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       # taz.de -- Konservative in Baden-Württemberg: Die schwäbische Schwertgosch
       
       > Susanne Eisenmann könnte Winfried Kretschmann gefährlich werden. Nun wird
       > sie zur Spitzenkandidatin der baden-württembergischen CDU gewählt.
       
   IMG Bild: Will konservative Akzente setzen: Susanne Eisenmann
       
       Stuttgart taz | Wenn Susanne Eisenmann in den Angriffsmodus wechselt, dann
       rutscht sie erst unruhig auf dem Sessel herum, schnickt mit nervösen
       Kopfbewegungen die blonden Strähnen aus der Stirn. Und wenn sie das Kinn
       angriffslustig nach vorn reckt, gehen Gesprächspartner, die sie kennen,
       [1][vorsorglich in Deckung].
       
       Einer politischen Rauferei geht die baden-württembergische Kultusministerin
       nie aus dem Weg. Aber immerhin, vor Eisenmanns Schwertgosch, wie die
       Schwaben so ein flinkes, scharfes Mundwerk nennen, sind alle gleich: „Ist
       das etwa falsch, was ich hier sage?“, blafft sie etwa in einer öffentlichen
       Veranstaltung einen Lehrer an, der die Antwort der Ministerin mit
       zweifelndem Kopfschütteln entgegennimmt.
       
       Schülervertretern sagt sie unverblümt, wenn sie ihre Vorschläge für
       „Blödsinn“ hält. Und auch Kultusministerkollegen und Bildungspolitiker im
       Bund erinnern sich noch lange an den unerbittlichen Verhandlungsstil der
       Ministerin aus Baden-Württemberg. Ein begründetes Nein sei ihr halt lieber
       „als ein unehrliches Ja“, sagt sie kühl, wenn man sie darauf anspricht.
       
       Daheim im Stuttgarter Kabinett sind ihre Auftritte legendär. Gleich nach
       ihrer Ernennung zur Kultusministerin 2016 schoss sie dort das erste Mal in
       die Decke. Die grüne Finanzministerin Edith Sitzmann hatte vom
       Kabinettsneuling größere Einsparungen verlangt als im Landeshaushalt
       vorgesehen. Statt sich dem Spardiktat zu unterwerfen, ging Eisenmann ins
       Fernsehen: Wenn sie, wie von der Finanzministerin verlangt, einsparen
       müsse, sei eben kein Geld mehr für Inklusion und den Ausbau der
       Ganztagsschulen und andere grüne Projekte da.
       
       Eisenmann rettete ihr Budget. Und selbst Winfried Kretschmann war von der
       durchsetzungsstarken Ministerin beeindruckt. Der Tadel des
       Ministerpräsidenten für den ruppigen Einsatz soll milde ausgefallen sein.
       Eisenmann sagt: „Ich wusste, wenn du dich da vorführen lässt, dann
       verlierst du jede Autorität.“
       
       ## Männliche Strategien
       
       Es sind recht männliche Strategien, mit denen sich Susanne Eisenmann, 54,
       geschult in einer männerdominierten Partei, durchsetzt. Damit macht man
       sich nicht unbedingt beliebt. Aber mit ihrem unerschrockenen und
       burschikosen Auftritten, meist mit offenem Visier und ohne Redemanuskript,
       hat sich Susanne Eisenmann in ihren fast drei Jahren auf einem ganz
       ungemütlichen Sessel im Kabinett bei Freund und Feind immerhin Respekt
       verschafft. So einer trauen konservative und liberale CDUler in lange nicht
       mehr gesehener Einigkeit zu, Kretschmann bei der Landtagswahl 2021 das Amt
       ernsthaft streitig zu machen. Und deshalb werden sie Susanne Eisenmann an
       diesem Samstag wohl mit einem glänzenden Ergebnis zur Spitzenkandidatin
       küren.
       
