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       # taz.de -- Australien streitet ums Wasser: Auf dem Trockenen
       
       > Jane Pye züchtet Schafe im australischen Outback. Richtig geregnet hat es
       > hier seit Jahren nicht mehr. Auf dem fünften Kontinent versiegen die
       > Flüsse.
       
   IMG Bild: Der Barwon-Fluss war früher einmal bis zu 14 Meter tief. Jetzt ist er ein Rinnsal
       
       Walgett/St. George taz | Die Sonne scheint erbarmungslos von einem blauen
       Himmel – und dann ist da plötzlich eine rote Wolke zu sehen. Wie ein
       Tsunami rollt der Sandsturm über die flache Landschaft. Staub frisst sich
       in die Kleider, in die Augen, in die Haut. Doch Jane Pye scheint das nicht
       zu kümmern. Im offenen Allradmobil rast die Bäuerin über das Gelände. Alle
       paar Tage muss sie kontrollieren, ob der Sand die Tröge verstopft hat, aus
       denen ihre Schafe trinken.
       
       Das Wasser kommt aus 600 Meter Tiefe. „Es ist die wichtigste Wasserquelle,
       die wir haben“, sagt Pye. Vor hundert Jahren hatten die Vorfahren ihres
       Mannes Charlie Rohre in das Große Artesische Becken gebohrt, ein
       gigantisches natürliches Wasserreservoir unter dem australischen Kontinent.
       „Ohne das würde meine Familie keine Landwirtschaft mehr betreiben.“ Denn
       geregnet habe es hier schon seit Jahren nicht mehr richtig.
       
       Die Farm „Gingie“ im australischen Bundesstaat New South Wales: 25.000
       Hektar pures „Outback“. Der nächste Ort, die Kleinstadt Walgett, liegt 30
       Kilometer entfernt. Wenn die Pyes zum Arzttermin nach Sydney müssen,
       fliegen sie die 500 Kilometer mit ihrem eigenen Flugzeug. Das Klima geht an
       die Substanz: eisige Kälte in den Winternächten, 46 Grad Celsius an
       Sommertagen, dazu Sandstürme und die Trockenheit. Trotz der extremen
       Bedingungen sind Jane und Charlie Pye erfolgreiche, wohlhabende Bauern.
       Denn sie haben das, worauf es am meisten ankommt: einen fast unbegrenzten
       Zugang zu Wasser.
       
       Weiter, zur Wiese Nummer drei, wenn man den staubigen, braunen Boden so
       nennen will. „Hier ist es so trocken, dass keines unserer Tiere überleben
       kann“, sagt Pye. Dünne Bäume auf topfebenem Boden, wie Skelette in einem
       Niemandsland. Für immer mehr Bauern in Ostaustralien ist dieser Anblick
       Alltag. In sieben Jahren hat es im östlichen Inland des Kontinents nur ein
       einziges Mal ausgiebig geregnet.
       
       ## Vom Fluss sind nur ein paar Pfützen geblieben
       
       Im Einzugsgebiet des naheliegenden Barwon-Flusses – der wichtigsten
       Wasserversorgung für viele Bauern und Dörfer – ist die Situation prekär.
       „In guten Zeiten“, erzählt der Aboriginal-Älteste Allan Thighe, sei der
       Fluss bis zu 14 Meter tief gewesen. Heute sind im Flussbett zwischen den
       ausgebleichten Schalen toter Muscheln die Hälse weggeworfener Bierflaschen
       zu sehen. Sie sind vor Jahren im Schlamm stecken geblieben. „Flach war
       unser Fluss auch früher schon mal. Ganz trocken aber war er noch nie“, sagt
       Tighe. An einzelnen Orten finden sich Pfützen mit verschlammtem Wasser, in
       denen die letzten Fische im Todeskampf nach Sauerstoff schnappen. Zum
       ersten Mal seit Generationen finde man an den tieferen Stellen des Flusses
       wieder Ockerfarbe, sagt Tighe. Der pigmentreiche, rotbraune Lehm wird von
       den Ureinwohnern seit Jahrtausenden für Felsmalereien verwendet.
       
       Der Barwon gehört zum mächtigen Murray-Darling-Flusssystem. Mit einer
       Fläche von über einer Million Quadratkilometern ist es das größte des
       Kontinents. Das System ist nach den beiden bedeutendsten Flüssen benannt,
       die es entwässern: dem Murray und dem Darling River. Von den Quellen im
       nördlichen Bundesstaat Queensland zieht es sich über 1.400 Kilometer durch
       die Bundesstaaten New South Wales und Victoria in Richtung Süden. Das
       Mündungsgebiet liegt in Südaustralien.
       
