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       # taz.de -- Neue Fluchtrouten aus Afrika: Einmal rund um die Erde
       
       > Der Weg nach Europa ist versperrt. Die neue Fluchtroute verläuft über
       > Mexikos Grenze in die USA. Ein Riesengeschäft für Schleuser.
       
   IMG Bild: Geflüchtete aus Kamerun warten vor einem Büro der US-Asylbehörde auf ihre Anhörung
       
       KAMPALA taz | Zwischen Uganda und der südlichen Grenze der USA liegen rund
       15.000 Kilometer Luftlinie – und dennoch ist es in jüngster Zeit eine
       beliebte Fluchtroute.
       
       Die Zahl der afrikanischen Migranten, die Mexiko auf dem Weg in die USA
       durchqueren, habe sich seit Anfang des Jahres verdreifacht, meldeten Anfang
       Juli mexikanische Behörden. Die wichtigsten Herkunftsländer der rund 1.900
       registrierten afrikanischen Geflüchteten sind demnach zwei Konfliktländer:
       Kamerun und die Demokratische Republik Kongo, so die offiziellen Angaben.
       Doch die eritreische Organisation „Africa Monitors“, die die Fluchtrouten
       aus Eritrea recherchiert, erfährt über die sozialen Medien von immer mehr
       Eritreern, die ebenfalls diese Route gen Amerika einschlagen. „Meist über
       komplizierte Umwege“, sagt Zecarias Gerrima, Vizedirektor von Africa
       Monitors. Viele dieser Wege führen über Uganda, wo Africa Monitors seinen
       Sitz hat.
       
       Philippos aus Eritrea – seinen richtigen Namen will der 23-Jährige aus
       Sicherheitsgründen nicht veröffentlicht sehen – sitzt mit Sonnenbrille und
       Afro-Haarschnitt in einem Gartenrestaurant in Ugandas Hauptstadt Kampala.
       Im September vergangenen Jahres sei er aus seiner Heimat Eritrea hierher
       geflohen, erzählt er.
       
       Das war kurz nach der großen Wende: Nach jahrzehntelanger Feindschaft und
       Krieg hatten Eritrea und Äthiopien im Juli 2018 einen Friedensvertrag
       unterzeichnet, ermöglicht durch einen Regierungswechsel und eine politische
       Öffnung in Äthiopien. Im September wurde die bislang hermetisch
       geschlossene und bewachte Grenze zwischen den beiden Ländern geöffnet. Über
       diese marschierte Philippos zu Fuß. Eritreer waren jetzt in Äthiopien
       willkommen. „Dass sich in Eritrea bald etwas ändert, daran glaube ich nicht
       mehr, im Gegenteil“, sagt der junge Mann und erzählt vom ewig langen
       Militärdienst und von der Diktatur.
       
       ## Das Ziel: Europa
       
       Vor der Grenzöffnung flohen monatlich rund 5.000 Eritreer heimlich über die
       geschlossenen Grenzen ihres Landes. Die meisten mussten dafür Schlepper
       bezahlen oder riskierten, auf der Flucht erschossen zu werden. Der brutale
       Militär- und Zivildienst, der alle Männer und Frauen direkt nach dem
       Schulabschluss fast ein halbes Leben lang verpflichtet, galt bislang als
       Hauptgrund, warum junge Eritreer fliehen.
       
       Die meisten machten sich bis dahin über Sudan auf [1][gen Libyen an die
       Mittelmeerküste. Ihr Ziel: Europa]. Über diese Route sind seit dem Beginn
       der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 allein 70.000 Eritreer in Deutschland
       angekommen, so das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf).
       
       Auch Philippos' Ziel war Europa, berichtet er. Doch als er sich in
       äthiopischen Flüchtlingslagern nach Schleppern umhörte, erfuhr er, die
       bisherige Fluchtroute über Sudan nach Libyen sei dicht.
       
       Der Grund: Die EU hat seit 2015 großen Aufwand betrieben, Grenzen in Afrika
       auf den Migrationsrouten gen Europa dichtzumachen. Im „Khartum-Prozess“
       wurden Transitländer vom Horn von Afrika bis ans Mittelmeer von der EU
       eingebunden, in deren Auftrag die deutsche Gesellschaft für Internationale
       Zusammenarbeit (GIZ) Grenzschützer in Afrika ausbildete.
       
       Oberster Grenzschützer im Sudan wurde der gefürchtete General Mohamed Daglo
       alias Hametti. Er kommandiert die RSF (Schnelle Unterstützungstruppe), die
       nach dem Sturz des langjährigen Autokraten Omar al-Bashir im April als eine
       der mächtigsten Kräfte im Sudan gilt und Massenproteste in Sudans
       Hauptstadt Khartum niedergeschlagen haben soll. Sudan-Experten sagen sogar,
       dass die EU-Migrationspolitik den General in Khartum zusätzlich mächtig
       gemacht habe. Er gilt in Zusammenhang mit dem Völkermord in der
       sudanesischen Bürgerkriegsregion Darfur, wo der RSF-Vorgänger Janjaweed als
       regierungstreue Miliz gegen Aufständische eingesetzt wurde, als
       mutmaßlicher Kriegsverbrecher.
       
       „Die Sudanesen nehmen Eritreer fest und deportieren sie. Einfach nur, weil
       sie der EU zeigen wollen, dass sie etwas tun“, so Gerrima von Africa
       Monitors. „Dabei wissen sie ganz genau, dass es für die Eritreer nicht
       sicher ist, zurückzukehren. Sie schicken sie in den Tod.“
       
       Aus europäischer Sicht hat die Zusammenarbeit mit Sudan offenbar
       funktioniert. Das Bamf in Deutschland meldet seit der
       äthiopisch-eritreischen Grenzöffnung im September 2018 einen deutlichen
       Rückgang der neuen Asylsuchenden aus Eritrea in Deutschland. Bislang haben
       jährlich rund 11.000 Eritreer in Deutschland Asyl beantragt. Im Jahr 2018
       war es nur noch die Hälfte. Laut Bamf-Angaben ging die Zahl nach der
       Grenzöffnung besonders drastisch zurück.
       