       Als Eisenmann vor drei Jahren auf Vorschlag von Thomas Strobl aus dem
       Stuttgarter Rathaus in das Landeskabinett wechselte, war das noch anders.
       Da hatten viele Mitglieder in Fraktion und Partei die Nase gerümpft: Eine
       Frau aus der Kommunalpolitik, noch dazu eine vom hyperliberalen Flügel der
       Partei, sollte Ministerin werden? Da seien ja wohl erst mal andere an der
       Reihe. Jetzt könnte ausgerechnet diese Frau die letzte Chance der CDU sein,
       wieder das herzustellen, was aus der Sicht der CDU in Baden-Württemberg vor
       Kretschmann und von jeher der Normalfall war: Dass die CDU den
       Regierungschef – in diesem Fall die Chefin – stellt.
       
       Es ist also auch der Mut der Verzweiflung, der sogar Konservative in der
       Partei dazu bringt, sich hinter Eisenmann zu stellen. Nach der historischen
       Niederlage bei der Landtagswahl 2016 mussten sie als Juniorpartner eine
       Koalition mit den Grünen eingehen. Zweieinhalb Jahre später wirkt die
       Südwest-CDU inhaltlich so entkernt, dass es Kretschmann sogar gelingt, der
       Union das Label „konservativ“ streitig zu machen.
       
       Geht es nach der designierten Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann, darf er
       dieses Etikett gern behalten. Die gebürtige Stuttgarterin gilt als
       Vertreterin der urbanen CDU, die wenig Probleme mit den Themen Homoehe,
       Ganztagsschulen und Migration hat. Konservative sind in ihren Augen oft
       Menschen, die wichtige Themen verpassen, weil sie sie für eine Mode halten
       – daher warnt Eisenmann die eigenen Leute davor, zu glauben, dass
       Gendergerechtigkeit und Klimaschutz wieder von selbst von der Tagesordnung
       verschwinden.
       
       Dass Eisenmann trotzdem konservative Akzente setzen kann, hat sie als
       Kultusministerin bewiesen. So machte sie die unter grün-rot eingeführte
       Gemeinschaftsschule zwar schon als Stuttgarter Schulbürgermeisterin
       salonfähig, in einer Zeit also, als ihre Partei diese Schulform noch
       bekämpfte. Aber als Kultusministerin stellte sie sie jetzt unter strenge
       Leistungskontrolle. Sie schaffte das vermeintlich progressive Konzept
       „Schreiben nach Gehör“ in den Schulen wieder ab und setzt sich für
       bundesweit einheitliche Abiturprüfungen ein.
       
       ## Fachpolitik und Machtpolitik
       
       Eisenmann findet das nicht links oder rechts, sondern pragmatisch. „Aus der
       Sachpolitik heraus Themen mehrheitsfähig machen“ nennt sie das. Und auch
       mal die Grünen auf dem eigenen Terrain angreifen. Etwa wenn sie daran
       erinnert, dass Baden-Württemberg trotz grünem Ministerpräsidenten und
       Umweltminister die Klimaziele verfehlt.
       
       Dabei ist ihre eigene Bilanz als Ministerin eher durchwachsen. Das von ihr
       gestartete Leuchtturm-Projekt „Ella“, eine digitale Plattform für Lehrer,
       Schüler und Eltern, konnte nicht wie geplant an den Start gehen. Es bleibt
       ein Millionenschaden und eine jahrelange Verzögerung der Digitalisierung an
       den Schulen. Eigentlich versprach die Kultusministerin, nach Jahren der
       Reformen Ruhe in den Apparat zu bringen. Aber mit einer Verwaltungsreform,
       die kaum einen Stein auf dem anderen lässt, erreicht sie eher das
       Gegenteil. Von ihren Vorgängern erbte sie zudem schlechte Ergebnisse beim
       bundesweiten Bildungsranking. Jetzt muss sich die Ministerin von Experten
       aus Schleswig-Holstein erklären lassen, wie man die Schulen in
       Baden-Württemberg wieder auf das gewohnte Niveau bringt.
       
