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       # taz.de -- Final Cut von „Apocalypse Now“: Ein meisterlicher Exzess
       
       > Blut und Schweiß: In der neuen Fassung von Francis Ford Coppolas
       > Vietnam-Klassiker wird dank digitaler Restaurierung jeder Tropfen
       > sichtbar.
       
   IMG Bild: Die filmische Qualität wird in der finalen Fassung erfahrbar: „Apocalypse Now“ wurde digitalisiert
       
       „Dieser Filme handelt nicht von Vietnam, er ist Vietnam“, ließ Francis
       Ford Coppola im Mai 1979 in Cannes verlauten, als er [1][sein Vietnam-Epos]
       „Apocalypse Now“ vorstellte. Zumindest eine erste Fassung des Projekts, das
       ihn schon damals Jahre seines Lebens gekostet hatte.
       
       Jetzt, 40 Jahre nach der Weltpremiere und dem Gewinn der Goldenen Palme,
       kommt eines der großen Meisterwerke der Filmgeschichte in einer Fassung ins
       Kino, die Coppola „Apocalypse Now: Final Cut“ nennt und die tatsächlich
       inhaltlich, vor allem aber optisch und akustisch beste aller Zeiten ist.
       
       1979 hatte Coppola nach langer Arbeit mit seinem legendären Cutter Walter
       Murch eine Work-in-Progress-Fassung gezeigt, die etwa drei Stunden lang
       war. Als der Film einige Monate später in die Kinos kam, dauerte er nur
       noch 153 Minuten, deutlich straffer und actionlastiger erzählt.
       
       Für über 20 Jahre blieb diese Version die einzige, abgesehen von einer gut
       vierstündigen Arbeitskopie, die in den 80er Jahren auf VHS-Kassette
       kursierte und heute immer noch in den Weiten des Internets zu finden ist.
       
       ## Der richtige Rythmus
       
       Mit dem Aufkommen der DVD, die neue Vermarktungsmöglichkeiten für alte
       Filme ermöglichte, wurde das Restaurieren von Klassikern beliebt. Ridley
       Scotts „Blade Runner“ etwa erschien in diversen Versionen, George Lucas
       verschlimmbesserte seinen „Star Wars“, 2001 folgte Coppola mit der
       202-minütigen „Apocalypse Now: Redux“-Fassung.
       
       Die neue, die finale Fassung beträgt nun 183 Minuten, wobei der Unterschied
       zur langen Redux-Version das Fehlen einer längeren Sequenz ist, vor allem
       aber ein leicht strafferer Schnitt-Rhythmus, der sich weniger in einzelnen
       Sequenzen als im großen Ganzen bemerkbar macht.
       
       Dass Coppola so oft an den Schneideplatz zurückkehrte, deutet die
       Schwierigkeit an, angesichts der episodischen Struktur seines Films den
       richtigen Rhythmus zu finden. Eine Reise ins Herz der Finsternis beschreibt
       er, auf einem Fluss von Vietnam nach Kambodscha, an dessen Ende die
       Hauptfigur, Captain Willard (Martin Sheen), den scheinbar verrückt
       gewordenen Colonal Kurtz (Marlon Brando) ermorden soll. Auf dem Weg erleben
       Willard und die Besatzung des Schnellbootes, das sein Lift ist, wahnwitzige
       Episoden, die das Grauen und die Absurdität des Vietnamkrieges in surreale,
       zunehmend albtraumhafte Bilder fassen.
       
       Besonders der Angriff auf ein vietnamesisches Dorf, durchgeführt von einer
       Hubschrauber-Staffel, die zu den Klängen von Wagners Walkürenritt den Tod
       aus der Luft bringt, ist in die Filmgeschichte eingegangen. Und immer noch
       ein atemberaubendes Stück Kino, das Coppolas Ausspruch, dass dies kein Film
       über Vietnam ist, sondern Vietnam, zu beweisen scheint.
       
       ## Alles Erdenkliche geraucht
       
       Gedreht wurde auf den Philippinen, ein ganzes vietnamesisches Dorf wurde
       gebaut, die philippinische Armee stellte zahlreiche Kampfhubschrauber, die
       – der Legende nach – bisweilen von den Dreharbeiten abgezogen wurden, um
       Aufständische zu bekämpfen, die gegen den Diktator [2][Ferdinand Marcos]
       rebellierten.
       
       Ein Pakt mit fragwürdigen Machthabern, der heute für eine teure
       Hollywood-Produktion undenkbar wäre, ebenso wie die sanitären Umstände der
       Dreharbeiten, von den enormen Mengen Drogen, die während des Drehs fraglos
       verbraucht wurden, ganz zu schweigen.
       
       Und auch auf der Leinwand wird alles Erdenkliche geschluckt und geraucht:
       Alkohol, Marihuana, LSD, Opium. Ganz so wie die GIs in Vietnam, die das
       Grauen eines absurden, asynchronen, für die Weltmacht USA nicht zu
       gewinnenden Kriegs mit allen verfügbaren Rauschmitteln zu betäuben suchten,
       entwickelt sich auch die filmische Nachstellung wie ein schlechter Trip.
       
       Im künstlerisch besten Sinne natürlich, denn gerade die filmische Qualität
       von „Apocalypse Now“ wird in der finalen Fassung unmittelbar erfahrbar:
       Jedes Bild wurde digitalisiert, [3][auf hochauflösendes 4K-Material]
       kopiert, das die Bilder von Kameramann Vittorio Storaro in so leuchtenden
       Farben erstrahlen lässt wie nie.
       
       Ebenfalls restauriert wurde die Tonspur, die sich zwischen Popsongs von den
       Doors bis zu den Stones und abstrakten Klängen bewegt und nun in
       kristallklarem Surround-Sound das immersive Erlebnis des [4][Eintauchens in
       den Dschungel Vietnams] noch verstärkt.
       
       Spätere Vietnamfilme, vor allem Stanley Kubricks „Full Metal Jacket“, mögen
       ihr Thema mit größer intellektueller Komplexität behandelt haben als
       „Apocalypse Now“, der bei distanzierter Betrachtung keineswegs wie ein
       sogenannter Antikriegsfilm wirkt.
       
       Doch Coppola gelingt es gerade durch den ungezügelten Exzess, der die
       Dreharbeiten prägte, die surreale Absurdität des Vietnamkriegs in einer
       immersiven Form einzufangen, die pures Kino ist. Für wenige andere Filme
       lohnt sich ein Kinobesuch so sehr wie für diesen meisterlichen Exzess.
       
       15 Jul 2019
       
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