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       # taz.de -- Drohungen gegen Seda Başay-Yildiz: Drohte Polizist mit „NSU 2.0“?
       
       > Wegen rassistischer Faxe an eine Anwältin haben Ermittler die Wohnung
       > eines Polizisten durchsucht.
       
   IMG Bild: Unter Verdacht ist ein suspendierter Polizist aus Frankfurt
       
       Frankfurt am Main/Berlin taz | Seit mehr als einem halben Jahr erreichen
       rassistische Texte eines anonymen Briefschreibers das Faxgerät von Seda
       Başay-Yildiz. Die Rechtsanwältin, die im NSU-Prozess eine der Opferfamilien
       vertreten hat, [1][wird darin mit dem Tode bedroht]. „Wir schlachten deine
       Tochter“, musste sie da sogar lesen. Die Briefe waren mit „NSU2.0“
       unterschrieben. Seit Monaten ermitteln das hessische Landeskriminalamt und
       die Frankfurter Staatsanwaltschaft. Jetzt sind sie sicher, den
       Briefeschreiber zu kennen.
       
       Die Spur führt – einmal mehr – in rechte Netzwerke in der hessischen
       Polizei. Ein 30-jähriger, seit Dezember suspendierter Beamter des 1.
       Reviers der Frankfurter Polizei wurde am Dienstag vorläufig festgenommen
       und erkennungsdienstlich behandelt. Er ist allerdings wieder auf freien
       Fuß. Die Indizien reichten nicht für einen „dringenden Tatverdacht“ aus,
       sagte die Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft, Nadja Niesen, der
       taz. Deshalb sei er noch nicht dem Haftrichter vorgeführt worden.
       
       Nun setzen die Ermittler auf die Datenträger, die bei den Durchsuchung der
       Wohnungen des Tatverdächtigen sichergestellt werden konnten. Der hessische
       Innenminister Peter Beuth, CDU, sagte: „Ich bin froh, dass die Ermittlungen
       nun zu einem Tatverdächtigen geführt haben, auch wenn ich es nicht
       hinnehmen will und kann, dass es sich hierbei um einen Polizisten handelt.“
       
       Die Fahnder der besonderen Aufbauorganisation „Winter“ kamen am frühen
       Dienstagmorgen. Zeitgleich durchsuchten sie in Frankfurt, dem früheren
       Dienstort des Tatverdächtigen, und im mittelhessischen Kirtorf dessen
       Wohnungen.
       
       Man habe zahlreiche elektronische Datenträger mitgenommen, die jetzt
       ausgewertet würden, erklärte dazu die Staatsanwaltschaft. Sie hofft darauf,
       dass sich damit der Verdacht erhärten lässt. Die Ermittlungsbehörden
       bewerten die anonymen Faxe als Bedrohung und Volksverhetzung. Der
       suspendierte Beamte muss deshalb mit einem Haftbefehl rechnen.
       
       ## Neonazi-Konzerte in Kirtorf
       
       Mehrere Anwohner*innen der kleinen Gemeinde Kirtorf berichten, dass es sich
       bei dem Verdächtigen wohl um einen Zugezogenen handle, über den wenig
       bekannt sei. Bürgermeister Andreas Fey, erst seit Anfang 2019 im Amt, war
       zunächst nicht zu erreichen. Er ist Teil des 2004 gegründeten Bündnisses
       „Aktionsbündnis für Vielfalt Kirtorf“. „Wenn sich das bewahrheitet, muss
       diese Person sofort aus dem Dienst entfernt werden“, sagt sein
       Bündniskollege Pedro Valdivielso. „Solche Leute dürfen nicht Polizisten
       sein.“
       
       Kirtorf hat eine einschlägige Vergangenheit mit Rechtsextremen. Im August
       2004 geriet die Gemeinde bundesweit in den Blick, als im Fernsehen
       verstörende Aufnahmen gezeigt wurden: Hunderte Neonazis, die in einem
       umgebauten Schweinestall feierten, zu Rechtsrock-Liedern mit Texten wie
       „Lasst die Messer flutschen in den Judenleib“. Regelmäßig kamen aus ganz
       Deutschland Gäste zu solchen Partys.
       
       Im Fall der Drohfaxe gegen Başay-Yildiz hatte schon früh eine Spur ins 1.
       Revier der Frankfurter Polizei geführt: Der Briefeschreiber hatte auf
       Einzelheiten aus dem privaten Umfeld der Rechtsanwältin Bezug genommen, die
       öffentlich nicht bekannt waren. Schnell stellte sich heraus, dass solche
       personenbezogenen Daten von einem Polizeicomputer des Innenstadtreviers
       abgerufen worden waren, ohne dass es dafür einen dienstlichen Grund gegeben
       hätte.
       
       ## Hinweise verdichtet
       
       Sechs Beamte und eine Zivilangestellte hatten Zugang zu diesem PC. Bei der
       Auswertung ihrer Handy stießen die Ermittler auf eine Chatgruppe, die
       Hakenkreuze, rassistische Posts und menschenverachtende Parolen
       ausgetauscht hatte. Sechs Beamte sind seitdem suspendiert. Wie nun die Zeit
       berichtet, sei auf einem Bild in der Chatgruppe etwa Adolf Hitler vor einem
       rauchenden Schornstein zu sehen gewesen. Am unteren Rand des Bildes stehe:
       „Umso größer der Jude, desto wärmer die Bude“.
       
       Vor der Festnahme vom Dienstag hatten die Behörden zwar schon den
       unzulässigen Datenabruf vom Polizeicomputer bestätigt. Allerdings hieß es
       lange, es gebe keinen Beleg dafür, dass ein Mitglied der Chatgruppe auch
       für die anonymen Drohbriefe verantwortlich sein könnte. Zuletzt hätten sich
       die Hinweise auf den jetzt festgenommenen Beamten aber verdichtet, sagte
       ein Sprecher der Staatsanwaltschaft der taz.
       
       Die betroffene Anwältin Seda Başay-Yildiz gibt sich zuversichtlich. „Ich
       habe vollstes Vertrauen, dass die Beamten des Landeskriminalamtes den
       Sachverhalt aufklären“, sagte sie der taz. Dafür spreche unter anderem,
       „dass mehrere Beamte weiterhin suspendiert sind, diverse
       Ermittlungsverfahren gegen Beamte geführt werden und dass zuletzt ein
       Beamter vorläufig festgenommen wurde.“
       
       Die Erkenntnisse aus diesem Fall hatten umfangreiche Ermittlungen und
       Recherchen in allen Präsidien der hessischen Polizei ausgelöst, bei der
       mehrere Dutzend weitere Beamte wegen rechtsextremistischer Umtriebe
       identifiziert wurden. Für Innenminister Beuth ist die aktuelle Festnahme
       Beleg dafür, „dass die Polizei alles unternimmt, um rechtsextremistische
       Tendenzen konsequent zu verfolgen.“
       
       27 Jun 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Neues-Drohfax-gegen-NSU-Opfer-Anwaeltin/!5563080
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christoph Schmidt-Lunau
   DIR Dinah Riese
   DIR Konrad Litschko
       
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