       Doch Fachpolitik ist das eine, Machtpolitik das andere. 14 Jahre lang
       lernte sie als Günther Oettingers rechte Hand den politischen Betrieb in
       Stuttgart von innen kennen. Der damalige CDU-Fraktionschef mit Ambitionen
       auf den Ministerpräsidentensessel hatte die frisch promovierte Germanistin
       von der Universität weg als Büroleiterin verpflichtet.
       
       Man könnte es fast konsequent nennen, dass sie später dessen
       Pressesprecher, den heutigen Chef der Baden-Württemberg-Stiftung Christoph
       Dahl, heiratete. Im Stuttgarter Gemeinderat brachte sie es trotz
       erheblicher Widerstände von Parteifreunden erst zur Fraktionschefin, dann
       zur Schulbürgermeisterin. Dort erwarb sie sich erstmals den Spitznamen
       „Rambo“, weil es ihr gelang, mit robusten Verhandlungsmethoden beim
       damaligen Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU) Geld für ihr Ressort
       lockerzumachen.
       
       ## Sturm auf die Villa Reitzenstein
       
       Mit Föll schloss sie Anfang des Jahres dann ein überraschendes Bündnis. Sie
       ernannte ihn zum Amtschef in ihrem Ministerium. Der einstige Gegner sollte
       ihr dabei helfen, sie für den nächsten Karriereschritt in Stellung zu
       bringen: den Sturm auf die Villa Reitzenstein, den Amtssitz des
       Ministerpräsidenten.
       
       Gegner zu Verbündeten machen gehört genauso zum Repertoire von Eisenmann,
       wie sich beizeiten von Freunden zu trennen. Das musste im Frühjahr Thomas
       Strobl erfahren, mit dem sie eine Freundschaft aus Tagen bei der Jungen
       Union verband. Er war es, der sie 2016 als Ministerin durchgesetzt hatte.
       Und er hielt sich selbst für gesetzt als Parteichef, Innenminister und
       Kandidat für das Amt des stellvertretenden Ministerpräsidenten im Jahr
       2021. Doch parteiintern wurden dem glücklosen Schwiegersohn von Wolfgang
       Schäuble schon länger keinerlei Chancen gegen Kretschmann eingeräumt. „Der
       hat nicht geliefert“, heißt es ungnädig aus der Partei. Und so lief nicht
       ganz zufällig bald alles auf die einstige Außenseiterin zu.
       
       Wo sich Strobl nach Parteiversammlungen schnell zurückzog, verstand es
       Eisenmann in den letzten beiden Jahren, mit Charme bei Wein und Zigaretten
       einen Draht zur Parteibasis aufzubauen und Allianzen zu schmieden. Im Mai,
       nach der verlorenen Europa- und Kommunalwahl, war es dann Eisenmann selbst,
       die Strobl unmissverständlich klarmachte, dass er nun Platz für sie, die
       einstige Weggefährtin, machen müsse. Wohl das vorläufige Ende einer
       Freundschaft.
       
       Der amtierende Ministerpräsident, dem sie jetzt als Nächstes das Amt
       streitig machen will, ist da sicher ein anderes Kaliber. Der Landesvater
       ist ungleich beliebter und bekannter als seine Kultusministerin. Aber das
       Duell Kretsch- contra Eisenmann ist noch längst nicht entschieden.
       71-jähriger Mann gegen deutlich jüngere Frau, bodenständiger Landesvater
       gegen angriffslustige Städterin, liberale Schwarze gegen konservativen
       Grünen, das könnte manchen, der irgendwie progressiv wählen möchte, in
       Verwirrung stürzen.
       
       Mit ihrer frühen Nominierung, zwei Jahre vor der Wahl, lässt die 54-Jährige
       den Amtsinhaber zumindest schon mal als Zauderer dastehen. Kretschmann, der
       zur Zeit seinen Urlaub Homer lesend in Griechenland verbringt, möchte erst
       nach der Sommerpause bekannt geben, ob er noch einmal antritt. Susanne
       Eisenmann ruckelt sich derweil schon mal in Angriffsposition.
       
       27 Jul 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /CDU-in-Baden-Wuerttemberg/!5595508
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Stieber
       
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