       Das System ist nicht nur aus ökologischen Gründen von fundamentaler
       Bedeutung für die ganze Nation. Es ist ein Standbein der australischen
       Wirtschaft. Ob Rinder, Schafe, Wolle, Gemüse, Früchte oder andere
       Lebensmittel: 40 Prozent der landwirtschaftlichen Produkte Australiens
       stammen aus diesem Einzugsgebiet. Zwei Millionen Menschen leben davon,
       direkt und indirekt – auf abgelegenen Farmen wie „Gingie“, in Dörfern wie
       Walgett, in Städten wie Dubbo und St. George.
       
       Das Flusssystem ist die Lebensader Australiens. Doch diese blutet aus.
       
       ## Grüner klagt die Lobbyisten an, Wasser zu stehlen
       
       „Große Unternehmen der Baumwoll- und Bergbauindustrien haben die Demokratie
       gekauft.“ Für Bob Brown, einem früheren Senator der Grünen und führender
       Umweltpolitiker Australiens, ist klar, wer für die schleichende Katastrophe
       im Murray-Darling-System verantwortlich ist. Nicht nur Klimawandel und
       Dürre seien an der Situation schuld, sondern „die Korruption des
       politischen Systems“. „Die Lobbyisten sitzen im Café des Parlamentshauses
       und reden jeden in den Boden, der sich zu ihnen setzt.“ Diese mächtigen
       Wirtschaftszweige würden Politiker mittels massiver „Spendenzahlungen“ dazu
       bringen, ihnen viel zu große Wasserzuteilungen zu geben – auf Kosten der
       Umwelt, sagt der 74-Jährige. Im nördlichen Bundesstaat Queensland könnten
       Baumwollkonzerne gigantische Mengen Wasser abzweigen, zur Bewässerung ihrer
       Felder nutzen und in Staubecken zwischenlagern. Dadurch gelange immer
       weniger in die Flüsse weiter südlich, in die Umwelt. „Umweltwasser“, so
       nennen es die Experten.
       
       Die konservative Regierung dagegen sieht die Gründe für die eskalierende
       Wasserknappheit in der anhaltenden Dürre, von der weite Teile des
       Kontinents betroffen sind. Sie weist darauf hin, dass Klimaextreme zu
       Australien gehören wie Kängurus und Koalas. Tatsächlich bestimmen seit
       Jahrtausenden Trockenheit, Hitzewellen und Überschwemmungen im Wechselspiel
       zwischen dürren und fetten Jahren die Umwelt auf dem Kontinent.
       
       Doch was das Land jetzt erlebe, sprenge alle Dimensionen, meint die
       Biologieprofessorin Lesley Hughes. Endlose Dürreperioden, kaum noch
       Niederschläge. Trockenheit, so lange dauernd, dass mancherorts zehnjährige
       Kinder noch nie einen Regentropfen auf ihrer Haut gespürt haben. Der
       Klimawandel, so der überwältigende Konsens der Wissenschaft, sei der Grund
       für die Verschärfung. Der eskalierende Anstieg der globalen Temperaturen
       sei primär die Folge der Verbrennung fossiler Rohstoffe, allen voran von
       Kohle.
       
       Kein anderes westliches Land ist so stark von der schleichenden
       Klimakatastrophe betroffen wie Australien. Die Zahl und die
       Zerstörungskraft von Wirbelstürmen hat in den letzten Jahren rapide
       zugenommen. Der höhere Meeresspiegel erodiert immer weitere Küstenstriche.
       Waldbrände werden häufiger, heftiger und immer schwieriger, unter Kontrolle
       zu bringen. Lebensräume von Reptilien, Säugetieren, Vögeln und Insekten
       werden zu warm und damit für die Tiere unbewohnbar.
       
       ## Beim Klimaschutz bremst Australiens Regierung
       
       Nirgendwo zeigen sich die Folgen der Klimaveränderung in Australien so
       drastisch wie am Great Barrier Riff. Wegen steigender Wassertemperaturen
       bleichen im 344.000 Quadratkilometer großen Riff die Korallen aus. Experten
       wie der Korallenforscher Terry Hughes fürchten, das Riff könnte bis zum
       Jahr 2050 komplett zerstört sein, wenn es der Weltgemeinschaft in den
       kommenden zehn Jahren nicht gelinge, den weiteren Anstieg der globalen
       Temperaturen bei 1,5 Grad zu begrenzen.
       
