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       # taz.de -- Müllproblem im Libanon: Sand sieben zur Gesichtsrettung
       
       > Erstmals legt der neue Umweltminister einen Müll-Masterplan für den
       > Libanon vor. Ob dieser das Problem löst, ist umstritten.
       
   IMG Bild: Zumindest der Strand soll sauber werden: Müllsammelaktion im Libanon im Juni
       
       Beirut taz | Joumana Ataya Jreissati siebt am öffentlichen Strand in Zouk
       Mosbeh mit einem schwarzen Netz Mikroplastik aus dem Sand heraus. Sie ist
       die Frau des libanesischen Umweltministers Fady Jreissati und macht bei der
       nationalen Müllsammelaktion an 120 libanesischen Stränden mit, zu der ihr
       Mann aufgerufen hat. Auch seine Eltern mobilisierte der Minister. Insgesamt
       kamen nach Angaben des Ministeriums 7.000 Freiwillige zusammen.
       
       „Save our face“ (Rettet unser Gesicht) ist nicht nur der Slogan des
       PR-Coups, es scheint auch das Motto des Ministers zu sein. Jreissati ist
       erst seit Februar im Amt und hat als erste Amtshandlung die vertrocknete
       Pflanze im Büro ausgetauscht. Ein Zeichen dafür, dass man sich im
       Umweltministerium endlich um die Umwelt kümmert?
       
       Notwendig wäre das beim Müllmanagement. Allein in Beirut und seinen
       Vororten fallen täglich mehr als 3.000 Tonnen Abfall an. Der Plastikkonsum
       ist hoch, in kleinen Supermärkten gibt es selbst für verpackte Schokoriegel
       noch eine zusätzliche Tüte. Viele Restaurants verwenden Plastikteller und
       Plastiklöffel, servieren Softdrinks aus Dosen und mit Strohhalm.
       Mülltrennung ist offiziell kein Thema, weil es keine staatlichen Anlagen
       gibt, die die getrennten Wertstoffe recyceln könnten.
       
       Auch thermische Müllverbrennungsanlagen wie in anderen Ländern – die den
       Müll so verbrennen, dass die entstehende Wärme zu Heizzwecken genutzt
       werden kann – gibt es keine. Stattdessen stapelt sich der vermischte Abfall
       seit Jahrzehnten auf Deponien. 2017 gab es laut einem Bericht des
       Umweltministeriums und des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen
       UNDP 941 offene Halden. Auf 150 davon entzünden die Kommunen wöchentlich
       offene Feuer, um die Abfallmenge zu reduzieren.
       
       ## Müllberge auf den Straßen
       
       Spätestens seit 2015 gibt es in der Öffentlichkeit ein Problembewusstsein
       dafür. Damals waren Anwohnende der größten Deponie Naameh den Gestank und
       die Schadstoffe aus vermutlich 12 Millionen Tonnen Abfall leid. Sie zwangen
       die Regierung, die Deponie dichtzumachen.
       
       Die Folge war aber, dass die Müllabfuhr die Müllsäcke aus Beirut und der
       Umgebung nicht mehr abholte. Diese türmten sich stattdessen als Berge in
       den Straßen. Dagegen gingen die Menschen wieder auf die Straße und
       forderten einen landesweiten Plan zur Abfallbeseitigung – der bis heute
       nicht vorliegt.
       
       Kann die Neubesetzung im Umweltministerium daran etwas ändern? Joslyn
       Kehdy, Gründerin der Organisation Recycle Lebanon, ist bereit, ihm eine
       Chance zu geben. Die unabhängige Aktivistin, die seit Jahren zum
       Müllsammeln am Strand mobilisiert, hat zugestimmt, den Umweltminister bei
       seiner Aktion zu beraten. „Ich bin glücklich und stolz, dass die Regierung
       uns endlich nach Beratung gefragt hat, um das Aufräumen so nachhaltig wie
       möglich zu gestalten“, sagt sie.
       
       Skeptischer ist Lucien Bourjeily, Filmemacher und Aktivist. 2015 hatte er
       die Nase sprichwörtlich voll und organisierte die „You Stink!“-Bewegung. Er
       kritisierte Korruption und Missmanagement und wurde für einen Sitzprotest
       im Umweltministerium verhaftet. „Das Ministerium ist keine NGO“, sagt er.
       „Das Ministerium ist die Exekutive, es implementiert Richtlinien.“
       
       Die öffentliche Müllsammlung sei „eine Heuchelei, sie schaffen keine
       nachhaltige und langfristige Lösung für die Krise, sondern eine
       Wohlfühl-Kampagne“. Dabei ist Bourjeily nicht gegen die Idee, Plastik vom
       Strand zu sammeln. Er fragt sich nur, ob der Minister die Abfallproblematik
       tatsächlich grundlegend anzufassen gedenkt.
       
       Schließlich sind da noch die Deponien Bourj Hammoud und Costa Brava:
       Müllberge, auf denen sich Plastik, Glas, Textilien und Biomüll in einem
       wilden Durcheinander türmen. Beide liegen direkt an der Mittelmeerküste. In
       Bourj Hammoud fließt Sickerwasser ins Meer. Starke Gerüche signalisieren,
       dass giftige Gase entstehen.
       
       Costa Brava liegt direkt neben dem Flughafen und ist den auftreibenden
       Winden ausgesetzt. Hier sollten ursprünglich 60 Prozent der Abfälle
       verwertet werden – sortiert, recycelt und so verbrannt, dass die Energie
       genutzt werden kann. Bislang passiert das nicht. Stattdessen erhalten die
       Gemeinden jährlich 8 Millionen US-Dollar Entschädigung für die Annahme der
       Abfälle. Beide Deponien wurden 2016 als Übergangslösung propagiert. Ein
       nachhaltiger Masterplan fehlte bisher.
       
       ## Deponien am Meer bleiben geöffnet
       
       Anfang Juni hat Umweltminister Jreissati diesen Plan nun dem
       Ministerpräsidenten Saad Hariri vorgelegt. Brisant ist, dass die
       Mülldeponien am Mittelmeer weiter geöffnet bleiben sollen. Die Deponie in
       Bourj Hammoud zu vergrößern sei durchaus ein Szenario, sagte Jreissati der
       taz. Weitere 25 Standorte sollen als „sanitäre Abfalldeponien“ dienen, wie
       der Umweltminister sie nennt, darunter auch die Naameh-Deponie, deren
       Schließung 2015 zu der Krise geführt hatte.
       
       Der Minister beteuerte, dass zwei Verbrennungsanlagen geplant sind, eine
       Umweltverträglichkeitsprüfung sei vorgesehen. Er hoffe, dass die
       Auftragsvergabe bis Ende 2021 abgeschlossen ist und die Verbrennung nach
       vier bis fünf Jahren beginnen kann. Der Plan sehe auch Sortieranlagen vor,
       sagte Jreissati, ließ aber offen, wie konkrete Pläne zum Recycling
       aussehen.
       
       Aktivist Bourjeily bleibt kritisch – auch gegenüber einer möglichen
       geordneten Müllverbrennung: „Die Verbrennungsanlagen sind ein Desaster.
       Würden wir ordentlich recyceln, hätten wir nur noch 20 Prozent Restmüll.
       Das ist dann wieder zu wenig, um so große Anlagen zu betreiben“, erklärt er
       und mutmaßt: „Am Ende kommt die Regierung noch und fordert uns auf, mehr
       Plastik zu verwenden – damit sie die Anlagen betreiben können.“
       
       24 Jul 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julia Neumann
       
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