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       # taz.de -- Andrei S. Markovits über Fußball: „In 50 Jahren Mixed-Gender“
       
       > Sozialwissenschaftler Andrei S. Markovits kritisiert die
       > Geschlechtertrennung im Jugendfußball. Carli Lloyd habe die Schusskraft
       > männlicher Profis.
       
   IMG Bild: Der Kampf um den Ball hängt nicht vom Geschlecht ab: Carli Lloyd (r.) in Aktion
       
       taz: Herr Markovits, hat der Fußball eine Mixed-Gender-Zukunft? 
       
       Ja, absolut. Die besten männlichen Spieler fallen ja nicht durch besondere
       körperliche Merkmale auf. Schauen Sie sich all die ganz Großen des Fußballs
       an: Beckenbauer, Cruyff, Best – alles physisch ganz normale Personen. Nicht
       sonderlich stark, nicht sonderlich schnell. Lionel Messi ist eher klein.
       Das Spiel braucht keine abnormale körperliche Kraft. Man kann im Fußball
       mit körperlichen Merkmalen, die sich bei Frauen und Männern gleichermaßen
       finden, Erfolg haben. In diesem Sinne ist der Fußball ein potenziell sehr
       inkludierender, das heißt: demokratischer Sport.
       
       Aber Sie sprechen nicht von der Gegenwart? 
       
       Richtig. Ich rede von einer Zukunft in vielleicht 40 oder 50 Jahren. Aber
       die Indizien, die in diese Richtung weisen, gibt es jetzt schon. Man hat
       gemessen, dass Carli Lloyd aus dem Team USA eine Schusskraft hat, wie sie
       männliche Profis auch haben. Solche Annäherungen wird es in den kommenden
       Jahrzehnten noch mehr geben.
       
       Mixed-Gender-Teams gibt es im Jugendfußball ja sehr wohl. 
       
       In den USA bis zum 13. Lebensjahr, in Deutschland ist es ja ähnlich. Ab
       dann kommt die Trennung nach Geschlecht, de facto ist das eine
       Diskriminierung der Spielerinnen. Das kommt für sie einer Verbannung aus
       dem Zentrum dieses Spieles gleich.
       
       Wie konnte es zu dieser Verbannung kommen? 
       
       Mehrere hundert Jahre Patriarchat und Sexismus, was sonst? Man kann es auch
       etwas ausführlicher begründen: Wir haben es mit dem Fußball in Europa und
       weiten Teilen der Welt mit einer hegemonialen Sportkultur zu tun, die total
       männlich geprägt war und ist. In den USA sind American Football, Basketball
       und Baseball das genaue kulturelle Pendant zum Fußball in Europa. Diese
       Sportarten sind ein ganz wesentlicher Teil männlicher Identifikation. Daher
       rühren die Schwierigkeiten.
       
       Nun gewinnen oft männliche Jugendmannschaften in Trainingsspielen über
       Klasseteams der Frauen. Verweist das nicht sehr wohl auf körperliche
       Unterschiede? 
       
       Das olympische Prinzip des Sports citius, altius, fortius, also schneller,
       höher, stärker, gibt den Männern einen automatischen Vorsprung im Sport, da
       sie physisch Frauen im Durchschnitt in all diesen drei Dimensionen
       überlegen sind. Bis Frauen im Baseball einen Pitch mit 100 Meilen pro
       Stunde schlagen, wird es noch dauern. Ähnliches gilt für Rugby, American
       Football, Eishockey, Kricket und auch für Basketball, wo die langen und
       kräftigen Kerle dominieren. Meine These lautet: Von den großen
       Mannschaftssportarten ist eine Entwicklung in Richtung Mixed-Gender am
       ehesten im Fußball möglich.
       
       Frauen in sogenannten Männersportarten gab es ja schon öfter: Die
       Tennisspielerin Billie Jean King hat 1973 Bobby Riggs im „Battle of the
       Sexes“ geschlagen … 
       
       … Riggs war damals 55 Jahre alt. Das dürfen Sie sportlich nicht so ernst
       nehmen.
       
       Im Männereishockey gab es Profitorhüterinnen, und im Profifußball hatte
       Birgit Prinz 2003 das Angebot, zum AC Perugia in die italienische Serie A
       zu wechseln. 
       
       Ja, aber da muss man immer genau schauen, ob es sich nicht um PR-Aktionen
       handelte. Mir geht es ja um langfristige Entwicklungen. Die
       Geschlechtertrennung, die im Jugendfußball durchgesetzt wird, hat ja zur
       Folge, dass große weibliche Talente plötzlich nicht mehr mit den Jungs
       spielen dürfen, sondern in schwächere Teams, in denen sie sich nicht so gut
       entwickeln können, relegiert werden. Wenn die weiter in gemischten Teams
       spielen dürften, würden die sich auch garantiert auf ein höheres
       Spielniveau entwickeln. Dass das so ist, sehen Sie ja auch bei den
       sogenannten MINT-Fächern an der Universität: Wenn Frauen in Mathematik,
       Informatik, Naturwissenschaft und Technik gefördert werden, sind die bald
       so gut wie die männlichen Kollegen.
       
       Mehr Mädchen- und Frauenförderung bedeutet also auch Schritte in den
       Mixed-Gender-Fußball? 
       
       Zunächst einmal geht es um die Vergrößerung des Pools: Tatsächlich spielen
       mehr Jungen als Mädchen auf der Welt Fußball. Da ist es auch klar, dass
       viele weibliche Talente nicht entdeckt werden. Das gilt ja nicht nur im
       Bereich des Fußballs. Dass es kaum afrikanische Weltklasseschwimmer gibt,
       hat ja keine körperlichen oder natürlichen Ursachen, sondern es sind die
       fehlenden Schwimmbäder, Trainingsmöglichkeiten, Talentsichtungen und
       -entwicklungen. Das trifft auf die Mädchenförderung im Fußball auch zu: Je
       mehr Mädchen kicken, desto mehr und bessere Talente werden entdeckt und
       gelangen wir zu gleichen Verhältnissen.
       
       Ist die Männerdominanz im Fußball also ein Akt der Frauenunterdrückung? 
       
       Es ist ein sozialer Ausschluss, vielleicht keine bewusst herbeigeführte
       Exkludierung, aber eben doch ein Ausschluss.
       
       Die ganze Fußballkultur ist ja männlich geprägt, von Sexismus durchtränkt
       und also nicht gerade attraktiv für viele Frauen. 
       
       Der Fußball, wie er in Europa – und nicht nur dort – herrscht, ist in der
       Tat von klassischer proletarischer Männerkultur strukturiert. In den USA,
       Kanada oder auch in Australien ist das anders: Da ist der Fußball Teil
       einer eher bürgerlichen, in den Suburbs angesiedelten Kultur. Das öffnet
       Räume für Frauen und Mädchen.
       
       Für Frauen aus der Working Class ist Fußball unattraktiv? 
       
       Im Team USA sind bei der WM nur zwei schwarze Spielerinnen, und auch die
       haben keinen proletarischen Background. In der deutschen Mannschaft ist
       meines Wissens auch nur eine Spielerin mit Migrationshintergrund. Das ist
       ein deutlicher Unterschied zum Männerfußball.
       
       Es ist also die Verbürgerlichung des einstigen Arbeitersports Fußball, die
       die Chancen auf mehr Gendergerechtigkeit ermöglicht? 
       
       Genau so ist es.
       
       6 Jul 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Krauss
       
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