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       # taz.de -- Bäder-Schließungen im Norden: Spaß von gestern
       
       > Mit den Freibädern geht es bergab. Dabei sind sie einer der wenigen Orte,
       > wo sich Menschen aller Schichten und Altersklassen begegnen.
       
   IMG Bild: Ort der Begegnung: das Kaifu-Freibad in Hamburg-Eimsbüttel
       
       Hamburg taz | Meine letzten Sommerferien, kurz bevor ich zu Hause
       ausgezogen bin, habe ich mit meiner Mutter im [1][Freibad] verbracht. Ich
       habe in einer Fabrik Tierfutterdosen sortiert und verpackt, Frühschicht,
       die ging um 5.30 Uhr los, 8,5 Stunden später bin ich wieder auf meine Vespa
       gestiegen und ins Freibad gefahren, da wartete meine Mama neben dem
       [2][50-Meter-Becken] auf der flachen Tribüne aus dunkelgrauen Steinplatten,
       an denen man sich die Badesachen aufribbelte, bis der Hintern durch den
       fadenscheinig gewordenen Stoff schimmerte.
       
       Wir saßen da rum, ich schwamm viele [3][Bahnen], Mama schwamm einige
       Bahnen, wir lasen, unterhielten uns und lästerten über die anderen
       Badegäste, zum Beispiel meinen da schon ehemaligen Deutschlehrer. Er wurde
       gern laut im Unterricht, wenn jemand nicht zuhörte, nicht mitmachte, nicht
       vorbereitet war, die Stimme-Erheb-Quote war dementsprechend.
       
       Jetzt, ohne seine Anzughosen und die immer zu weiten Hemden, sah sein Gang
       nicht mehr bedrohlich, sondern unbeholfen aus. Er stakste in seiner engen
       Badehose (damals trug Mann, naja Jugendlicher, [4][weite und überknielange
       Shorts] zum Schwimmen) am Beckenrand auf und ab, die Knie zu weit anhebend,
       die Füße vorsichtig absetzend, schwimmen habe ich ihn nicht sehen, er
       sprach mit niemandem, grüßte niemanden, niemand sprach mit ihm, niemand
       grüßte ihn. Fort war die ganze Autorität.
       
       Wie viele Stunden ich auf einer stacheligen Freibadwiese und im
       [5][Chlorwasser] verbracht habe, weiß ich natürlich nicht. Unzählige. In
       meiner Erinnerung war früher immer schönes Wetter und ich war immer im
       Freibad. Habe erst Ringe vom Beckenboden raufgeholt, habe dauernd
       Ohrenschmerzen vom ganzen Tauchen bekommen, habe [6][Schwimmabzeichen]
       gemacht, die meine Mutter mir an den Badeanzug genäht hat, wo sie dann
       ausblichen.
       
       ## Saltos vom Turm
       
       Später haben wir die grauen Steinplatten mit unseren nassen Bikinihosen
       gestempelt, die Formen der Abdrücke verglichen und geguckt, welcher am
       schnellsten trocknet. Wir haben uns nebeneinander mit den Füßen an den
       Beckenrand gehängt, sind dann untergetaucht, mit dem Rücken an der
       Beckenwand, wer es am längsten schafft! Haben [7][Saltos] vom 1er oder 3er
       gemacht – oder Klappköpper. Ich habe einmal einen Sitzköpper vom 5er
       gemacht und bin ein einziges Mal Kerze vom 7,5er gesprungen, aber auch nur,
       weil ich mir nicht Blöße geben wollte, die Leiter wieder runterzusteigen.
       
       Wir sind mal nachts mit den Rädern ins Nachbardorf ins Freibad gefahren,
       sind kichernd und pssssst zischelnd über den Maschendrahtzaun gestiegen und
       im Dunkeln vom 3er gesprungen. An dieses Gefühl, ins Nichts zu springen,
       kann ich mich gut erinnern.
       
       Im Freibad waren wir frei, die Erwachsenen waren weit weg, auf der
       Babywiese, auf dem Bademeisterturm oder jenseits des Zauns. Einmal hatte
       ich nach den Sommerferien grün schimmernde Haare vom vielen Tauchen im
       gechlorten Wasser. Mein Leben wäre ärmer ohne Freibäder.
       
       ## Irgendwie an die Oberfläche
       
       Mein Vater erzählt gern, wie er mich als ganz kleines Mädchen mit ins Bad
       nahm, noch ehe ich schwimmen konnte. Er hatte mich als Säugling gleich von
       Anfang an in der Badewanne untergetaucht. Tauchen konnte ich also und zum
       Luftholen paddelte ich irgendwie an die Oberfläche, dann wieder unter und
       weiter. Er hat sich das aus sicherer Entfernung angeschaut und besorgte
       Badegäste („Hören Sie, Ihr Kind ertrinkt!“) abgewiesen („Nee, die taucht
       gleich irgendwo wieder auf.“)
       
       Daran kann ich mich natürlich nicht erinnern, aber jedes Mal, wenn ich im
       Freibad untertauche und der Sound aus Planschen und Kreischen dumpf wird,
       bin ich tief zufrieden, das Licht bricht sich im Wasser, ich gleite
       lautlos, dümpele vor mich hin und keiner stört.
       
       Nun muss nicht jede eine so innige Beziehung zu Freibädern und Chlorwasser
       haben, um zu erkennen, dass wir diese [8][Freibäder brauchen], mit
       erschwinglichem Eintritt, mit diesem Gefühl der Freiheit, und dass sie
       durch nichts ersetzbar sind.
       
       Mehr zu Freibädern als bedrohte Spezies lesen Sie in der gedruckten taz am
       Wochenende oder [9][hier]
       
       26 Jul 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.zeit.de/2018/33/freibaeder-schliessung-deutschland-hitze-sommer
   DIR [2] https://www.sportlexikon.com/schwimmen-stadion
   DIR [3] https://swim.de/magazin/pool/die-etikette-im-schwimmtraining
   DIR [4] https://www.brigitte.de/mode/trends/video--100-jahre-maenner-bademode-in-3-minuten-10216822.html
   DIR [5] https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/hitzewelle-warum-es-im-freibad-nach-chlor-riecht-a-1273964.html
   DIR [6] https://www.dlrg.de/lernen/breitenausbildung/schwimmabzeichen/
   DIR [7] https://de.wikipedia.org/wiki/Wasserspringen
   DIR [8] https://www.welt.de/print/welt_kompakt/print_wirtschaft/article178208094/Das-grosse-Freibad-Sterben.html
   DIR [9] /Unser-eKiosk/!114771/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ilka Kreutzträger
       
       ## TAGS
       
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