Fahrradverkehr verdoppelt – eine soziale Innovation. Dennoch sei dies –
       unter den Bedingungen des Klimawandels – keineswegs ausreichend. Hier
       müsste der Autoverkehr in Antriebstechnik und Stadtplanung zentral
       angegangen werden, was aber bei der Interessensverflechtung von
       Autoindustrie und Verkehrspolitik wenig aussichtsreich sei. Knie: „Deshalb
       gibt es in Deutschland kein Konzept für eine Verkehrswende“.
       
       Im Workshop wurden dann reihenweise Beispiele für einen ökologischen
       Stadtverkehr diskutiert, darunter die Förderung von Lasten-Fahrrädern in
       den Innenstädten, die dort schmutzige Diesel-Transporter ersetzen können.
       Die Beispiel zeigte, dass in der realen Praxis zwar Veränderungen möglich
       sind. Aber offen blieb, ob sich aus diesen Detail-Vorschlägen auch
       Verschiebungen in der großem Politik erreichen lassen.
       
       ## Das Autoland Deutschland
       
       Patrick Dieckhoff, Leiter der Geschäftsstelle des Hightech-Forums bei der
       Fraunhofer-Gesellschaft, erklärte gegenüber der taz, dass aus den
       Anregungen des Workshops ein Impulspapier erstellt werde, das in der
       nächsten Sitzung des Forums im November beraten werde, und dann in die
       Runde der Staatssekretäre der Bundesministerien gehe. Das könnte – wenn
       gewollt – auch die Schaltstelle für einen politischen Schlenker in Richtung
       sozial-ökologische Vekehrswende sein. Die Aussichten dafür sind aber im
       Autoland Deutschland eher gering.
       
       Die wirklich grundlegenden, disruptiven Innovationen kommen anders zustande
       als über die Abstimmung in Regierungszirkeln. Ein Mitglied des
       Hightech-Forums hat dafür ein besonderes Gespür: Günther Schuh, Professor
       für Produktionssystematik an der RWTH Aachen und Gründer der
       Elektrotransporter-Firma e.GO Mobile, die den deutschen Autogiganten einen
       Zukunftsmarkt weggeschnappt hat. Schuh gilt nämlich nach Medienberichten
       als ein heißer Kandidat für [2][die Leitung der neuen Agentur für
       Sprunginnovationen], über die kommende Woche im Forschungsministerium
       entschieden werden soll.
       
       14 Jul 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Manfred Ronzheimer
       
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