       Trotz aller Alarmsignale wehrt sich Australiens Regierung gegen ernsthafte
       Maßnahmen, um die Klimaveränderung einzudämmen. Der Grund, sagen Kritiker:
       Noch immer säßen Klimawandel-Leugner an den Schalthebeln der Macht. Auf
       Klimakonferenzen bremst Australien im Duett mit den USA Bestrebungen der
       internationalen Gemeinschaft für besseren Klimaschutz aus. Gleichzeitig
       hält die Regierung am Ausbau der Kohleindustrie fest (siehe Spalte rechts).
       
       600 Kilometer Autofahrt in den Norden, nach Queensland. Tausende Schafe und
       kaum Menschen. Dafür immer wieder „Roadkill“ – vom Zusammenprall mit einem
       Fahrzeug zerschmetterte Körper von Kängurus, aufgedunsen von der Hitze. Die
       Tiere weiden in der Nacht am Straßenrand, angelockt vom grünen Gras, das
       wächst, wenn Tauwasser von der Straße in den trockenen Boden sickert.
       Mageres Buschland, dann dürre Rinderwiesen. In den zwei Jahrhunderten seit
       der Besiedlung des Kontinents durch britische Zivilisten und Sträflinge hat
       Australien eine effiziente und gewinnbringende Agrarindustrie aufgebaut,
       die ihre Produkte in alle Welt exportiert. Doch es ist ein Erfolg auf
       Kosten der Umwelt. Immer noch werden Wälder gerodet und Dämme gebaut, um
       Wasser zu lagern, und Zuflüsse werden umgeleitet, um der Landwirtschaft
       dienlich zu sein.
       
       ## Besuch beim Baumwollfarmer Scott Armstrong
       
       Besuch beim Erzfeind der australischen Umweltschützer – einem
       Baumwollbauern. Scott Armstrong ist ein stattlich gebauter Familienvater in
       den Vierzigern. Außerhalb der Kleinstadt St. George im Süden von Queensland
       sitzt er in seinem Auto und spricht über Funk mit einem Kollegen. Wasser
       fließt über Kanäle vom nahe liegenden Fluss auf die Felder. Seine Farm habe
       Lizenzen gekauft, die es ihm erlaubten, jährlich 1.225 Megaliter Wasser
       abzuzweigen. Ein Megaliter, das sind eine Million Liter. „Jeder einzelne
       davon wird gezählt“, sagt Armstrong und zeigt stolz auf eine Pumpe, „Made
       in Germany“. „Das sind die zuverlässigsten der Welt“, sagt er. Wie ein
       Schneefeld erstreckt sich Armstrongs Baumwollplantage, mehrere Hundert
       Hektar groß. Die weißen Blüten stehen kurz vor der Ernte. Er sei stolz, der
       Welt ein Produkt von Spitzenqualität liefern zu können, „denn australische
       Baumwolle ist die beste“.
       
       Armstrong kann die Empörung jener nicht verstehen, die ihn zum Wasserdieb
       stempeln. „Ich nehme schließlich nur, wofür ich bezahlt habe.“ Er
       bestreitet, dass der Mangel an Wasser stromabwärts auch nur ansatzweise
       etwas mit seiner Baumwollproduktion zu tun haben könnte. „Die Dürre ist der
       Hauptgrund. Und die hat es schon immer gegeben. Wenn wir Bauern morgen
       aufhören würden, blieben die Flüsse trotzdem trocken“, sagt Armstrong.
       
       Kaum ein Zweig der australischen Landwirtschaft ist so umstritten wie die
       Baumwollindustrie. Der Industrieverband Cotton Australia lässt keine
       Gelegenheit aus, um Farmen als kleine Familienbetriebe zu porträtieren.
       Tatsache aber ist: Große Anlagen werden von wohlhabenden Konsortien
       kontrolliert. Cubbie Station etwa, mit gigantischen 96.000 Hektar eine der
       mächtigsten Baumwollfarmen der Welt, gehört einem Joint Venture von
       chinesischen und japanischen Textilherstellern.
       
