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       # taz.de -- Salvini versus Seenotrettung: Der Scharfmacher und sein Volk
       
       > Italiens rechter Innenminister Matteo Salvini weiß sich in seiner harten
       > Linie gegen Seenotretter wie Carola Rackete im Einklang mit der Mehrheit.
       
   IMG Bild: Matteo Salvini versus Carola Rackete: Bei der Mehrheit der Italienerinnen gewinnt Salvini
       
       Rom taz | „Salvinis Politik rettet Menschenleben.“ Klar liegen die Dinge
       für Umberto, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will. Trotz
       seines kahlrasierten Schädels wirkt der hochgewachsene, schlanke
       Mittvierziger kein bisschen wie ein Skinhead. Mit freundlichem Blick und
       ruhiger Stimme legt er dar, was ihm am italienischen Innenminister so
       gefällt. Seit [1][Matteo Salvini] die italienischen Häfen zugemacht habe,
       sei die Zahl der von Libyen kommenden Flüchtlingsboote drastisch gesunken,
       ergo seien auch viel weniger Menschen im Mittelmeer ertrunken, erklärt der
       Fernbusfahrer, während sich eine Zigarette anzündet.
       
       Dann geht der Griff zum Smartphone, sofort ist Umberto auf [2][Salvinis
       Facebookseite], geht auf einen Videopost, auf dem der Minister gegen
       [3][Carola Rackete], die „deutsche Kriminelle“, wettert und gegen die
       Migranten, die in Italien nichts verloren haben.
       
       Wochenlang beschäftigte das Kräftemessen zwischen der deutschen NGO
       [4][SeaWatch] und Salvini Italien. Erst bekamen die Retter vom
       Innenminister ihr Fett weg, dann, nach der [5][Aufhebung des Haftbefehls]
       gegen die Kapitänin, auch die Justiz. Die müsse dringend „reformiert“
       werden, damit solche „Schandurteile“ nicht fallen, und die zuständige
       Richterin solle doch gefälligst aus dem Justizdienst ausscheiden und „für
       die Linke kandidieren“, zürnt der Lega-Chef.
       
       Und schon kündigt sich die nächste Runde in seiner Auseinandersetzung mit
       den Rettern an. Am Donnerstag nahm das Segelschiff Alex der italienischen
       NGO [6][Mediterranea] 54 Menschen an Bord, steuerte dann Richtung
       Lampedusa.
       
       Diesmal kann Salvini nicht wie im Fall der unter niederländischen Flagge
       fahrenden und von einer deutschen Organisation betriebenen SeaWatch
       verlangen, die Flüchtlinge sollten doch in die Niederlande oder nach
       Hamburg geschafft werden. Doch auch jetzt kennt er ein alternatives
       Reiseziel, Italiens Grenzen seien „heilig“, Lampedusa stehe „nicht zur
       Verfügung“, die Alex könne doch Kurs auf Tunesien nehmen.
       
       ## „Wo sollen die je Arbeit finden?“
       
       Stattdessen ist „Alex“ inzwischen Richtung Malta unterwegs. Das Segelschiff
       sei jedoch nicht in der Lage, die Geretteten an Land zu bringen, erklärt
       die Hilfsorganisation und bittet daher darum, diese mit Motorbooten der
       italienischen oder maltesischen Küstenwache nach Malta fahren zu können.
       
       Unter den Flüchtlingen sind den Angaben zufolge 22 Frauen, darunter zwei
       Schwangere. Die meisten stammen demnach aus der Elfenbeinküste, aus Guinea
       und Kamerun.
       
       Nachdem die Hilfsorganisation dazu aufgefordert hatte, die Geretteten mit
       Motorbooten der Küstenwache nach Malta zu bringen, erklärte Salvini im
       italienischen Fernsehen, es handele sich offenbar um einen „Akt der
       Piraterie“. Die Seenotretter bezeichnete er als „Hausbesetzer“.
       
       Völlig richtig, findet Sara, auch sie nennt ihren Nachnamen nicht. Die
       junge Frau verdient als Verkäuferin ihr Geld, und sie glaubt, schon jetzt
       seien zu viele Migranten im Land, „wo sollen die je Arbeit finden?“
       Mittlerweile treffe man doch an jeder Straßenecke bettelnde Afrikaner, und
       früher oder später müssten die doch in die Kriminalität abrutschen.
       
       ## Linke im Abseits, wenn sie offene Grenzen propagiert
       
       Der ältere Mann neben ihr am Tresen der Espressobar nickt, „arme Schweine“
       seien das, er selbst würde auch zu kriminellen Methoden greifen, wenn er in
       ihrer Haut stecken würde – also gebe es keine andere Lösung, als sie
       draußen zu halten.
       
       Nur wenige Stimmen erheben sich gegen diesen Chor. Am Freitag
       veröffentlichte die Tageszeitung La Repubblica einen [7][Artikel Matteo
       Renzis], bis Ende 2016 Ministerpräsident, bis März 2018 Vorsitzender der
       gemäßigt linken Partito Democratico.
       
       Rom selbst, so Renzi, sei doch dem Mythos nach von einem Migranten – von
       Romulus – gegründet worden, und während Salvini es „ekelhaft“ findet, dass
       Carola Rackete auf freien Fuß gesetzt wurde, greift Renzi mit ganz anderer
       Stoßrichtung zum selben Adjektiv: „Aus Wahlkalkülen Menschen im Meer zu
       lassen, ist ekelhaft“, befindet er.
       
       Daniela verzieht die Mundwinkel, als sie den Namen Salvini hört. Nie würde
       sie den wählen, doch auch sie – Römerin jenseits der 60 – hat ihre Zweifel,
       glaubt, dass die Linke definitiv im Abseits landet, wenn sie „offene
       Grenzen“ propagiert. Italien allein sei überfordert, meint sie, das Problem
       bedürfe einer europäischen Lösung, und Salvini wirft sie vor allem vor,
       dass er seit seinem Amtsantritt vor gut einem Jahr sich nur ein einziges
       Mal bei einem der Gipfel der EU-Innenminister habe blicken lassen.
       
       Doch Salvini muss sich über solche Einwürfe keine Sorgen machen. 60 Prozent
       der Italiener gaben ihm in einer vor wenigen Tagen durchgeführten
       Meinungsumfrage in der Auseinandersetzung mit SeaWatch recht, nur 29
       Prozent meinen, die deutsche NGO habe richtig gehandelt.
       
       Und die Lega ist so populär wie nie: Während sie bei den Europawahlen am
       26. Mai 34 Prozent holte, liegt sie jetzt bei 38 Prozent, und die noch
       rabiatere Rechtspartei Fratelli d’Italia („NGO-Schiffe versenken!“) kommt
       auf 6,4 Prozent.
       
       5 Jul 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Rechter-Block-bei-der-Wahl-in-Italien/!5486277
   DIR [2] https://www.facebook.com/salviniofficial/
   DIR [3] /Kapitaenin-Carola-Rackete/!5603951
   DIR [4] https://sea-watch.org/
   DIR [5] /Kapitaenin-Carola-Rackete/!5609301
   DIR [6] https://mediterranearescue.org/en/
   DIR [7] https://rep.repubblica.it/pwa/generale/2019/07/04/news/pd_matteo_renzi_migranti_ius_soli_partito_democratico_minniti-230383235/?ref=RHPPLF-BH-I230397296-C8-P3-S2.5-T1
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Braun
       
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