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       # taz.de -- Ursula von der Leyen und die EU: Schwierige Kompetenz-Tournee
       
       > Am Dienstag wird sich entscheiden, ob Ursula von der Leyen Chefin der
       > EU-Kommission wird. Sie kommt mit Schwierigkeiten im Gepäck.
       
   IMG Bild: Nie in ihrer Karriere hat sie gezögert, wenn es um den nächsten Schritt ging: Ursula von der Leyen
       
       Ja, ich höre euch. Ich schätze euch. Und ernst nehme ich euch sowieso.
       Ursula von der Leyen sitzt so aufrecht, als habe sie ein Stahllineal im
       Rücken. Weiße Bluse, taubenblauer Blazer, die Schultern gerade, der Blick
       aufmerksam. Sie lächelt. Sie nickt, wenn ein Abgeordneter kritisch fragt.
       Sie bedankt sich, sprechen zu dürfen. Alles an ihr drückt Zugewandtheit und
       Respekt aus.
       
       Vor ihr blättern die Abgeordneten der europäischen Liberalen in ihren
       Notizen, der nüchterne Saal in einem Brüsseler Parlamentsgebäude gleicht
       einem Amphitheater. Das passt. Die 60 Jahre alte Christdemokratin ist
       gerade [1][auf Werbetour in eigener Sache]. Von der Leyen will
       EU-Kommissionspräsidentin werden. Sie weiß, dass sie kämpfen muss.
       
       Vor gut einer Woche haben sie die europäischen Regierungschefs überraschend
       für den Spitzenjob [2][vorgeschlagen]. Sie wäre dann die mächtigste Person
       in der EU, die erste Frau jemals in diesem Spitzenamt und die erste
       Deutsche, seit Walter Hallstein 1958 Kommissionschef der Europäischen
       Wirtschaftsgemeinschaft wurde.
       
       Aber wollen die Abgeordneten des EU-Parlaments von der Leyen auch? Ihre
       Mehrheit wackelt. Am kommenden Dienstag, 18 Uhr, wird diese Frage
       beantwortet. Dann stimmt das Parlament über von der Leyen ab.
       
       ## Steile Karriere
       
       Klappt es, wird sie gewählt, wäre dies ein Sprung ganz nach von der Leyens
       Geschmack. Nie in ihrer Karriere hat sie gezögert, wenn es um den nächsten
       Schritt ging. Mit 44 Jahren stieg die Medizinerin – Tochter des früheren
       niedersächsischen CDU-Ministerpräsidenten Ernst Albrecht – in die Politik
       ein. Sie war Medizinerin, Mutter von sieben Kindern und die „Tochter von“.
       Erst wurde sie Sozialministerin in Niedersachsen. 2005 – mit Beginn der
       Merkel-Kanzlerschaft – kam der Wechsel nach Berlin: Familienministerin,
       Arbeitsministerin, Verteidigungsministerin. Ursula von der Leyen machte so
       schnell und steil Karriere, dass sie bei ihren Parteifreunden bis heute
       gemischte Gefühle auslöst. Viel Bewunderung, aber noch mehr Missgunst und
       durchaus auch Desillusionierung.
       
       Aus der konservativen Projektionsfläche wurde im Laufe der Jahre eine
       Realpolitikerin mit deutlichem Drall ins linksgrüne Gesellschaftsbild.
       Frauenquote in Aufsichtsräten, Elterngeld, Ausbau der Krippenplätze – all
       dies hat von der Leyen in ihrer CDU nicht beliebter gemacht. Und das
       schmieren sie ihr regelmäßig aufs Butterbrot. Beim historischen Hamburger
       Parteitag im Dezember, als ihre Vertraute Angela Merkel den Vorsitz abgab,
       wurde von der Leyen mit lausigen 57,5 Prozent zur Vizechefin ihrer Partei
       gewählt. Es war das schlechteste Ergebnis der fünf KandidatInnen. Ursula
       von der Leyen saß auf ihrem Stuhl in der Hamburger Messe und zog ihre
       Mundwinkel noch ein bisschen weiter nach oben. Haltung bewahren – das
       beherrscht sie perfekt.
       
