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       # taz.de -- Serie: Fünf für die Finals: Immer wieder auftauchen
       
       > Olympiaturner Philipp Herder startet bei den Finals in Berlin. Nach
       > schwerem Sturz befindet sich der 26-Jährige auf dem Weg zurück zu alter
       > Stärke.
       
   IMG Bild: Philipp Herder im olympischen Trainingszentrum Kienbaum
       
       Wenn er mal nicht durch das Bundesleistungszentrum Kienbaum fliegt,
       entspannt Philipp Herder mit seiner Freundin in den Berliner Parkanlagen.
       [1][Herder ist Turner], die Sportschule sein zweites Zuhause. „Wenn wir
       hier sind, können wir uns den ganzen Tag aufs Training konzentrieren.“
       
       Das ist für den 26-Jährigen derzeit zwingend nötig, vor allem im Hinblick
       auf [2][die Finals in Berlin am 3. und 4. August] in der
       Max-Schmeling-Halle. Dort tritt er als amtierender Deutscher Meister am
       Barren an. Eine Ankündigung zur Titelverteidigung bleibt aber aus. „Ich
       möchte für die zwei Wochen später stattfindende zweite WM-Qualifikation
       eingeladen werden. Dafür muss ich im Mehrkampf unter die besten zwölf
       kommen.“
       
       Nachdem er sich im Mai dieses Jahres am Hals verletzte, befindet sich der
       Berliner nämlich noch im Trainingsaufbau. Ausgerechnet an seinem
       Paradegerät Barren war er nach einem Sturz auf dem Kopf gelandet. „Das
       vordere Längsband zwischen dem vierten und fünften Halswirbel ist gerissen.
       Deshalb musste ich länger pausieren.“ Eine Verletzung, die durchaus auch
       hätte schlimmer ausgehen können. „Ich hatte im ersten Moment Angst, dass es
       zur Querschnittslähmung kommt, da ich mich nicht bewegen konnte.“ Die Angst
       legte sich aber bereits nach ein paar Minuten wieder.
       
       Heute weiß er, dass es der Schock war. Schock, vielleicht auch deshalb,
       weil er in puncto Halsverletzungen vorbelastet ist. Vor neun Jahren musste
       ein Teil seiner Bandscheibe zwischen dem fünften und sechsten Halswirbel
       entfernt werden. Stattdessen wurden zwei miteinander verschmolzene
       Wirbelkörper eingesetzt. Durch diese Operation musste der Sportsoldat
       damals länger pausieren. Anders als jetzt war ein Comeback nicht geplant.
       Herder hatte seine leistungssportliche Laufbahn beendet, turnte ohne
       größere Ambitionen vor sich her. „Ich hatte im Kopf abgeschlossen und den
       Sport aufgegeben.“
       
       ## Wendepunkt in der noch jungen Karriere
       
       Lediglich seiner Bewegungsfreude geschuldet, turnte er doch nochmal einen
       Wettkampf mit. Dort überraschte er sowohl seinen damaligen Trainer Roland
       Ankert als auch sich selbst durch gute Ergebnisse. Trotzdem war er vom
       Gedanken an ein Comeback zunächst nicht angetan. Ankert hingegen war
       anderer Meinung, sprach Herder gut zu und sorgte letztlich für den
       Wendepunkt in der noch jungen Sportlerkarriere. „Er meinte, dass ich am
       nächsten Tag doch einfach um 7.30 Uhr in der Halle sein soll.“
       
       Herder nickte zunächst freundlich ab. Als er nach dem Wettkampf aber zu
       Hause ankam, begann er zu grübeln. Trotz des vorläufigen Karriereendes
       hatte Herder den Spaß am Turnen nie verloren. Es hat ihn nie große
       Überwindung gekostet, die Turnhalle aufzusuchen. „Also warum eigentlich
       nicht?“ – der Gedanke war der Startschuss für das Comeback, seine zweite
       Karriere.
       
