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       # taz.de -- Fridays for Future in Russland: Die Einsamkeit des Klimakämpfers
       
       > Klimaschützer haben es in Russland schwer. Viele halten die Erderwärmung
       > für eine US-Erfindung. Trotzdem gibt's auch hier Fridays for Future.
       
   IMG Bild: Fridays-for-Future-Demos sind in Russland alles andere als üblich
       
       Moskau taz | Arschak Makitschian kramt im Rucksack nach der ausklappbaren
       Pappe mit dem passenden Klimaspruch für die Ein-Mann-Mahnwache auf dem
       Jause-Tor-Platz unterhalb des Obelisken zu Ehren der „Grenzschützer des
       Vaterlandes“.
       
       Es ist Freitag und Makitschian gehört zu einer kleinen Gruppe junger Leute,
       die in Moskau den Protest von [1][Fridays for Future (FFF)] hochhalten. Mal
       sind sie zu dritt, mal zu viert. Heute hantiert Makitschian allein mit der
       handgemalten Spruchpappe: „Globale Erwärmung ist Hunger, Krieg und Tod.“
       
       Die „Mahnwache“ hat ihn an den Rand des Zentrums verschlagen. Nur wenige
       Wochen hatte er unbehelligt im Moskauer Zentrum auf dem Puschkin-Platz
       demonstrieren können. Tausende gingen vorbei, nahmen Notiz – oder auch
       nicht, meint der Absolvent des Moskauer Konservatoriums. Nach einem
       Zeitungsinterview wurde es ungemütlicher. Polizei tauchte auf und stellte
       Fragen, erzählt Makitschian. „Wer mich bezahlt, wollten sie wissen. Sie
       waren überzeugt, nur die Ukraine könnte hinter dem Protest stehen.“ Dass
       Bürger auf eigene Faust eine Idee verfolgen, passe noch nicht in die
       Vorstellung der Polizisten.
       
       Daraufhin wich er auf den Platz an der Jause aus, einem Nebenfluss der
       Moskwa. Der Klimakampf verläuft in Russland zäh. Landesweit gingen am
       internationalen Aktionstag Ende Mai zwischen Kaliningrad und Wladiwostok
       rund 100 Demonstranten auf die Straße. Makitschian lässt sich nicht
       entmutigen. Motivieren sei etwas schwieriger in Russland, sagt er lächelnd.
       Am vergangenen Freitag twitterte er fröhlich: „Die 20. Woche!“
       
       Noch im letzten Oktober hatte Makitschian es sich nicht vorstellen können,
       der Schwedin Greta Thunberg nachzufolgen und in Russland die Arbeit
       aufzunehmen. Im Februar auf einer Gedenkveranstaltung für den 2015
       ermordeten Oppositionellen Boris Nemzow wurde das anders. „Das hat in mir
       etwas verändert. Entweder jetzt oder nie“, sagt er.
       
       Als er mit FFF anfing, gab es noch keine Mitstreiter, auch Öffentlichkeit
       war noch nicht hergestellt. Inzwischen gebe es auf Instagram eine Gruppe
       von Interessierten, sagt er.
       
       Im März beantragten Moskauer Klimaschützer eine größere Demonstration. Sie
       wurde sogar genehmigt. Im Gaid-Park, der russischen Version der Londoner
       Hyde-Park-Corner. Das innerstädtische Erholungsgebiet Sokolniki gleicht
       einem bewaldeten Freilaufgehege. Mit Detektoren wurden die Besucher auf
       eventuell mitgebrachte Waffen überprüft. Vierzig Aktivisten nahmen an der
       Demo teil. Damals fiel Makitschians Entschluss, Mahnwachen abzuhalten. Die
       müssen bei Behörden nicht angemeldet werden.
       
       ## Festnahmen sind wahrscheinlich
       
       Noch immer ist ihm jedoch mulmig zumute, wenn er zu einer Wache aufbricht.
       Wird man ihn diesmal festnehmen? Freimütig gesteht er, gegen solche Ängste
       müsse er sich immer wieder wehren. Sonst sei ihm aber noch nichts passiert.
       
       Neulich wurde er von einem Polizisten abgeführt, nach hektischen
       Telefonaten auf der Wache ohne Begründung jedoch wieder freigelassen. Auch
       am vergangenen Samstag wurde er festgenommen – im Zusammenhang mit den
       Protesten der Opposition. „Mehr als tausend Leute wurden abgeführt“,
       schrieb er auf Twitter. „Manche wegen friedlicher Proteste, manche, weil
       sie zur falschen Zeit in der Stadt herumliefen.“ Kurz danach gab er mit
       zerrissenem Hemd Entwarnung: „Ich bin frei, alles gut.“
       
       Trotz allem schaffte er zwischenzeitlich am Moskauer Konservatorium die
       Abschlussprüfung. Bis September hat er noch Bedenkzeit, wie es weitergehen
       soll. Den Wunsch, in Berlin weiterzustudieren, schob er erst einmal auf.
       „Wer kümmert sich sonst ums Klima in Russland?“, fragt er. Wegen der
       Konzertreisen könnte es auch in einem Orchester schwierig werden. Denn
       Makitschian verzichtete auf Flugreisen. Da bliebe dann noch der Job eines
       Geigenlehrers, „schlecht bezahlt“ allerdings, meint er.
       
       ## Globale Erwärmung wird in den Medien nicht behandelt
       
       An der Jause stehen plötzlich auch wieder Polizisten vor ihm. Drei in
       Uniform, einer in Zivil. Sie kontrollieren die Papiere und stellen die
       üblichen Fragen. Ein paar Minuten dauert es, bis sie wieder abziehen.
       
       Wer sich fürs Klima einsetzt, hat in Russland noch einen undankbaren Job.
       „Viele wissen nicht, was hinter der Erwärmung steckt. Sie leugnen sie oder
       behaupten, es fehle an Beweisen. Manche halten die Erwärmung für eine
       US-Erfindung“, sagt der Klimaschützer.
       
       Globale Erwärmung wird auch in staatlichen Medien nicht behandelt. Es sei
       denn, sie machen sich über westliche Bedenken lustig.
       
       Auch die Opposition meidet das Thema. „Oppositionelle Medien ziehen es vor
       zu schweigen“, so Makitschian. Die unabhängige russische Agentur Meduza
       berichtete neulich über den Geiger – aus Lettland. Der Bericht über die
       Klimaproteste stand in der englischen Ausgabe.
       
       „Hinweis: In einer früheren Version hieß es, Makitschian kritisiere, dass
       auch Greenpeace in Moskau zum Thema Erderwärmung schweige. Das ist nicht
       der Fall. Er sagt vielmehr, dass viele Oppositionelle zum Thema schweigen,
       Greenpeace aber nicht.“
       
       30 Jul 2019
       
       ## LINKS
       
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