       Von der Leyen weiß also mit Skepsis umzugehen. In Brüssel ist nun aber erst
       mal Demut gefragt. „Ich weiß, dass wir natürlich einen holprigen Start
       hatten“, sagt sie den Abgeordneten der europäischen Liberalen. Dessen sei
       sie sich absolut bewusst. „Ich kann die Vergangenheit nicht heilen, es ist
       eine Tatsache.“
       
       Viele im EU-Parlament empfinden ihre Nominierung als Affront. Der Rat
       kippte kurzerhand das Prinzip, wonach nur SpitzenkandidatInnen der
       Parteifamilien für das höchste Amt in Frage kommen. Ein öffentlicher
       Wettbewerb, so der Gedanke, stärke die europäische Demokratie. Die Idee
       hatte im EU-Parlament viele Fans. Von der Leyen zauberte der Rat dann als
       Notlösung aus dem Hut, weil die plakatierten Spitzenkandidaten keine
       Mehrheit hinter sich gebracht hatten.
       
       Ursula … wer? Diese Frage stellten verblüffte JournalistInnen in Brüssel
       ihren deutschen KollegInnen, als die Nominierung bekannt wurde. Ähnlich
       geht es vielen Abgeordneten. Für sie ist die Deutsche ein weißes Blatt
       Papier, sie wissen nicht, was sie will und wofür sie steht. Wieder wird sie
       dieser Tage zur Projektionsfläche politischer Anhänger wie Gegner. Von der
       Leyen führt deshalb fleißig Gespräche. Sie holt sich Wangenküsschen und
       eine Umarmung von Jean-Claude Juncker ab, macht ein Selfie mit der coolen
       Dänin Margrethe Vestager, die ebenfalls als Kommissionschefin gehandelt
       worden war. Die Botschaft: Frauen dissen sich nicht.
       
       Am Mittwoch dann Schaulaufen in den Fraktionen. 9.30 Uhr trifft sie die
       Abgeordneten der europäischen Sozialdemokraten. 12 Uhr die Liberalen, 16.30
       Uhr die Grünen. Zwischendurch ein Date mit Parlamentspräsident David
       Sassoli und den Fraktionsvorsitzenden. Von der Leyen postet auf Twitter
       Fotos von ihrem Brüsseler Büro. Vor ihr läge eine Woche intensiver
       Gespräche über die nächsten fünf Jahre für Europa, schreibt sie.
       Selbstbewusst klingt das, als sei sie schon gewählt.
       
       Von der Leyen ist eine andere Kragenweite als der nette CSUler Manfred
       Weber. Sie hat Tempo und weiß um gute Bilder, ist aber auch hier lernfähig.
       Als sie 2014 gerade Verteidigungsministerin geworden war, nahm sie auf
       ihrer Antrittsreise zur Marine am Horn von Afrika JournalistInnen von
       Boulevardzeitungen und Hochglanzmagazinen mit – jedoch nicht die
       superseriöse Deutsche Presse-Agentur. Die Hauptstadtpresse war not amused.
       Ebenfalls für Irritation sorgte im selben Jahr ein Foto von ihr, auf dem
       sie in einer Lederjacke mit verschränkten Armen vor einer in der Dämmerung
       pulsierenden Transall-Maschine posierte. Die Häme war groß. Von der Leyens
       Bilderpolitik ist seither strikt gewinnorientiert.
       
       Bis heute triggert die nur einseinundsechzig große Frau – vor allem
       männliche – Bürger und Berichterstatter. In ihren fünf Jahren als
       Verteidigungsministerin hat sie das deutlich zu spüren bekommen. Dort hatte
       von der Leyen von ihren Vorgängern Riesenprobleme übernommen: Kauft die
       Bundeswehr neues Militärgerät, verzögert sich oft die Lieferung, während
       die Kosten steigen. Vorhandenes Equipment ist regelmäßig defekt. Die
       Instandhaltung ist nicht gut organisiert, Ersatzteile kommen viel zu spät.
       