       ## Der Weg über Uganda
       
       Doch das heißt nicht, dass weniger Menschen aus Eritrea fliehen.
       Tatsächlich habe sich die Zahl der Geflüchteten aus Eritrea sogar
       verdoppelt, so Gerrima. Seinen Recherche zufolge sind seit der Grenzöffnung
       bis zu 200.000 Eritreer allein in Uganda angekommen.
       
       Wie Philippos werden sie von eritreischen oder äthiopischen Schleusern
       nicht mehr nach Norden in Richtung Europa gelotst, sondern gen Süden. 1.500
       Dollar habe er für die Busfahrt über Kenia nach Uganda zahlen müssen, so
       Philippos. Uganda hat eine der liberalsten Flüchtlingspolitiken weltweit.
       
       In Kampala, so Philippos weiter, stellte er im Oktober einen Asylantrag.
       Doch mit der Bearbeitung der zahlreichen Asylanträge kommt Ugandas
       Regierung kaum hinterher. Besonders die komplizierte Einzelfallprüfung der
       Eritreer dauert Jahre. Er bekam erst für das Jahr 2021 einen Termin zur
       Vorsprache. „Doch so lange will ich nicht warten“, sagt er. „Ich habe wohl
       keine andere Wahl.“ Er müsse sich andere Wege suchen.
       
       Diese anderen Wege haben die Schleuser schon im Angebot. Eritreische
       Schlepper, die früher in Sudan und Libyen tätig waren, haben sich nach
       Uganda verlagert. Aufgrund der immensen Korruption in Ugandas
       Immigrationsbehörden ist es einfach, frische Reisepässe zu besorgen. Von
       Uganda aus kann man visumsfrei in die Nachbarländer reisen oder auch in das
       befreundete Malaysia. Von dort aus werden dann über die weltweit aktiven
       eritreischen Schleppernetzwerke Visa für Südamerika beschafft.
       
       Der berühmteste der eritreischen Schleuser ist Medhani Mered, auch bekannt
       als „der General“. Er wird seit dem Untergang seines Flüchtlingsbootes im
       Mittelmeer im Jahr 2013, bei dem 368 Menschen starben, mit internationalem
       Haftbefehl gesucht. Mithilfe britischer Geheimdienstinformationen hatte
       Sudans Polizei Mered im Jahr 2016 in Khartum aufgespürt, festgenommen und
       nach Italien ausgeliefert. Dort stellte das Gericht jedoch fest: Bei dem
       Verhafteten handelte es sich nicht um Mered, den „General“, den „Al Capone
       der Wüste“, wie er in Italiens Medien auch genannt wurde, sondern um einen
       ganz normalen eritreischen Flüchtling mit demselben Namen.
       
       Der Flüchtling Mered wurde vergangene Woche nach drei Jahren Haft in
       Palermo freigesprochen und entlassen. Der richtige Mered hingegen lebt in
       Ugandas Hauptstadt Kampala. Seit über einem Jahr geht er im eritreischen
       Supermarkt TMT im Stadtteil Muyenga seine Zigaretten kaufen. Nach der
       Verhaftung des falschen Mereds in Khartum ließen sich nämlich zahlreiche
       zuvor in Sudan und Libyen ansässige Schlepper im liberalen Uganda nieder.
       Von hier aus haben sie neue Routen etabliert: mit dem Flugzeug um die Welt.
       
       „Eritreische Flüchtlinge werden jetzt bis nach Nordamerika geschleust“, so
       der Eritreer Gerrima, der mit zahlreichen Landsleuten auf dieser neuen
       Route via Facebook und Whatsapp in Kontakt steht. „Sie fliegen von
       afrikanischen Flughäfen über Umwege nach Südamerika – zum Beispiel Uruguay.
       Von dort geht es mit dem Auto weiter“, erklärt Gerrima: „Weil sie
       Kontrollen meiden müssen, kann das ein, zwei, sogar sechs Monate dauern –
       oder sogar Jahre.“
       
       ## Das Schleusernetzwerk
       
       Teuer ist die neue Route auch. Bis zu 30.000 Dollar zahlen Flüchtlinge pro
       Person. Ein gutes Geschäft für die Schlepper. Das Geld investieren sie in
       Restaurants, Hotels und Supermärkte in Uganda – offenbar von den Behörden
       unbemerkt. Moses Binoga, in Ugandas Einwanderungsbehörde zuständig für die
       Bekämpfung von Menschenhandel, erklärt der taz, von eritreischen
       Schleusernetzwerken wisse er nichts. Es könne jedoch durchaus sein, dass
       Uganda für viele Geflüchtete als Transitland diene.
       
       „Der EU-Deal mit Sudan und Libyen, Schleusertum zu bekämpfen, funktioniert
       nicht“, so Gerrimas Bilanz. „Er hat die Schlepper nur klüger gemacht.“
       Jetzt gehen die Routen über mehrere Flughäfen in unterschiedlichen
       Kontinenten mit mehreren Visa. „Das lässt sich nicht mehr einfach
       kontrollieren“, sagt der Eriteer und warnt: „Wenn jemand so viel Mühe und
       Geld da hineinsteckt, dann wird dieses Netzwerk bestehen bleiben, selbst
       wenn es Frieden in Eritrea gibt.“
       
       17 Jul 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Flucht-ueber-das-Mittelmeer/!5611734
       
       ## AUTOREN
       
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