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       # taz.de -- Bedrohung durch Rechtsextreme: Betroffene alleingelassen
       
       > Das Bremer Bürgeramt lehnt es in mehreren Fällen ab, die Adressen von
       > Personen zu sperren, die von der rechtsextremen Szene bedroht werden.
       
   IMG Bild: Der Umgang der Behörden mit Rechtsextremismus wurde auch schon im Karneval 2012 in Frage gestellt
       
       Hamburg taz | Sie beraten Opfer rechter Gewalt, sie bilden zur
       parlamentarischen Demokratie aus oder sie berichten über rechtsextreme
       Tendenzen. Die Mitarbeiter von Opferberatungsstellen, Angestellte von
       Vereinen für Zivilcourage oder Journalisten, die kontinuierlich über
       Rechtsextremismus informieren, sind durch ihre Tätigkeit per se Feinde der
       „nationalen Bewegung“. Sie erfahren aber keinen besonderen Schutz des
       Staates.
       
       In Bremen hat das Bürgeramt den Wunsch von n, ihre private Adresse sperren
       zu lassen, abgelehnt. Davon sind auch Personen betroffen, die zuvor bereits
       wegen der besonderen Bedrohung aus dem rechtsextremen Spektrum eine
       Auskunftssperre erhalten hatten. Sie hatten lediglich eine Verlängerung der
       Sperre beantragt – vergeblich. Keiner der aktuell Betroffenen möchte
       namentlich in diesem Kontext erwähnt werden.
       
       Aus nachvollziehbaren Gründen: Seit Jahren wird in den sozialen Netzwerken
       gegen Mitarbeiter von Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt oder von
       Netzwerken für Geflüchtete oder Vereinen für Zivilcourage gehetzt. Seit
       Jahren hat sich auch der Hass gegen „die Lügenpresse“ verschärft. Längst
       wurden Kinder von Mitarbeitern von Initiativen an der Schule abgefangen und
       bedroht. 
       
       Der WDR hat vor wenigen Tagen erst eine Strafanzeige gestellt, da der
       Leiter der Redaktion Monitor, Georg Restle, eine Morddrohung erhalten hat.
       In den „Tagesthemen“ hatte Restle am 11. Juni in einem Kommentar die AfD
       als „parlamentarischen Arm“ der „Identitären Bewegung“ bezeichnet und
       gefordert, die AfD als „rechtsextremistisch“ einzustufen. Im Norden wird
       nicht nur der Journalistin und Rechtsextremismusexpertin Andrea Röpke aus
       der Szene der Tod gewünscht.
       
       Spätestens nach der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter
       Lübcke (CDU) durch einen Rechtsextremen am 2. Juni dieses Jahres auf
       seiner Terrasse an seinem Wohnhaus ist offensichtlich, dass Hass und Hetze
       im Internet zu konkreten Taten führen können.
       
       Eine neue Gesetzeslage ist es nicht, die in Bremen zu der Verweigerung der
       Auskunftssperren führt, erklärt Karen Stroink vom Pressereferat des Bremer
       Senators für Inneres. Auf Nachfrage der taz verweist sie auf die
       gesetzliche Grundlage für die Erteilung der Auskunftssperre im
       Melderegister. Die Sperrung sei möglich, „wenn Tatsachen vorliegen, die die
       Annahme rechtfertigen, dass der betroffenen oder einer anderen Person durch
       eine Melderegisterauskunft eine Gefahr für Leben, Gesundheit, persönliche
       Freiheit oder ähnliche schutzwürdige Interessen erwachsen kann“.
       
       Vor zwei Jahren habe das Bundesverwaltungsgericht aber „verschärfte
       Maßgaben“ formuliert, so Stroink. „Danach soll die Funktion der
       Melderegister, Auskunft über die im jeweiligen Zuständigkeitsbereich
       wohnhaften Personen zu geben und dadurch sowohl private als auch
       öffentlichen Auskunftsinteressen zu dienen, nur unter strengen
       Voraussetzungen durch Auskunftssperren eingeschränkt werden“, sagt sie.
       
       Die mögliche Gefährdung müsse jetzt konkret dargelegt werden. Eine
       abstrakte Gefährdungslage, wie die allgemeine Zunahme extremistischer
       Bedrohungen, reiche nicht aus. Vielmehr müsse die Sache in Abhängigkeit der
       jeweiligen individuellen Umstände oder der beruflichen Tätigkeit beurteilt
       werden, sagt Stroink.
       
       Aber steht die Verweigerung der Auskunftssperren nicht im Widerspruch zur
       aktuellen Einschätzung des Bundesinnenministeriums zu rechtsextremer
       Gewalt? Nach dem Tod des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hatte
       Innenminister Horst Seehofer (CSU) das rechtsextreme Milieu für
       „brandgefährlich“ erklärt. Trotzdem – die Gefahr ist der Bremer Behörde zu
       abstrakt.
       
       Das Bundesamt für Verfassungsschutz geht aktuell von 24.100 Rechtsextremen
       deutschlandweit aus – ein Höchststand. Mehr als die Hälfte – 12.700
       Personen – stufte das Amt als „gewaltorientiert“ ein. Diese Zahlen seien
       „in Verbindung mit der hohen Waffenaffinität des rechtsextremistischen
       Spektrums ausgesprochen besorgniserregend“, sagte Seehofer Ende Juni.
       
       Die Sorge der Betroffenen allein reicht für die behördliche Datensperrung
       dennoch nicht aus. Dass die Betroffenen selbst den Nachweis für eine
       „konkrete Bedrohung“ erbringen müssen, wird durch die Polizei jedoch
       zusätzlich erschwert. Ein Beispiel: Bisher sind nur einzelne Personen von
       der Todesliste des rechtsextremen „Nordkreuz“ informiert worden. Wie aber
       sollen die anderen, die nichts von ihrer Gefährdung wissen, sie beweisen?
       
       30 Jul 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Speit
       
       ## TAGS
       
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