       Wie zuvor schon als Familienministerin setzte von der Leyen auch als
       Verteidigungsministerin auf externe Unternehmensberatung, die die Probleme
       lösen sollte. Der Ansatz war vielleicht richtig, die Durchführung lief aber
       aus dem Ruder: Massenhaft erledigen heute Privatunternehmen Aufgaben, für
       die eigentlich die eigene Verwaltung zuständig ist. Zudem vergab das
       Ministerium Aufträge, ohne sie wie vorgegeben auszuschreiben. Als das Chaos
       publik wurde und die Fachpolitiker im Bundestag anfingen nachzufragen,
       rückte von der Leyen nur zögerlich mit Informationen raus. So bewertet es
       zumindest die Opposition.
       
       Heute hat von der Leyen in der Sache einen [3][Untersuchungsausschuss] am
       Hals. Zu verdanken hat sie das auch einer ehemaligen Weggefährtin: Zu
       Beginn ihrer ersten Amtszeit holte sie die Top-Managerin Katrin Suder von
       McKinsey als Staatssekretärin ins Ministerium. Vier Jahre später trennten
       sich die Wege wieder. Ende 2018 rächte sich die Berufung der
       Consulting-Expertin für von der Leyen: Der Verteidigungsausschuss des
       Bundestags wollte Suder zur Berateraffäre befragen. Suder tauchte aber
       nicht auf. Entnervt setzten die Abgeordneten den Untersuchungsausschuss
       überhaupt erst ein: Der kann Suder als Zeugin vorladen. Jetzt muss sie also
       aussagen.
       
       ## Glühende Europäerin
       
       Auch wegen solcher Geschichten ist man sich im politischen Berlin einig,
       dass Brüssel für Ursula von der Leyen nicht nur die Krönung ihrer rasanten
       politischen Karriere wäre, sondern auch ein gesichtswahrender Ausweg aus
       dem Verteidigungsressort. Sie ist mittlerweile sechzig Jahre alt und nicht
       mehr ewig auf einen solchen Job abonniert.
       
       Von der Leyen kennt das politische Geschäft. Und: Sie ist tatsächlich eine
       glühende Europäerin. Sie ist in Brüssel geboren und dort aufgewachsen, ihr
       Vater war seinerzeit tätig für die Montan-Union. Dass sich die Staats- und
       Regierungschefs nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen konnten, ist
       nicht ihre Schuld. Aber wohl auch nicht ihr Schaden.
       
       Ob ihr ihre Kompetenz-Tournee gelungen ist, scheint am Ende dieser Woche
       äußerst fraglich. Es gehört zum Politpoker, dass diejenigen, deren Stimmen
       sie braucht, [4][erst einmal abwinken]. Aber die Ablehnung ist auch in der
       Wortwahl überdeutlich. Katarina Barley, sozialdemokratische Vizepräsidentin
       des Europaparlaments, hat am Freitag erklärt: „Stand jetzt können die
       SPD-Abgeordneten der Bewerberin nicht zustimmen.“ Die FDPlerin Nicola Beer
       sagte: „Sie hat die Fraktion insgesamt noch nicht überzeugt, mich auch
       nicht.“ Und der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold forderte schon mal
       „einen Plan B“ für den Fall, dass von der Leyen am Dienstag scheitert.
       
       Stand jetzt – es sieht nicht rosig aus für „Röschen“, wie ihr Vater sie als
       Kind genannt hat. Ihre Niederlage wäre ein schöner Triumph für die
       antidemokratischen Kräfte in ganz Europa.
       
       13 Jul 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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   DIR Anja Maier
   DIR Tobias Schulze
       
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