# taz.de -- NS-Bürokrat und Lebensretter: Held oder keiner
> Osnabrücks Oskar Schindler? Als Bürokrat in den besetzten Niederlanden
> rettete Hans Calmeyer Tausende Juden – aber das ist nicht die ganze
> Geschichte.
IMG Bild: Warendie Kämpfe vorbei, suchten sie nach Untergetauchten: Deutsche Polizisten in den Niederlanden
Hamburg taz | Wer es einfach will, übersichtlich, der hält sich besser fern
von der deutschen Geschichte – zumal der des 20 Jahrhunderts: Die ist
kompliziert und voller Nuancen, vorsichtig gesagt. Nehmen wir Hans Georg
Calmeyer, Jahrgang 1903, Rechtsanwalt aus Osnabrück, dem man auch mal
„kommunistische Umtriebe“ nachsagte.
Später war er Mitglied der NSDAP, marschierte als Wehrmachtssoldat in die
Niederlande ein, wurde dort Teil der deutschen Besatzungsbürokratie. Diese
Position nutzte er, um Menschen vor den Vernichtungslagern zu bewahren –
rund 17.000 Leben will Calmeyer gerettet haben, indem seine Dienststelle
Zweifel am „ganz oder teilweise jüdischen Blut“ formulierte und wissentlich
gefälschte Papiere akzeptierte.
1992 erkannte die israelische Holocaustgedenkstätte Yad Vashem im 20 Jahre
zuvor verstorbenen Calmeyer einen [1][„Gerechten unter den Völkern“], einen
Nichtjuden also, der während der Schoah ein hohes persönliches Risiko auf
sich genommen hat, um jüdische Menschen zu retten; eine Auszeichnung, die
an hohe Hürden geknüpft ist.
War er also der über jeden Zweifel erhabene Retter, den in Osnabrück heute
mancher prominent gewürdigt sehen möchte, am liebsten in Gestalt eines
„Calmeyer-Hauses“? Taugt dieser bessere Deutsche nicht bestens zur
Vermarktung der „Friedensstadt“ – so wie Erich-Maria Remarque und Felix
Nussbaum?
Dass seine Rolle komplizierter war, sagen Historiker*innen nicht nur in den
Niederlanden, wo er immer auch als bestens funktionierendes Rad in der
Okkupationsmaschinerie angesehen wird. Nicht nur gibt es Zweifel an der
Zahl der Geretteten, es konnte sich schlicht auch nicht jeder die Rettung
leisten, der sie gebraucht hätte: Anwälte, Ärzte, Gutachter verdienten
daran.
Auch in Osnabrück gibt es Stimmen, die nach der Würdigung des ganzen, des
ambivalenten Calmeyer rufen, wenn bis 2022 ein neuer „Geschichtsort“
entsteht – nicht bloß bequeme Legenden gepflegt. Was eine Debatte unter
Fachleuten sein könnte, schlägt schon mal hohe Wellen, denn geführt werden
diese Diskussionen nicht frei von Eitelkeiten und persönlichen Motiven, und
sie haben rasch auch mit Geld und seiner Beschaffung zu tun und mit schnöde
parteipolitischen Frontlinien.
Insofern ist der Osnabrücker Umgang mit seinem gebrochen großen Sohn dann
wieder beispielhaft: für den wechselhaften Umgang mit komplizierter
deutscher Geschichte.
Mehr über den Streit um das Gedenken an Hans Georg Calmeyer lesen Sie in
der taz nord am Wochenende oder [2][hier.]
19 Jul 2019
## LINKS
DIR [1] http://db.yadvashem.org/righteous/family.html?language=en&itemId=4042996
DIR [2] /e-kiosk/!114771/
## AUTOREN
DIR Alexander Diehl
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