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       # taz.de -- Änderung der Straßenverkehrsordnung: Klingelingeling!
       
       > Eigentlich ist Verkehrsminister Andreas Scheuer eher der Auto-Typ. Doch
       > plötzlich profiliert er sich als „Radminister“. Was genau hat er vor?
       
   IMG Bild: Das fühlt sich gut an – auf Fahrradstreifen soll künftig nicht mehr geparkt werden dürfen
       
       Ausgerechnet der autofreundliche Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer
       (CSU) will sich neuerdings als [1][Radminister] profilieren. „Ich bin
       Verkehrsminister und damit auch Radminister“ – diese Aussage lässt der
       Bayer derzeit von seinen Presseleuten verbreiten.
       
       Es ist ein PR-Gag. Aber nicht nur. Der Verkehrsminister will die
       Straßenverkehrsordnung (StVO) radfahrerfreundlicher gestalten. „Die
       Änderungsverordnung wird noch im Sommer in die Ressortabstimmung und in die
       Länder- und Verbändeanhörung gehen, sodass die Verordnung baldmöglichst in
       Kraft treten kann“, teilt das Verkehrsministerium mit. Um die für viel
       Ärger sorgenden neuen E-Scooter geht es dabei allerdings nicht.
       
       Scheuer hat insgesamt zwölf Punkte angekündigt, in denen er die StVO ändern
       will. „Das ist ein großer Schritt für den Bundesverkehrsminister und die
       CSU, aber ein kleiner Schritt für den Radverkehr“, sagt der
       Bundestagsabgeordnete der Grünen und Radverkehrsexperte Stefan Gelbhaar.
       Ihm gehen die angekündigten Neuerungen nicht weit genug – auch wenn
       einzelne Punkte wie ein Bußgeld von bis zu 100 Euro fürs Halten auf dem
       Radstreifen zu begrüßen seien. „Scheuer holt nur nach, was zehn Jahre nicht
       passiert ist“, sagt er. Das gelte etwa für den Mindestabstand von innerorts
       1,5 Metern, den Autos einhalten sollen. Den sehen Richter*innen in Urteilen
       schon lange als notwendig an. „Was Scheuer will, ist nur ein Update“, sagt
       er.
       
       Problematisch ist nicht, was der Minister vorhat, sondern das, was er nicht
       vorhat, findet Gelbhaar. Da ist zum Beispiel der [2][Abbiegeassistent für
       Lkws]. Mit diesen Geräten werden Fahrer*innen gewarnt, wenn sich
       Passant*innen oder Radler*innen in ihrem toten Winkel befinden. Das Gerät
       kann Leben retten. Scheuer könnte mit einer Änderung der StVO Kommunen die
       Möglichkeit eröffnen, nur noch Lkws mit diesem Warnsystem in die Stadt zu
       lassen. Doch das hat der Minister offenbar nicht vor.
       
       Auch der Fahrradclub ADFC ist skeptisch. Zwar lobt er die große Bandbreite
       von Vorschlägen. Aber es fehle der große Wurf, der es Städten ermöglicht,
       den Platz zugunsten des Rads neu aufzuteilen, kritisiert
       ADFC-Bundesgeschäftsführer Burkhard Stork.
       
       So müssen Kommunen den Bau von Radwegen damit begründen, dass eine Gefahr
       besteht. Außerdem fordert der ADFC die Einführung von Tempo 30 als
       Regelgeschwindigkeit innerorts und Radwege an allen Straßen, auf denen
       mehr als 30 Stundenkilometer gefahren werden darf.
       
       Hier eine Auflistung, was Verkehrsminister Scheuer genau vorhat:
       
       ## 1. Autos und Laster dürfen nicht mehr auf Radstreifen halten
       
       Wer mit seinem Fahrzeug auf einem Radstreifen hält, soll künftig bis zu 100
       Euro Bußgeld zahlen müssen. Bisher ist nur parken verboten, bis zu drei
       Minuten halten ist erlaubt. Der Fahrradverband Changing Cities findet die
       Neuregelung gut, fragt sich aber, wie Verstöße geahndet werden sollen. „Die
       Polizei zu rufen nutzt in so einer Situation meistens nichts“, sagt
       Ragnhild Sørensen vom Fahrradlobbyverein Changing Cities. Auch der ADAC
       begrüßt das generelle Halteverbot, ist aber gegen das hohe Bußgeld.
       „Sanktionen müssen mit dem konkreten Gefährdungsszenario zusammenpassen“,
       sagt eine Sprecherin. Der Bundesverband für Spedition und Logistik will
       sich nicht positionieren. „Das Problem sind die fehlenden Lieferzonen“,
       sagt Hauptgeschäftsführer Frank Huster.
       
       ## 2. Beim Überholen gilt ein Mindestabstand von 1,5 Metern
       
       Innerorts sollen Radfahrende nur mit einem Abstand von mindestens 1,5
       Metern von Pkws und Lkws überholt werden dürfen, außerorts mit 2 Meter
       Abstand. Bisher schreibt die Straßenverkehrsordnung (StVO) nur einen
       „ausreichenden Seitenabstand“ vor. Die Festlegung ist überfällig, sagt der
       Fahrradverband ADFC. Dass Radfahrende und Autos sich eine Fahrbahn teilen
       müssen, sei aber das eigentliche Problem, so Sprecherin Stephanie Krone:
       „Sicherer und komfortabler Radverkehr funktioniert dann gut, wenn er von
       Autostraßen physisch abgetrennt ist.“ Der ADAC sieht keine Änderung. Ein
       1,5-Meter-Abstand sei innerorts ohnehin schon durch die Rechtsprechung
       festgelegt.
       
