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       # taz.de -- Seerechtsprofessorin über Seenotrettung: „Bei Not muss geholfen werden“
       
       > Die Kapitänin der „Sea-Watch 3“ hat Menschen aus Seenot gerettet und
       > wurde nach dem Anlegen in Italien verhaftet. War das rechtens?
       
   IMG Bild: Diese drei Menschen und 50 weitere wurden von der Crew der „Sea-Watch 3“ gerettet
       
       taz: Gibt es eine rechtliche Pflicht, Menschen aus Seenot zu retten? 
       
       Nele Matz-Lück: Ja. Wenn jemand auf See in Lebensgefahr gerät, dann muss
       geholfen werden. Das ist schon lange völkerrechtliches Gewohnheitsrecht, es
       steht aber auch ausdrücklich im UN-Seerechts-Übereinkommen, das 1994 in
       Kraft trat.
       
       Gilt diese Hilfspflicht auch gegenüber Personen, die sehenden Auges die
       Schiffbrüchigkeit herbeiführen – etwa indem sie in Libyen in ein
       untaugliches Boot steigen und dann auf Rettung hoffen? 
       
       Natürlich gilt auch dann die Rettungspflicht. In einer Notlage muss
       geholfen werden, unabhängig davon, wie die Notlage entstanden ist. Polizei
       und Rotes Kreuz helfen bei einer Notlage an Land ja auch auf jeden Fall und
       prüfen nicht erst die Vorgeschichte.
       
       Welche Pflicht hat eine Kapitänin, die Schiffbrüchige aufgenommen hat? 
       
       Sie muss diese an einen sicheren Ort bringen. Das kann ein Hafen oder ein
       Schiff sein.
       
       Könnte die Kapitänin gerettete Migranten auch nach Libyen zurückbringen? 
       
       Libyen ist für Migranten kein sicherer Ort. Es ist allgemein bekannt, dass
       afrikanische Migranten in Libyen in menschenunwürdigen Lagern leben müssen,
       wo sie misshandelt, gefoltert und oft auch getötet werden.
       
       Muss Italien gerettete Migranten aufnehmen, wenn Lampedusa der nächste
       sichere Hafen ist? 
       
       Nein. Es gibt zwar eine Rettungspflicht auf See, aber es gibt keine
       Aufnahmepflicht der Küstenstaaten. Dies wird zurecht als
       Konstruktionsfehler des Seerechts kritisiert. Derzeit ist es so, dass sich
       nach jeder Seenotrettung Staaten freiwillig melden müsssen, um die
       geretteten schiffbrüchigen Migranten aufzunehmen.
       
       Es gibt doch aber das Recht auf einen Nothafen? 
       
       Ja, aber dieses Recht ist eng begrenzt. Es gilt nur, wenn das rettende
       Schiff nun selbst in Seenot ist, zum Beispiel weil es so überladen ist,
       dass es beim aufkommenden Sturm zu kentern droht.
       
       Was ist, wenn die Wasser- und Nahrungsvorräte zur Neige gehen? 
       
       Daraus ergibt sich kein automatisches Einfahrtsrecht in den Hafen. Der
       Küstenstaat muss zwar helfen, könnte aber auch Lebensmittel und Wasser zum
       Schiff bringen, um die Situation an Bord zu verbessern.
       
       Und was ist, wenn Kinder und schwangere Frauen an Bord sind? 
       
       [1][Im Fall der Sea Watch 3] hat Italien zwölf besonders verletzliche
       Personen an Land gelassen. Die übrigen 40 Personen waren weder Kinder noch
       schwanger. Deshalb hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
       vorige Woche eine Eilverfügung gegen Italien abgelehnt.
       
       Italien verstößt also nicht gegen das Völkerrecht, wenn es sich
       grundsätzlich weigert, Migranten an Land zu lassen, die von privaten
       Schiffen im Mittelmeer gerettet wurden? 
       
       Nein, solange Italien in konkreten Notfällen hilft, kann es frei
       entscheiden, welche Personen es an Land lässt und welche Schiffe es in
       seine Häfen einlaufen lässt.
       
       [2][Die Kapitänin der Sea Watch 3], die Deutsche Carola Rackete,
       argumentierte, dass sich die Lage an Bord zugespitzt hat. Sie befürchtete,
       dass Verzweifelte sich etwas antun könnten. Ist das keine Notlage? 
       
       Das dürfte eine Notlage sein. Die Kapitänin hat hier einen
       Beurteilungsspielraum, denn sie ist vor Ort und für die Situation an Bord
       verantwortlich. Daraus folgt aber nicht, dass sie einfach in den Hafen
       einfahren kann. Italien könnte ja auch eine psycholgische Betreuung an Bord
       organisieren. Die Kapitänin muss also mit einer Sanktion für die
       eigenmächtige Einfahrt in den Hafen rechnen.
       
       Italien spricht zudem von einer Bestrafung wegen Begünstigung der illegalen
       Einreise von Migranten. 
       
       Nach italienischem Recht musss Rackete wohl auch damit rechnen, obwohl sie
       keine kommerzielle Schlepperin ist, sondern humanitäre Hilfe leistete.
       
       Verstößt die Bestafung humanitärer Helfer nicht gegen höherrangiges Recht? 
       
       Wohl nicht. Das Völkerrecht verpflichtet die Staten zwar, Schlepperei zu
       bestrafen, aber es gibt keine Staatenpflicht, humanitär motivierte Hilfe
       bei der illegalen Einreise straffrei zu lassen.
       
       Gilt das auch , wenn jemand Flüchtlingen hilft, die anschließend Asyl
       erhalten? 
       
       Ja. Die Genfer Flüchtlingskonvention sieht zwar Straffreiheit für die
       illegale Einreise der Flüchtlinge selbst vor, aber keine Straffreiheit für
       ihre Helfer.
       
       2 Jul 2019
       
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