       Die hat den Turner des SC Berlin bereits zu sämtlichen internationalen
       Events gelotst. Er war bei Welt- und Europameisterschaften im deutschen
       Aufgebot, turnte einige Weltcups mit und nahm 2016 an den Olympischen
       Spielen in Rio de Janeiro teil. „Das ist der größte Erfolg meiner Karriere.
       Allein das olympische Feeling ist mehr wert als jede WM-Teilnahme.“
       
       Noch mehr prägte ihn nur die Teilnahme an seinen ersten Weltmeisterschaften
       in Nanning 2014. „Die ganzen Eindrücke, allein schon die Vorbereitung mit
       Fabian Hambüchen und Marcel Nguyen mitmachen zu dürfen, das war unglaublich
       für mich.“ Zu den beiden habe er immer hochgeschaut. „Plötzlich war ich im
       gleichen Team wie sie. Das war etwas, was ich unbedingt wieder erleben
       wollte.“
       
       ## Auch Quali für die WM
       
       Während er in Erinnerungen schwelgt, wirkt der Mehrkämpfer bescheiden, aber
       dennoch stolz. Trotzdem richtet er den Fokus lieber auf das aktuelle
       Geschehen. Obwohl seine Verletzung ihren Tribut fordert, ist von Wehmut
       keine Spur. Zielstrebig und fokussiert wirkt er, die kommenden Ziele fest
       im Blick. Denn für Herder ist der mentale Aspekt im Turnen ein sehr
       wichtiger Faktor. „Ich glaube, dass die mentale Stärke mindestens genauso
       wichtig ist wie die physische.“ Und die will er im Endspurt bis zu den
       Finals in Berlin nutzen.
       
       Die Finals sind nämlich Deutsche Meisterschaften und
       Qualifikationswettkampf für die WM in Stuttgart zugleich. Und damit sind
       sie enorm wichtig: Herder will unbedingt Teil der Heim-WM sein. Beim
       Gedanken daran bekommt er Gänsehaut: „So was erlebt man einmal im Leben,
       das will man auf keinen Fall missen.“
       
       Vor zwölf Jahren waren die Weltmeisterschaften schon einmal in Stuttgart.
       Dort hatte sich Fabian Hambüchen mit Gold am Reck zum neuen
       Turn-Shootingstar gekürt. Auch Herder war damals im Zuge eines
       Kaderlehrgangs vor Ort. Noch heute schwärmt er von der Atmosphäre. „Mit so
       einer Kulisse im Rücken wollen wir unser Ziel der Olympiaqualifikation im
       Mannschaftswettbewerb auf jeden Fall realisieren.“
       
       Dafür muss das deutsche Team mindestens den 12. Rang belegen. Anders als
       bei den letzten Olympischen Spielen gibt es in diesem
       Qualifikationszeitraum keine vorolympischen Spiele. Diese ermöglichten
       allen Teams, die eine direkte Qualifikation verpassten, einen letzten
       Versuch, auf den Olympiazug aufzuspringen. Diesen nutzten auch die
       deutschen Turner damals.
       
       ## Ein straffes Programm
       
       Für Philipp Herder eine prägende Zeit. „Das war schon ein straffes Programm
       damals. Der Bundestrainer war ziemlich nervös. Allein 2016 war ich deshalb
       insgesamt locker ein halbes Jahr lang in Kienbaum.“ In der Sportschule sind
       die Turner ohnehin oft zu finden. Zweimal täglich trainieren sie dort
       gemeinsam und nutzen die restliche Zeit für regenerative Zwecke, wie
       Physiotherapie oder Saunagänge.
       
       Zu Hause in Berlin sei Herders Tagesablauf zwar ähnlich, dort würde er sich
       aber auch auf die Uni konzentrieren. Neben dem Leistungssport ist er
       Physikstudent auf Teilzeit, belegt nur ein Modul pro Semester. „Da habe ich
       keinen Zeitdruck und kann das Studium erst nach meiner Turnkarriere
       beenden. Die hat derzeit Priorität.“
       
       Doch auch er muss vom Alltag in Turnhalle und Hörsaal gelegentlich
       abschalten – etwa gemeinsam mit seiner Freundin im Treptower Park oder in
       den gemütlichen Kneipen der Warschauer Straße.
       
       Natürlich nur, wenn die Turnhalle nicht ruft. Denn dort fliegt er wieder
       durch die Lüfte. Bereit für einen neuen Anlauf in seiner zweiten Karriere.
       
       23 Jul 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://finals2019.berlin.de/sportarten/turnen/
   DIR [2] https://finals2019.berlin.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jannik Höntsch
       
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