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       # taz.de -- Politische Kunstgeschichte in Paris: Spottpreise für die Nazis
       
       > Als die Nazis Paris besetzt hatten, gerieten auch Kunsthändler unter
       > Druck. Davon erzählt eine Ausstellung im Pariser Memorial de la Shoah.
       
   IMG Bild: In der Ausstellung im Armee-Museum ist auch Picassos „Massacre en Corée“ von 1951 zu sehen
       
       Paris taz | Paris wartet momentan mit zwei hervorragenden Ausstellungen
       auf: „Der Kunstmarkt unter der Besetzung, 1940–1944“ und „Picasso und der
       Krieg“. Außerordentlich sind auch die beiden Ausstellungsorte. Die
       Ausstellung über den „Kunstmarkt“ zur Zeit der deutschen Besetzung findet
       [1][im Mémorial de la Shoah] statt.
       
       Diese architektonisch sehr eindrucksvolle Gedenkstätte liegt mitten im
       Marais, dem Stadtviertel, in dem die meisten Juden wohnten, bevor sie über
       den Vorstadtbahnhof Drancy in die Vernichtungslager deportiert wurden. Am
       Tag des Besuchs wurde auch eine Gruppe von etwa 40 jungen Polizisten durch
       die Gedenkstätte geführt und darüber aufgeklärt, dass Antisemitismus kein
       Thema der Vergangenheit und nicht nur ein Problem eingewanderter Muslime
       ist, wie konservative Medien auch in Frankreich behaupten.
       
       Die Ausstellung „Picasso und der Krieg“ läuft im [2][riesigen „Musée de
       l’Armée“], wo sonst nur Gewehre, Kanonen, Uniformen und andere nationale
       Devotionalien ausgestellt werden.
       
       ## Französische Behörden, deutsche Gesetzgebung
       
       Die kleine, aber sehr instruktive Ausstellung zum Pariser Kunstmarkt
       zwischen 1940 und 1944 stellt die Akteure mit Fotos und Dokumenten in den
       Mittelpunkt. Das sind einige jüdische Galeristen, denen Kunstwerke zu
       Spottpreisen abgepresst wurden. Pierre Loeb (1897–1964), der vor allem
       Bilder von Malern der Moderne verkaufte (Miró, Matisse, Bonnard, Picasso,
       Man Ray), wurde von französischen Behörden „eingeladen“, seinen Betrieb an
       den „arischen“ Kollegen Georges Aubry zu verkaufen.
       
       Für die Bestimmung von Juden/Ariern orientierten sich die französischen
       Behörden minutiös am Wortlaut der deutschen Gesetzgebung. Loeb hatte ab dem
       15. 5. 1941 monatlich 3.600 Francs an die „Treuhand- und Revisionsstelle“
       der deutschen Besatzungsmacht zu entrichten. Loeb floh mit seiner Familie
       zunächst aufs Land und dann nach Kuba.
       
       Als Loeb 1944 zurückkam, verzögerte der neue Besitzer die Rückgabe der
       Galerie. Zu Loebs Kunden gehörte vor dem Krieg auch Picasso, der die
       Besatzungszeit zum Teil in der „freien Zone“ in Südfrankreich verbracht
       hatte. Picasso, der seinen Ruf als „Meister der Modernen“ geschickt nutzte,
       wandte sich an den Neubesitzer Aubry und forderte diesen kategorisch auf:
       „Pierre ist zurück, er übernimmt jetzt wieder seine Galerie.“ Aubry gab
       sofort nach.
       
       Weniger Glück hatte die Galeristin Berthe Weill (1865–1951). Weil sie Jüdin
       war und die drohende Arisierung vermeiden wollte, übertrug sie ihre
       Galerie, die nur bis 1941 existieren konnte, einer Freundin und überlebte
       das Kriegsende völlig verarmt in miserablen Verhältnissen. Freunde
       versteigerten die Galerie nach dem Krieg und erlaubten Berthe Weill ein
       Weiterleben ohne Not.
       