       ## 3. Lkws dürfen nur in Schrittgeschwindigkeit abbiegen
       
       Beim Rechtsabbiegen in Städten soll für Laster eine Höchstgeschwindigkeit
       von 11 Stundenkilometern gelten. Für den ADFC ist das immer noch zu
       schnell, „echte Schrittgeschwindigkeit“ zwischen 4 und 7 Stundenkilometern
       sei angemessen. Frank Huster vom Bundesverband für Spedition und Logistik
       sieht nichts, was gegen die geplante Regelung spricht. „Ich kann mir auch
       nicht vorstellen, dass Lkws mit mehr als 11 Stundenkilometern innerorts
       überholen“, sagt er.
       
       ## 4. Grüner Rechtsabbiegepfeil für Radfahrende kommt
       
       An Ampeln soll für Radfahrende ein eigener Grünpfeil eingeführt werden
       können, der ihnen das Rechtsabbiegen bei Rot erlaubt. Ein überfälliger
       Schritt, sagt der ADFC. Das freie Rechtsabbiegen sei in den Niederlanden
       und in Dänemark bereits erfolgreich erprobt. Dazu brauche man aber keine
       extra Schilder, sondern könne es grundsätzlich erlauben, fordert Changing
       Cities. ADAC-Sprecherin Katrin van Randenborgh findet das Modell
       Rechsabbiegerpfeil interessant. „Erst sollte aber getestet werden, ob es
       hilft und wo es einsetzbar ist“, gibt sie zu bedenken. Ein Modellversuch
       laufe bereits, man solle die Ergebnisse abwarten.
       
       ## 5. Einrichtung von Fahrradzonen
       
       In Städten sollen bestimmte Gebiete als Fahrradzonen eingerichtet werden
       können. In diesen Bereichen werden alle Straßen in Fahrradstraßen
       umgewandelt. ADFC und Changing Cities begrüßen das. Zuvor müsse aber die
       Einrichtung von Fahrradstraßen erleichtert werden. Bisher können sie nur
       eingerichtet werden, wenn der Radverkehr die vorherrschende Verkehrsart
       ist. Katrin van Randenborgh vom ADAC sieht hier keinen Nutzen, Fahrradzonen
       würden zu Unübersichtlichkeit führen. „Zudem ist zu befürchten, dass
       Autofahrer eine solche Regelung nicht verstehen“, so van Randenborgh.
       
       ## 7. Keine Parkplätze mehr vor Kreuzungen
       
       In einem Abstand von 5 Metern soll an Kreuzungen mit Fahrradwegen nicht
       mehr geparkt werden dürfen. Das soll die Sicht zwischen Straße und
       Fahrradweg verbessern. ADFC und Changing Cities fordern 10 Meter Abstand.
       Der ADAC findet die vorgesehene Änderung gut.
       
       ## 8. Parkflächen für Lastenräder
       
       Ein spezielles Zeichen soll Parkflächen und Ladezonen für Lastenräder
       ausweisen. Ragnhild Sørensen von Changing Cities findet das gut. Allgemein
       sei aber viel zu wenig Platz für Lastenräder. „Selbst neu gebaute Radwege
       sind oft zu schmal, das ist nicht zukunftsfähig“, meint sie. Der ADAC ist
       für ausgewiesene Lastenradladezonen, möchte sich aber zu
       Lastenradparkplätzen nicht äußern.
       
       ## 9. Kennzeichnung von Radschnellwegen
       
       Radschnellwege sollen ein eigenes Verkehrszeichen bekommen. Das sei
       überfällig, sagt der ADFC: „Radschnellwege müssen durchgängig gut
       ausgeschildert sein, damit sie als attraktive Schnellverbindung für Pendler
       funktionieren.“ Auch der ADAC befürwortet ein extra Verkehrszeichen.
       
       ## 10. Autos dürfen an Engstellen nicht mehr überholen
       
       Dazu soll ein neues Verkehrszeichen eingeführt werden. ADAC und ADFC
       stimmen darin überein, dass ein Überholverbot dort gelten muss, wo der
       Sicherheitsabstand von 1,5 Meter beim Überholen nicht eingehalten werden
       kann. Dafür müssen aber die Autofahrer sensibilisiert werden, sagt
       Stephanie Krone vom ADFC. Sie würden Radfahrende oft als Störfaktor
       betrachten. „Wir brauchen einen Wandel in der Mentalität und ein Ja zu
       einem Verkehrssystem auf Augenhöhe“, sagt Krone.
       
       ## 11. Modellversuche sollen erleichtert werden
       
       Kommunen sollen einfacher Modellversuche durchführen können. Bisher sind
       diese nur möglich, wenn eine Gefahrenlage vorliegt. Der Radverband Changing
       Cities sieht darin eine Chance, Innovationen voranzutreiben. Kommunen
       könnten so an mehr Stellen Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit einführen.
       Auch der ADAC hält diesen Schritt für sinnvoll.
       
       ## 12. Mehr Einbahnstraßen in Gegenrichtung für Radfahrende
       
       Kommunen soll die entsprechende Öffnung erleichtert werden. Das reicht dem
       ADFC nicht. „Die Regel soll die Freigabe sein, und die Ausnahme muss
       begründet werden“, sagt Sprecherin Stephanie Krone. ADAC-Sprecherin Katrin
       van Randenborgh sieht das kritisch. Die Öffnung von Einbahnstraßen als
       Regelfall würde nur dazu führen, dass mehr Schilder die Einbahnstraßen
       markieren, die nicht offen sind.
       
       13 Jul 2019
       
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