       Kritiker klagen seit Jahren, es sei absurd, auf dem trockensten besiedelten
       Kontinent der Welt ein Produkt anzubauen, das im Vergleich zu anderen
       Nutzpflanzen deutlich mehr Wasser benötigt. Die meisten der 1.200
       Baumwollfarmen befänden sich in einem Gebiet mit vergleichsweise hohem
       Regenfall, heißt es dagegen vom Dachverband Cotton Australia. Deshalb könne
       der „Großteil des Wasserbedarfs mit Regenwasser gedeckt werden“. Wenn es
       aber an Niederschlägen fehlt, wird der Druck auf die Fließgewässer groß.
       Gleichzeitig haben Unternehmen wie Cubbie Station das Recht, große Mengen
       Wasser in Staubecken zu lagern – selbst dann, wenn es flussabwärts fehlt.
       
       ## Wissenschaftler: „Ein nationaler Skandal“
       
       Für den führenden Wasserwirtschafts-Wissenschaftler Quentin Grafton ist die
       Situation „ein nationaler Skandal“. Eigentlich war 2008 die Murray-Darling
       Basin Authority (MDBA) ins Leben gerufen worden, um den Konflikt zwischen
       den großen Wassernutzern und den Bedürfnissen der Umwelt zu regeln.
       Untersuchungen werfen der Behörde Versagen vor. Sie sei „unwillig oder
       unfähig, rechtswirksam zu handeln“, so ein lautet Fazit. Politik
       beeinflusse ihre Arbeit, nicht die Wissenschaft. Die Behörde habe
       weggeschaut, als Bauern illegal Umweltwasser abpumpten. Agrarunternehmen
       hätten viel zu großzügige Wasserrechte erhalten. Auch habe die MDBA zwar
       umgerechnet 8 Milliarden Euro an Steuergeldern in den Rückkauf von Lizenzen
       investiert, mit dem Ziel, das Wasser in die Flüsse zu pumpen. Doch die
       Flüsse blieben trotzdem trocken. Hunderte von Millionen Litern Umweltwasser
       fehlten, sagt Grafton, „mit schwerwiegenden Konsequenzen für das System,
       jetzt und in Zukunft“.
       
       Recherchen des australischen Fernsehens haben die engen Verflechtungen
       zwischen nationalen und regionalen Politikern und der Bewässerungsindustrie
       beleuchtet. Insbesondere der frühere Landwirtschaftsminister Barnaby Joyce
       machte aus seiner Position nie einen Hehl. Statt es in die Flüsse fließen
       zu lassen, solle Umweltwasser genutzt werden, „um Futtergras für Rinder“
       anzubauen.
       
       Wasser ist zu einem lukrativen Handelsobjekt geworden, das nicht nur von
       Bauer zu Bauer gehandelt wird. Institutionelle Investoren halten
       Wassernutzungsrechte im Wert von Hunderten Millionen Dollar. Sie verkaufen
       die Lizenzen, wenn der Preis am höchsten ist. Eine Anlagerendite von 40
       Prozent sei keine Ausnahme, ein Profit so hoch, dass er „einem Tränen in
       die Augen treibt“, sagt ein Agraranalyst.
       
       Die Verbindungen zwischen Politik und der Industrie gelangen selten so
       deutlich an die Öffentlichkeit wie im Mai, kurz vor den Parlamentswahlen.
       Damals war bekannt geworden, dass Ex-Landwirtschaftsminister Joyce die MDBA
       gedrängt habe, einem Investoren Wasserlizenzen abzukaufen – zu einem massiv
       überhöhten Preis. Der Politiker wurde trotzdem wiedergewählt.
       
       Für Jane Pye, die Schafzüchterin im Outback, geht ein langer Tag im Staub
       zu Ende. Hustend schließt sie das Tor der letzten Schafweide. Sie freue
       sich auf die Dusche, sagt sie, ein Luxus, von dem andere Bauern, die ihre
       Wasserreserven inzwischen in Litern zählen, nur träumen können. Ihre eigene
       Wasserversorgung sei sicher, so tief im Boden, sagt Pye, „zumindest vorerst
       noch“. Denn weil es inzwischen fast überall an Oberflächenwasser fehlt, hat
       die Regierung dem indischen Rohstoffgiganten Adani erlaubt, unbegrenzt
       Wasser aus dem Artesischen Becken zu pumpen. Für den Bau und Betrieb einer
       der größten Kohleminen der Welt.
       
       19 Jul 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Urs Wälterlin
       
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