       ## Bilder verschwunden
       
       Der jüdische Galerist Paul Rosenberg (1881–1959) deponierte im Juni 1940
       162 Bilder in einer Bank in der französischen Provinz und flüchtete mit
       seiner Familie in die USA. Am 28. 4. 1941 durchsuchten deutsche
       Besatzungsbehörden die Bank. Der größte Teil der Bilder wurde einen Monat
       später ins Museum Jeu de Paume in Paris überführt. Nach dem Krieg kehrte
       Rosenberg zurück und versuchte, seine Bilder wieder zu beschaffen. Das
       gelang ihm nur teilweise. 50 Bilder sind in den Salons reicher Franzosen
       „verschwunden“.
       
       In einem eigenen Raum werden die Hauptakteure – die gutsituierten Kunst-
       und Antiquitätensammler – vorgestellt. Die Verkäufe von bei Juden
       konfiszierten Gütern aller Art in einem Auktionshaus an der Rue Drouot sind
       in langen Listen akribisch dokumentiert. Sie werden sehr eindrücklich
       inszeniert: Über einen Lautsprecher werden die Listen mit Angaben zu den
       Gegenständen und Vorbesitzern verlesen, was den Raub und die Beraubten in
       Erinnerung bewahrt und den Nutznießern – Käufern, Verkäufern und dem Staat,
       der die Versteigerungen organisierte und überwachte, einen Spiegel vorhält.
       Juden war der Zutritt der Versteigerung am 17. 7. 1941 ausdrücklich
       verboten.
       
       Die Ausstellung „Picasso und der Krieg“ dokumentiert Picassos Haltung zum
       Balkankrieg, zum Ersten Weltkrieg, zum Spanischen Bürgerkrieg und Zum
       Zweiten Weltkrieg mit Bildern, Zeichnungen, Plakaten und Skulpturen sowie
       Briefen, Postkarten und anderen Dokumenten. Picasso war nie Soldat, aber
       bezog immer eine entschieden politische Haltung gegen den Krieg. Sein
       berühmtestes Bild, „Guernica“, entstand 1937 als Protest gegen den
       Bürgerkrieg in Spanien.
       
       ## Misstrauen gegen Picasso
       
       Zu den beeindruckendsten Werken gehören Vorstudien zu „Guernica“, die
       weinende Frauenköpfe zeigen, die allerdings im ausgeführten Bild nicht
       berücksichtigt wurden. Dieses gilt bis heute als ein Schlüsselwerk der
       Kunst des 20. Jahrhunderts und des politischen Pazifismus.
       
       Es wurde in Büchern, auf Postkarten und auf Plakaten fast so oft
       reproduziert wie die „Friedenstaube“. Diese schuf Picasso für die
       Propagandaabteilung der französischen Kommunisten, aber die Ausstellung
       belegt mit Dokumenten, dass er immer kritische Distanz hielt zur KPF wie zu
       Moskau.
       
       Den französischen Behörden galt er lange als Anarchist, allein weil er aus
       Spanien kam. Noch im Mai 1940 entschied die Pariser Polizei: „Picasso hat
       keinerlei Rechtstitel, um die Naturalisierung/Einbürgerung zu erhalten.“
       1942 musste er in der Präfektur auf „Ehrenwort“ erklären, „kein Jude zu
       sein“, um seine Aufenthaltserlaubnis zu behalten. Im Zuge des Kalten
       Krieges und des Krieges in Korea startete die französische Rechte eine
       regelrechte Kampagne gegen Picasso, die seinem weltweiten Ansehen nichts
       mehr anhaben konnte.
       
       8 Jul 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.memorialdelashoah.org/
   DIR [2] https://www.musee-armee.fr/accueil.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rudolf Walther
       
       ## TAGS
       
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